Pierre Vervloesem - Folklorik
P
Off Records
Der Gitarrist Pierre Vervloesem, auch der belgische Frank Zappa genannt, hat das aktuelle Album alleine eingespielt, sprich auch alle Instrumente auf diesem Album selbst gespielt. Dabei hat sich der auch bei der belgischen Großformation FES aktive Musiker mit bestehenden und nicht-bestehenden folkloristischen Tänzen der Welt befasst. Er hat einige wiederentdeckt und in seinem Sinne arrangiert oder gänzlich neue geschaffen. Der einzige wirklich bestehende Tanz ist das letzte Stück der aktuellen Einspielung: "La Pachanga Que no Cansa", komponiert von Manolin Morel. Hier wurde allerdings von Vervloesem nur das Originalsolo beibehalten. Also: Let's Dance!'.
Auf dem Cover ist der Musiker Pierre Vervloesem als „Blumenkind“ zu sehen. Es scheint, als sei er geradewegs auf dem Mittsommernacht-Tanzboden in Mittelschweden zugange und frönt dort dem einen oder anderen Tänzchen. Walzer oder Polka – das ist hier die Frage.
Aufmacher sind „La carpatyo“ und „La kizomba“. Das klingt nach Südamerika, aber das ist vielleicht auch nur eine falsche Fährte, oder? Zu hören sind aber auch „La bipolère“, „La décédée“ sowie „La sambrevilaine“. Und zum Schluss sind dann, wie bereits oben angedeutet, zunächst „La felakon“ und danach „La pachanga“ zu hören.
Vom ersten Takt an hat man den Eindruck, man lausche der Musik eines mechanischen Musikautomaten, einer Drehorgel, eines Orchestrions. Doch weit gefehlt: Pierre Vervloesem ist jedenfalls als Multiinstrumentalist unterwegs, ob Synthesizer, Keyboard, Vibraphon, Melodica, Akkordeon oder Gitarre. Dabei erscheint die Musik eher gebunden, durchgetaktet und weniger offen, was dem Jazz ja eigentlich so eigen ist. Doch bisweilen ist die Debatte, ob das nun Jazz ist oder nicht, eher müßig. Eigentlich gibt es nur gute oder schlechte Musik, oder?
Übrigens, beim Hören der Musik muss man gewiss auch an Tanzkapellen oder auch an Kleinkunstbühnen und Vaudeville-Theater denken. Es ist gleichsam so, dass Vervloesem als Alleinunterhalten für den richtigen Schwung und die richtige Drehung sorgt, mal links und mal rechts herum. Der Frank Zappa Belgiens mischt in seinen Tänzen durchaus ein bisschen Fusion bei, verzichtet nicht gänzlich auf Jazz Rock, so auch gleich bei der ersten Komposition auf der Veröffentlichung. In „La carpatyo“ kreischt und wimmert auch eine Gitarre, hört man ein Akkordeon, wenn auch nicht im Musette-Modus, sind hämmernde Beats zu hören. Synthesizer-Sinuskurven sind Teil der Klangmelange. Auch ein bisschen Wahwah und Wowwow ist zu vernehmen. „La Bachata“ weist charakteristische Rhythmisierungen eines Akkordeons auf. Zudem erlebt der Zuhörer einen Klangfluss, der entweder einem Rhodes oder Synthesizer entspringt. Außerdem ist ein stetiger stampfender Rhythmus auszumachen, über dem der Klang einer „Hawaiigitarre“ liegt. Das klingt dann auch ein wenig nach Surf-Sound. Pierre Vervloesem ist nicht Alvin Lee, Jeff Beck oder Eric Clapton, aber auch er versteht sich auf ausgewählte Zitate aus der Rockmusik, zu denen er dann u.a. das Spiel einer Melodica setzt. Tanz oder nicht – das ist dann allerdings auch eine zu klärende Frage.
„La bipolère“ lebt vom Klang von Harmonium (?) bzw. Hammond-Orgel, ohne auf den Spuren von Jimmy Smith oder Keith Emerson zu wandeln. Eher ist der Ansatz zappaesque und auch an die Klangmelange eines Alan Parson muss man beim Hören wohl denken. Bei „Bipolar“ kommt man ins Zappeln und tanzt dann auch den Pogo, obgleich es keine Punkmusik im klassischen Sinne ist. Aber auch Folklore – siehe den Albumtitel – verbirgt sich nicht in diesem Stück.
ELO oder was – das kommt einem in den Sinn, wenn die ersten Takte von „L’Entrejambe“ aufflammen. Und hört man nicht in dem Klangpotpourri neben Keyboards auch Vogelstimmen? Zudem lässt Vervloesem seine elektrische Gitarre nach allen Regeln der Kunst kreischen, wimmern, schreien. Wenn auch der Rhythmus nicht Techno ist, so hat man doch den Eindruck, dass Rave angesagt ist.
„La Panikade“ klingt nach Gassenhauer im Dreivierteltakt. Daran sind auch ein Akkordeon und Keyboards beteiligt. Präsentiert wird eine rasante Klangreise über Stock und Stein. Auf geht es nach Frankreich mit „La sambrevilaine“. Oder ist mit Sambre gar der Fluss im Süden Belgiens gemeint? Lauscht man dem Stück, so sieht man Tanzende in Formation, die sich gegeneinander drehen und Hand in Hand von einem Außenkreis in die Mitte und zurück hüpfen, oder? Auf ein wenig höfisches Tanzvergnügen verweist das Stück wohl auch. „La pachanga“ ist das letzte „Tanzstück“, das wir hören. Na, hat da Vervloesem auch ein wenig Schlager mit lateinamerikanischem Flair eingebunden? Man möchte es meinen.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
https://pierrevervloesem.bandcamp.com
https://stilll-off.bandcamp.com/album/folklorik
https://www.zigzagworld.be/artists/vervloesem/
https://en.wikipedia.org/wiki/Pierre_Vervloesem
http://off-recordlabel.blogspot.com