PHILEMON, LE CHIEN QUI NE VOULAIT PAS GRANDIR
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Ein langer Bandname, bei dem man vielleicht vordergründig an die griechische Antike und Philemon und Baucis denken muss, springt gleich einmal ins Auge.
Doch an dieses glückliche Ehepaar der Mythologie knüpft der Bandname nicht an, eher erinnert er ein wenig an absurdes Theater: Philemon, der Hund, der nicht wachsen wollte – so lautet die deutsche Übersetzung. Doch wer ist dieser Hund? Spielt die Band auf His Master's Voice an? Dieses Logo eines Hundes vor einem Edison-Phonographen geht auf den Maler Francis Barraud zurück, der 1898 seinen Hund Nipper beim Lauschen eines solchen Phonographen porträtiert hatte. Hm, vielleicht? Zumindest aber ist der Name so außergewöhnlich, dass man ihn sich gewiss merken wird.
Kammermusik trifft bei der Band auf lyrischen und freigeistigen Jazz. Eingespielt wurden nur eigene Kompositionen, die von den Bandmitgliedern arrangiert wurden. Vor unseren Ohren öffnet sich ein poetischer Kosmos, den Mathieu Robert (Sopransaxofon, Komposition), Benjamin Sauzereau (Gitarre, Komposition), Dorian Dumont (Piano), Benoit Leseure (Violin), Nicole Miller (Viola) und Annemie Osborne (Violoncello) gestalten.
Aufgemacht wird das aktuelle Album mit „La ville verticale“, gefolgt von „Cinq sous-sols du révolu“ sowie „Taco“ und mit „Bass line“ wird das Album schließlich abgerundet.
Bereits bei den ersten Noten von „La Ville verticale“ wird man als Zuhörer in die Welt des bürgerlichen Salons entführt. Man fühlt sich wie bei einem Abend mit Hausmusik auf sehr hohem Niveau. Die Klangfarben der Musik werden dabei von den Streichern dominiert. Tieftöniges paart sich dabei mit den beschwingten Klangwellen der Gitarre. Beinahe in ein theatralisches Szenarium wird man im Weiteren entführt. Vor dem geistigen Auge zeichnen sich Slapstick-Szenen ab, zu denen die Musik die angemessene Begleitung ist. Auch für andere Klassiker der Stummfilmzeit scheint sich die Komposition „Vertikale Stadt“ sehr gut zu eignen. Nein mit „Taco“ wird keineswegs Fast-Food serviert, obgleich der Titel auf ein beliebtes mexikanisches Gericht verweist. Zu Beginn des Stücks meint man, in einem Kammermusiksaal zu sitzen, in dem ein Saxofon auf ein Tastenmöbel und einige Streichinstrumente trifft. Aus der anfänglich klanglich in der Klassik anzusiedelnden Komposition entwickelt sich eine freie Form von Jazz. Dabei ändern Streicher und Gitarre gänzlich ihren Charakter, den sie zu Beginn zur Schau gestellt haben. Hier und da sind auch Momente von Swing wahrzunehmen, wenn der Pianist Dorian Dumont ein kurzes Solo anstimmt. Nie wird es beim Zuhören langweilig, da der Ausdruck des Stücks stets im Wechsel begriffen ist. Sogar Kaffeehausmusik aus Wien vermeint man, für wenige Augenblicke dargeboten zu bekommen. Ist das nicht sogar ein wenig Stéphane Grappelli mit im Spiel?
„Ouvert/Fermé“ ist eine Komposition der Band, die sehr dramatisch beginnt. Dafür sorgen die vereinten Streicher. Oh, was ist das denn? Tanzteemusik? Gar ein Walzer? Doch derartige Vorstellungen werden durch die Musiker zwar hervorgerufen, dann jedoch in der nächsten Sekunde konterkariert. Spätestens dann, wenn der Saxofonist Mathieu Robert die musikalische Regie übernimmt, kann man sich dem Narrativen des Jazz hingeben. Schließlich geht es auf dem Album noch um „Bass Line“. Dabei ist es nicht das Violoncello, das für die Basslinie sorgt, sondern das Piano. Der Pianist verharrt in den wiederkehrenden Bassformen, über die sich die anderen Instrumente erheben, wehklagend die Streicher, beschwingt das Saxofon. Übergangslos wechselt dann der Charakter des Stücks. Die Streicher stehen dabei im Vordergrund. Behäbig werden darüber die Sequenzen des Saxofons gesetzt, ehe sich dann alle im gemeinsamen Spielfluss einfinden. Das klingt ein bisschen nach Broadway-Revue, immer aber auch nach Kammermusik des bürgerlichen Salons.
Eine gewisse Zerrissenheit ist nicht nur dieser Komposition anzumerken. Gerade aber diese Zerrissenheit macht den Reiz der Musik von PHILEMON, LE CHIEN QUI NE VOULAIT PAS GRANDIR aus. Sie ist nur schwer auszurechnen, überhaupt nicht vorhersehbar, auch nicht in den Wechseln, dabei die Felder von Jazz, Free Jazz, Improvisation und notierter Musik mit klassischem Gebaren berührend. Das ist gewiss nicht nach dem Geschmack jedermanns, aber das ist auch nicht notwendig. Notwendig ist, das Experimentelle anzubieten und durchzuhalten. Das schafft das Sextett aus Belgien ohne Zweifel.
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
http://www.suitethelabel.com/#s02
Musiker
Benjamin Sauzereau
https://sauzereau.wordpress.com/2014/08/16/benjamin/