Pericopes +1 - UP
P
Losen Records
Im Jahr 2007 wurde von Emiliano Vernizzi und Alessandro Sgobbio die Band Pericopes gegründet. Saxofon vereinte sich mit Klavier. Zehn Jahre nach der Gründung kam de Drummer Nick Wight dazu; daraus resultiert der Bandname Pericopes „+ 1“. In einem Pressetext heißt es: „Die Band bedient sich einer breiten, von der Popmusik der vergangenen vier Jahrzehnte inspirierten, musikalischen Palette: Dynamische Grooves, klar fokussierter Rhythmus, Rhodes-Sounds und elektronische Effekte prägen den Sound ihrer Eigenkompositionen.“
Zu „Up“ äußern sich die Gründungsmitglieder von Pericopes: „Ich wollte die Möglichkeit haben, auf eine andere Art und Weise mit Klavier und Schlagzeug zu interagieren, den Klang des Saxofons einzufangen und zu manipulieren. Ich habe mir deswegen ein analoges Pedalboard gebaut, das es mir erlaubt, nur wie ein Solist zu spielen“. (Emiliano Vernizzi) Und Alessandro Sgobbio fügt hinzu: „Wir wollten neue Sounds hinzufügen, jedoch ohne die typischen Einschränkungen durch die Benutzung von Laptops. Ich wählte nur Stand-Alone-Effekte, um die Freiheit/Mindset eines akustischen Instruments beizubehalten. Wir experimentierten mit diesem Setup an neuen Songs (Disco Gagarin, Gorod Malinov) und älterem Repertoire (Danza di Kuwa und Martyrlied, wo ich auch Segmente der Rede von Thomas Sankara hinzufüge).“
Als Hörer sind wir zu Beginn im „Wonderland“ unterwegs. In dieser Welt entfaltet Emiliano Vernizzi die Klangfülle seines Saxofons, gebettet auf einem weichen elektronischen Klangteppich. Mitreißend fängt der Saxofonist seine Hörer in „Ucronia“ ein. Da gibt es nur ein Vorwärts und kein Zurück. Da gilt es Klangwelten auszuloten und die bunte Farbpalette zum Einsatz zu bringen. Nein, „Disco Gagarin“ hat nichts mit Russendisko zu tun, sondern präsentiert rhythmisierte Klangräume gefüllt mit Grooves und Soul sowie ein wenig Pop. Zu Techno fehlen die sterile Monotonie und die Wiederholung. Eher neigt das Trio dem Jazzrock der 1980er Jahre zu. Es geht um Weitblicke, um „Kopf hoch“ und nicht Kopf versenkt in der digitalisierten IPhone-Welt; es geht um Grenzenlosigkeit, die der Astronaut Gagarin erlebte, um Begegnung, um Ausgelassenheit in der fiktiven „Disco Gagarin“. Dazu animiert die Musik des Trios jedenfalls. Man muss sich nur darauf einlassen.
Melodien, Rhythmen und Elektronik verbinden sich wie in allen anderen Songs des Albums auch in „The Earth's Shape“ zu einer Einheit, teilweise kammermusikalisch verpackt mit gestrichenen Geigen, Cello und Viola, aber auch mit elektronischen Schwingungen und sphärischen Verfremdungen, die miteinander verschränkt werden. So entsteht ein beinahe opulentes orchestrales Werk. Das ist vor allem dem String-Ensemble bestehend aus Anna Apollonio, Giulia Pontarolo, Margherita Cossio und Andrea Mustio zu verdanken.
Ein bisschen Soul, eine Dosis Funk, ein wenig Fender Rhodes, gewürzt mit Sinn für starke Rhythmen – dadurch erhält „Danza Di Kuwa“ ein ganz eigenes schillerndes Tanzgewand. Elektronische Effektschlieren durchziehen das Stück, in dem außerdem der Pianist das Klangbild ganz entscheidend mit tiefen Setzungen prägt. Bisweilen hat man den Eindruck einer Klangcollage, wenn auch noch verschiedene Stimmen eingespielt werden. Wortsplitter aus Wochenschauen oder Nachrichtensendungen? Der Saxofonist versprüht feinsten Klangregen, zu dem sich mit zweiter Melodiestimme der Pianist einfindet. Beim Hören fühlt man sich dabei an eine melodische Endlosschleife erinnert. Beinahe übergangslos geht es mit „Martyrlied“ weiter, stark im Rhythmus und eine schöne Symbiose von Soul und Funk im Saxofonrausch sowie Klangekstasen, die Fender Rhodes und elektronischer Klangkollage geschuldet sind.
Schließlich interpretiert das Trio den Song der Dire Straits namens „Sultans Of Swing“, aber eben ohne die Riffs von Mark Knopfler. Stattdessen lauschen wir dem weich gezeichneten Saxofon, das an die Stelle der Gitarre tritt. Für einen gewissen rhythmisierten Unterbau sorgt der Pianist des Trios Alessandro Sgobbio. Lauscht man dem Stück, dann sieht man vor dem geistigen Auge funkelndes grünliches Polarlicht oder ein Meer von Sternschnuppen und einen klaren Sternenhimmel ohne Lichtverschmutzung. Oder etwa nicht?
Text: © ferdinand dupuis-panther
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