Paul Van Gysegem 5tet - Square Talks
P
el NEGOCITO Records
Paul Van Gysegem ist nicht nur Musiker, sondern auch Bildhauer und Maler. So verwundert es nicht, dass das Cover von ihm gestaltet wurde. Es stammt aus der Serie „scores“ aus dem Jahr 2016. Zu sehen sind schlierige über horizontalen Linien, die an Notenlinien denken lassen. Insgesamt scheint die Arbeit der Richtung des Informel zugeordnet werden zu können. Auch an die „Kritzeleien“ von Cy Twombly muss man beim Anblick der Coverkunst denken. Doch im Weiteren soll es nicht um den bildenden Künstler Van Gysegem gehen, sondern um den Kontrabassisten, der sich der freien Improvisation verschrieben hat. Seit 1965 ist er mit verschiedenen Musikern in Belgien aufgetreten, darunter Fred Van Hove und den beiden im jetzigen Quintett vertretenen Musikern Patrick De Groote (trumpet/flügelhorn) und Cel Overberghe (tenor and soprano saxophone). Die Band wird vervollständigt durch den Pianisten Erik Vermeulen und den Perkussionisten Marek Patrman. Zu erwähnen ist außerdem, dass Van Gysegem Mitbegründer des Avantgarde-Jazz-Festivals auf dem Gravensteen (Gent) war.
Aus den Liner Notes von Guy Peters scheint mir nachstehende Bemerkung besonders erwähnenswert: „Don't judge a man by the size of his discography. Paul Van Gysegem can only be heard on a handful of releases, but he played a crucial role in the development and visibility of improvised music in Belgium. More than half a century ago, he started inviting international heavyweights to Ghent and performed with many of them. Aorta, recorded by his Sextet in 1971, was one of the key documents of that turbulent era and was rightfully reissued by French Futura label in 2011. However, let's not focus too much on accomplishments of the past. As the music on this new album confirms, Van Gysegem has never been one to look back on the 'good old days' and rehash what has been done before.“
Nach langer Zeit liegt nun Van Gysegems neuestes musikalische Werk als CD und als Vinyl vor. Und die Fachpresse ist voll des Lobes: "De leider zelf imponeert met sonoor strijkwerk en solistische bijdragen die ademen. Hij plaatst zich hiermee in een categorie van leeftijdsgenoten als Barre Phillips of de onlangs overleden Gary Peacock." [Herman te Loo, Jazzflits NL nummer 353 p.11 (08/03/2021)] Und eine andere Stimme: "Deze cd is dus een absolute aanrader, puur luistergenot ! Voor mij al cd van het jaar 2021, en er zal veel moeten gebeuren om deze te overtreffen!" [Kris Vanderstraeten, Jazzepoes (08/02/2021)]
„Haaks“ und „Brisk“ sind zu Beginn des Albums zu hören. Des weiteren wurden Titel wie „Shouts“, „Wings“ und „Woodpecker“ eingespielt. Das Titelstück „Square Talks“ bildet den Abschluss des Albums. Alle Kompositionen entstanden im Moment und aus dem Moment heraus und wurden live aufgenommen. Zum harten Schwingen der Saiten vernimmt man bei „Haaks“ eine aufgeregte und aufgebrachte Trompetenstimme. Zwischentöne setzt der Pianist mit energievollen Tastensetzungen. Dazu gibt es ein kurzes Taktaktak des Schlagzeugers. Aufbrausend in der Stimme ist nach wie vor Patrick de Groote, der auf einen in Erdfarben getönten Bass trifft. Zeitweilig „duellieren“ sich Bass und Schlagwerk, als wären sie Ja- und Neinsager. Cel Overberghe tritt mit seinem Holzbläser hinzu, der sich stimmlich hier und da überschlägt. Gelegentlich vernimmt man aber auch weichgezeichnete Saxofonpassagen. In toto klingt das, was wir hören, eher nach Aufschrei, auch in der Melange aller Beteiligten.
Für Beruhigung sorgt nicht einmal der Bass. Wirrwarr wird bis zum letzten Takt zelebriert. Unordnung wird zur Ordnung gemacht, oder? Bewegt und mit gewissen Redundanzen zeigt sich der Pianist Eric Vermeulen in „Brisk“. Man hat im Übrigen den Eindruck, dass nicht nur der Pianist das Bild von rasch dahin ziehenden Cirruswolken malt. Nur der Bassist Van Geysegem setzt auf Bodenständigkeit. So gibt es widerstreitende Stimmen im Ensemble, in dem auch dramatisches Drumming für Bewegung sorgt, mal ganz abgesehen von Cel Overberghe an den Holzbläsern. Im weiteren Verlauf sind es nicht nur Cirruswolken, die wir als Bild aus der Musik destillieren können, sondern auch Windböen, die durch das Kronendach von Laubbäumen streifen. Man hört gleichsam auch die im Wind schwirrenden Oberleitungen. Für eine gewisse Entspannung sorgt der Bassist, knurrend mit tiefer Stimme. Wie ein Rufer, der wichtige Botschaften zu verkünden hat, hört sich Patrick de Groote in „Shouts“ an. „Hört mal her!“ ist der Beginn der Botschaft, in die auch der Saxofonist des Quintetts eingebunden ist. Kurze Entrüstungen hören wir hier, dort eher Beschwichtigungen. Selbst der Pianist, der sich im Diskant versteigt, tritt als Mahner und Rufer auf, wenn auch nicht so lautstark wie der Trompeter und der Saxofonist des Ensembles. Zwischenspiele des Pianisten Eric Vermeulen bringen Entspannung mit linearen Klanglinien.
Atemrauschen spielt bei „Wings“ eine nicht unwesentliche Rolle im Klanggemälde. Dieses Rauschen endet in hochtönigen Klangeruptionen, zu denen der Bassist tiefe Akzente setzt. Aus dem Rauschen kristallisiert sich schließlich eine lineare Trompetenstimme heraus, ehe dann Eric Vermeulen rinnende und sprudelnde Klangelemente aneinanderfügt. An „Flügel“ und „Fliegen“ – so wie es der Titel verheißt – muss man beim Zuhören nicht unbedingt denken. Bei „Woodpecker“ lauscht man nicht dem distinkten Klopfgeräusch, das der Specht bei der Nahrungssuche macht, und wenn dann nur gelegentlich, dank des Bassisten. Stattdessen hören wir einen röhrenden Bass und das Tastenrinnsal, das uns Eric Vermeulen präsentiert. Zudem hören wir ein nervöses Saitenzupfen. Nur mit viel Fantasie kann man im weiteren Spiel von Vermeulen das Tok-Tok des mit dem spitzen Schnabel in die Baumrinde schlagenden Spechts vernehmen. Sirrend äußert sich Patrick de Groote mit gedämpfter Trompete. Aber wo ist der Specht? Zum Schluss verstricken sich die Musiker in „Square Talks“. Doch was sind eigentlich „Quadratische Gespräche bzw. Platzgespräche“? Die Bläser sind lautstark und überschlagen sich in ihrem Sprechfluss. Eric Vermeulen scheint mit seinen akzentuierten Tastenklängen auf Bedacht hin orientiert. Derweil scheinen sich die beiden Bläser nicht grün zu sein. Rede und Gegenrede wechseln sich ab. Argumentationsfäden werden gesponnen, ob nachvollziehbar oder auch nicht. Irgendwann beruhigt sich der Bläserzwist und es ist an Eric Vermeulen zu reden. Doch dazu hat er nur kurz Gelegenheit, ehe dann wieder die Bläser am Zuge sind. Insgesamt hat man das Bild vor Augen, dass nicht miteinander gesprochen wird, sondern gegeneinander.
© ferdinand dupuis-panther
Infos
www.elnegocitorecords.com
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Van_Gysegem
https://elnegocito.bandcamp.com/album/square-talks
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/p/paul-van-gysegemchris-jorispatrick-de-groote-boundless-c-loxhay/