Patrick Manzecchi – Tenderly
P
Tonsee Records
Anlässlich des Erscheinens seines aktuellen Albums lesen wir im Pressetext: „Patrick Manzecchi gehört seit mehr als 25 Jahren zu den erfahrensten Sidemen Deutschlands. Weltstars wie Sheila Jordan, Pee Wee Ellis und Fred Wesley, Paolo Fresu, Arthur Blythe, Harry Allen, Bobby Watson, Robin Eubanks, Richie Beirach und George Mraz, aber auch deutsche Koryphäen wie Gregor Hübner, Steffen Schorn, Sebastian Studnitzky, Torsten Goods, Thomas Siffling, Lyambiko, Anke Helfrich und Lisa Bassenge sind da nur einige wenige Namen, die genannt werden müssen, wenn es um die musikalischen Qualitäten des Schlagzeugers geht.“
Nach fünf Alben unter eigenem Namen liegt nun ein Album mit Live-Aufnahmen vor. Wir erleben bei dem Live-Mitschnitt den us-amerikanischen Saxofonisten Scott Hamilton, den man nicht mehr vorzustellen braucht. Er ist eine „Galionsfigur des Tenorsaxofons“. Darüber hinaus hören wir den noch recht jungen Pianisten André Weiss, der mit so namhaften Musikern wie Eric Alexander, Grant Stewart, Jim Rotondi und Don Menza zusammengearbeitet hat. Der Kontrabassist Joel Locher arbeitet(e) mit Pee Wee Ellis, Joe Magnarelli, Howart Alden, Gerd Dudek, Dusko Goykovich, Biréli Lagrène, Jim Rotondi, Harry Allen und Philip Catherine. Der Überraschungsgast bei den Aufnahmen war der Kornettist Thimo Niesterok.
Schaut man auf die Trackliste, dann fällt auf, dass wir eine Zeitreise des Jazz erleben dürfen. Ja, die Musiker und auch das Publikum tauchen tief in die Welt der Jazz-Standards ein. Dabei ist das Was nicht entscheidend, sondern das Wie, sprich die „Aneignung des musikalischen Stoffs“ und dessen Weiterentwicklung. Um es mal vorwegzunehmen: Derjenige, der den Film „Round Midnight“ gesehen hat, der taucht mit dem vorliegenden Album genau in eine ähnliche wie die dort gezeigte Welt des Jazz ein, wenn auch nicht visuell, sieht man einmal von dem Booklet ab.
Wer den Blick auf die Trackliste richtet und als Eröffnungsstück „Just In Time“ entdeckt, der wird diesen Song mit dem Namen Nat King Cole verknüpfen. Doch von derartigen Verweisen sollten wir uns frei machen und uns ganz und gar auf das Quartett einlassen, mit dem wir auf den Spuren der Jazzgeschichte unterwegs sind. Gleich zu Beginn erleben wir solistisch Scott Hamilton, der uns übermittelt „It swings“. Dazu tragen auch der Pianist und der umsichtig trommelnde Patrick Manzecchi bei. Die Klangfärbungen des Stücks werden überwiegend von dem Tenorsaxofonisten bestimmt. Die Klanglinien gleichen dabei dem forschen Pinselstrich eines Künstlers, der sich expressiv ausdrückt. Hier und da können wir auch weiche Linien im Spiel des Saxofonisten entdecken, der im Fortgang des Stücks das musikalische Zepter an den Pianisten weiterreicht. Er lässt kaskadierende und sprudelnde Passage erklingen, dabei auch die sogenannte Basshand zum Einsatz bringend. Bei dem energiegeladenen Spiel von André Weiss mag sich der eine oder andere fragen, ob das nicht Musik für einen Jive ist, der wir da lauschen. Nachfolgend gehört dann der akustische Bühnenraum dem Bassisten des Ensembles. Quirlig ist Joel Locher bei seinem Zupfen der vier Saiten des Tieftöners unterwegs, der aber unter den Fingern Lochers ganz und gar nicht erdfarben erscheint. Und am Ende ist es der sonore Klang des Saxofons, der uns umgarnt.
Weiter geht es mit „I Got Rhythm“ aus dem Musical „Crazy Girl“. Dieser Song geht mit den Zeilen „ I got rhythm, I got music, I got my man / Who could ask for anything more? / I got daises in green pastures, I got my man …“ ins Ohr. Auf diese müssen wir bei dem sehr temporeich angelegten Stück allerdings aktuell verzichten. Statt dessen geben wir uns dem instrumentalen Parforceritt hin, den in erster Linie der Tenorsaxofonist anführt. Keine Frage, Patrick Manzecchi sorgt für den Rhythmus, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Den Fokus des Geschehens überlässt er Scott Hamilton, der für ein „wirbelndes Gebläse“ zuständig ist. Beim Hören hat man den Eindruck, es gebe nur ein Vorwärts. Das ist auch auffällig beim Solo von André Weiss am Flügel. Schnelle Tastenschritte bzw. fliegende Klänge sind es, die wir wahrnehmen. Das hört sich nicht nach der Langsamkeit eines Langstreckenläufers an, sondern nach dem schnellen Sprint über Kurzdistanzen. Keine Frage, in einem Ensemble auf Augenhöhe bekommt jeder Musiker seinen Raum der Entfaltung, so auch der Kontrabassist, der vom Drummer mit feinstem „Beckengestäube“ begleitet wird. Oh, was passiert da gegen Ende des Arrangements? Ja tatsächlich, ein veritables Trommelgewirbel wird geboten, dank an Patrick Manzecchi.
Anschließend hören wir einen weiteren Granden der zu Standards gewordenen Jazzkompositionen: A.C. Jobim. Nein, das Mädchen von Ipanema erleben wir nicht, sondern „Wave“. Ein Hauch von Latin Fever und Bossa umweht den Zuhörer. Zugleich werden wir mitgenommen an die Strände des Atlantiks, an die Copacabana vielleicht. Sanft gleiten die Wellen dahin, so der Höreindruck, wenn man den Klavierpassagen folgt. Hin und wieder scheint es höhere Wellenschläge zu geben. Doch das ist wohl die Ausnahme, folgt man dem perlend dahingleitenden Tastenfluss. Sehr hörenswert ist das fein ziselierte Bass-Solo. Fängt es Wellenformen ein oder die Strandgänger, die sich körperbewusst zur Schau stellen? Sanftkehlig zeigt sich nach dem Bassisten der Saxofonist des Ensembles. Mit seinen Passagen des Themas klingt das Stück aus. Ade Brasilien, ade tropische Wellengänge.
Nach „Tonight I Shall Sleep With A Smile On My Face“ (D.Ellington – I.Gordon – M.Ellington) heißt es dann „All The Things You Are“: Mit gemäßigtem Tempo kommt dieser Song aus dem Broadway-Musical „Very Warm for May“ daher. Wenn man so will, ist dies ein Popsong aus längst vergangener Zeit. Im Mittelpunkt der auf dem Album aufgenommenen Interpretation steht wie in anderen Stücken auch der Tenorsaxofonist, der zwar nicht weich gezeichnet aufspielt, aber auch nicht so eckig und kantig wie vielfach Saxofonisten ihren Holzbläser zum Klingen bringen. Beinahe wie ein Fliegender Teppich schwebt der Klangteppich dahin, den Scott Hamilton für uns geknüpft hat. Und wie zuvor auch zu hören, wird das Quartett heruntergebrochen, sind Solos wie das des Pianisten Teil der Inszenierung. Das ergibt eine abwechslungsreiche Färbung der jeweiligen Stücke.
„Cherokee“ (R.Noble) wurde von einigen Musikern des Bebop und Hardbop interpretiert, ob nun Charlie Parker oder Dizzy Gillespie. Und nun also ist es an den Musikern um Patrick Manzecchi die Geschichte eines Indianermädchens zu erzählen. Sanftes Gebläse des Saxofonisten wird von gedämpftem Kornettspiel abgelöst. Letzteres klingt so, als würde im nächsten Moment zum Lindy Hop oder Charleston aufgerufen. Irgendwie scheint auch New Orleans Jazz mit im Spiel zu sein, und ein Schuss Swing ist zudem zu erleben. Und zum Schluss hören wir „Tenderly“, das Stück, das dem vorliegenden Album den Titel gab!
© Ferdinand Dupuis-Panther
Musicians:
Patrick Manzecchi – drums
André Weiss - grand piano
Joel Locher - acoustic bass
Scott Hamilton – tenor saxophone
Thimo Niesterok – cornet (surprise guest on Cherokee)
Tracklist:
1. Just In Time (J.Styne – B.Comden - A.Green)
2. I Got Rhythm (G.Gershwin - I.Gershwin)
3. Wave (A.C. Jobim)
4. Tonight I Shall Sleep With A Smile On My Face (D.Ellington – I.Gordon - M.Ellington)
5. All The Things You Are (J.Kern - O.Hammerstein)
6. Cherokee (R.Noble)
7. Tenderly (W.Gross - J.Lawrence)