Orchestra Nazionale della Luna (f. dupuis-panther)
O
Jazz Avatars
Bei einem Orchester stellt man sich eigentlich eine Großformation mit fünf Trompetern, sechs Saxofonisten, einer Rhythmusgruppe und zwei Posaunisten vor. Doch gemach, dieses Orchester ist ganz minimalistisch bestückt: Kari Ikonen (piano, moog), Manuel Hermia (sax, flutes), Teun Verbruggen (drums) und Sébastien Boisseau (bass).
Wer ist die entblößte Dame mit der Löwenmähne, die sich auf dem Cover des Albums räkelt und uns den Rücken zeigt? Frau Luna? Eine Dame, wie sie auch der Symbolist Fernand Khnopff im Kopf hatte, also Heilige und Hure zugleich? Darüber lässt sich ausgiebig spekulieren. Allerdings scheint die abgebildete Dame irgendwie im Kosmos gestrandet. Oder ist sie unsanft auf der Erde gelandet und betrachtet die Milchstraße? Jedenfalls ist das „Nationale Mondorchester“ mit seinem Debütalbum auf unserem Planeten gelandet. Dabei haben sie auch Sphärenklänge in ihrem musikalischen Gepäck gebracht, zugleich aber auch exotische Flötengesänge, dank sei Manuel Hermia und seiner Bansuri!
Aufgemacht wird das Album mit „Itämerengue“, ehe wir dann musikalisch einem „Karibou“ gegenübertreten. Zu hören sind Songs wie „Luna 17 B“ - eine Referenz an ein unbemanntes Mondforschungsprojekt vielleicht - und „Anastasia Anastaa Sian“. Mit „Ankuri“ schließt sich der musikalische Kreislauf einer „Mondlandung“.
Der erste Songtitel klingt nach einem finnisch-französischen Kunstwort; er gleicht angesichts der Länge der Komposition einer Art kurzer Einleitung. Doch aufgepasst, ehe Kari Ikonen seine Hände über die Tasten fliegen lässt, scheint uns noch eine unverständliche Sprachbotschaft aus dem All zu erreichen. Anschließend sind Turbulenzen angezeigt, auch wenn Manuel Hermia seinem Atemrohr die „schrägen Obertöne“ entlockt. Anschließend folgen wir dem Dumdumdumdum des Basses und dem hellen Klang von Klangstäben, die uns eine Begegnung mit einem „Karibou“ ebenso ermöglichen wie Manuel Hermias verführerische Flötentöne. Derweil wird der Bass gestrichen, gleichsam als kurzer Kontrapunkt zur beschwingten Melodielinie. Irgendwie strahlt die Komposition auch eine gewisse südamerikanische Rhythmik aus. Wer die Flöte als Lead-Instrument im Jazz besonders schätzt, kommt beim nachfolgenden ausgedehnten Flötensolo von Manuel Hermia voll auf seine Kosten. Man meint beinahe, Hermia fange einen rasanten Vogelflug ein. Ähnlich mitreißend wie das Flötensolo ist das Pianosolo gestaltet. Vielleicht wird damit auch eine Herde Karibus auf der Flucht in den Weiten Kanadas eingefangen, oder?
Fertigmachen für eine Raumschiffmission heißt es bei „Luna 17 B“: Hörbildprägend ist bei diesem Stück der Flötenklang. Dabei fühlt man sich auch ein wenig an fernöstliche Klangbilder erinnert. Die musikalische Linie hat durchaus etwas von Schweben und von Meditation. Wie passt das denn bloß zum Song, meint man doch, man schwebe eher auf den Flügel eines Greifs dahin? Allerdings geschieht dies nicht ohne Turbulenzen, wie das zu Beginn dramatisch ausgerichtete Spiel von Kari Ikonen vermuten lässt. Nachfolgend erleben wir in eine lyrisch geprägte Spielform, an der auch der Bassist Sébastien Boisseau seinen Anteil hat. Eine Schwerelosigkeit kann man im Verlauf des Stücks konstatieren. Irgendwie hat man die Vorstellung, man verliere die Bodenhaftung und enteile der Erdanziehung. In der Dramaturgie der Komposition wechseln sich eher dramatische und eher lyrisch ausgerichtete Passagen ab, sodass sich insgesamt ein sehr interessanter Spannungsbogen ergibt.
Nein zu Beginn von „First Visions“ schreit kein Kauz. Eher sind es wohl elektronisch erzeugte Effekte, die von einem Synthesizer stammen könnten. Beinahe klagend erhebt sich dann das Saxofon, derweil sphärische Effekte in den Hintergrund gedrängt werden. Die Dominanz des Saxofons setzt sich fort, auch wenn die anderen Orchestermitglieder ins musikalische Geschehen eingreifen. Nachhaltig dringen die Phrasierungen des Saxofons an unser Ohr, abgelöst von einem perlendem Klavierspiel Kari Ikonens. Sehr behutsam agiert Teun Verbruggen auch in diesem Stück an seinem Schlagwerk.
Zum Schluss hören wir „Ankkuri“: Beinahe aus dem Off heraus entwickelt sich der Song, eingeleitet von einem sehr feinen Basssolo zum säuselnden Klang des Saxofons. Man vermeint, einen kräftigen Nordwind auf dem Gesicht zu spüren. Nach und nach drängt sich der Eindruck von Langsamkeit auf, einhergehend mit scheinbar unendlicher Weite. Zugleich muss man beim Zuhören an den einen oder anderen Film von Aki Kaurismäki denken, der uns den Charakter der Finnen – bisweilen auch in ein Klischee verpackt – näherbringt. Dabei denkt man auch an Melancholie – angesichts langer dunkler Wintertage, wohl allzu verständlich. Dagegen hilft wohl nur finnischer Tango oder aber das Orchestra Nazionale della Luna, nicht wahr?
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Manuel Hermia
http://manuel-hermia.com/index.php/fr/
Kari Ikonen
http://www.kariikonen.com
https://eclipsemusicrecordlabel.bandcamp.com/album/orchestra-nazionale-della-luna