Olivier Chavet – Racines
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Mudac
Über das Debütalbum des belgischen Schlagzeugers, der zugleich auch eine Ausbildung als Agrarwirt hat, lesen wir: „ … „Racines“ ist ein soulorientiertes Jazzalbum, dessen Stücke aus der Nähe zur Natur und aus Momenten der Ruhe entsprungen sind. Kein Wunder. Denn Musik und Natur sind zwei Elemente, die den Komponisten Olivier Chavet seit seiner Kindheit privat wie beruflich prägen. Der in Aachen geborene Belgier ist sowohl ausgebildeter Musiker als auch studierter Agrarwirt. In diesen beiden Wirkungsbereichen erlebt er tagtäglich, dass alles wie ein Wurzelgeflecht miteinander verbunden ist.“
Überraschend ist der Plattentitel nicht, der da in der Übersetzung Wurzeln lautet. Dabei kann man dies sowohl im Hinblick auf die Naturverbundenheit des deutschsprachigen Musiker begreifen, wie aber auch im weiteren Sinne als die verschiedenen Wurzeln ansehen, die zu den Kompositionen auf diesem Album geführt haben. Da ist Blues, R&B, Soul und auch Klassik mit im Spiel. In einem Stück meint man gar, Pharaoh Sanders sei im Geiste anwesend. Die Harmonien erinnern auf den ersten Höreindruck an Kompositionen des afroamerikanischen Saxofonisten, oder? Man höre mal beispielsweise in „The Creator Has a Master Plan“ hinein. Und dann, ja dann vergleiche man es mit „Racines“, einem Stück mit sehr samtener Flügelhornpassage, die Heidi Bayer geschuldet ist. Wer dem leider im November 2021 verstorbenen europäischen Grande des Flügelhorn Ack van Rooyen nachtrauern sollte, der wird sich am der Klangfrische von Heidi Bayer besonders erfreuen können.
Im Weiteren noch einige O-Tone von Olivier Chavet: „Ich mag alles, wo Seele drinsteckt. Ungeachtet der Stilrichtung ist Musik ohne Soul für mich nur bedingt bekömmlich. … Am liebsten arbeite ich mit Menschen zusammen, die eine grundlegende Entspanntheit und ein gewisses Urvertrauen mitbringen. Ich darf mich glücklich schätzen, dass ich bei diesem Projekt von genau solchen Künstlern beim Umsetzen meiner klanglichen Vorstellungen unterstützt worden bin.“ Wundert es da, dass sein Bruder Daniel an der Gitarre bei der aktuellen Einspielung mit von der Partie ist?
Auf dem Cover, aufgenommen aus der Vogelperspektive, sehen wir den Schlagwerker des Ensembles noch mutterseelenallein inmitten von Grün, aber auf dem Album ist er Teil eines belgo-deutschen Quintetts, das mit der Komposition „Pas à pas“ beginnt, ehe dann „Racines“ erklingt. Sehr rhythmisch mit Ausläufern ins Latin Fever ist „Pas à pas“. Die feinsinnig gesetzten Klavierpassagen lassen an französische Chansons denken und an Stimmen wie Jacques Brel oder die Greco. Eine gewisse Melodramatik ist in das Stück eingewoben, so der Eindruck. Neben dem Drummer, der wohl auch Cajon spielt, so der Höreindruck zumindest, hört man den Bassisten Werner Lauscher mit dunklen Klangfärbungen. Dies erscheint gleichsam als Gegenstück zu den Sequenzen, die der Pianist Sebastian Scobel spielt. Dabei wohnt diesen „aquarellierte Verfärbungen“ inne. Alles scheint zu fließen, erst als Rinnsal, dann als Wiesenfluss, auch in Mäandern.
Die zweite Komposition des Albums namens „Wurzeln“ (eigentlich „Racines“) lebt vor allem von den Klangfarben der Flügelhornistin Heidi Bayer. Fulminant ist auch das Zusammenspiel zwischen dem Pianisten mit seinen strengen Setzungen und den Verwirbelungen, die der Bandleader Olivier Chavet zelebriert. „Giorno“ hingegen changiert zu Fusion. Hören wir da nicht ein Rhodes, gar ein Fender Rhodes oder ist es die modulierte Gitarre, in deren Saiten Daniel Chavet greift? Ja, es ist eine Gitarre, die wir erleben, jenseits von klassischen R&B-Wandlungen. Nein, Daniel Chavet folgt nicht den Fußspuren von Eric Clapton oder Alvin Lee, so scheint er eher eine Melange von Hendrix und Knopfler zu kreieren, oder? Im Gegensatz zu den ersten beiden Stücken ist Jazz Rock reloaded das, was auf dem Menüplan steht. Auch ein bisschen Peter Green scheint bei den Gitarrensequenzen mit im Spiel zu sein.
Erzählend ist das Stück „Travers“ angelegt, ohne als Ballade daherzukommen. Man mag eher an Singer/Songwriter ohne Lyrik denken, wenn man dem Stück aufmerksam lauscht. Dabei liegt der Fokus auf den Piano-Passagen und auf dem leichten Fingerspiel von Sebastian Scobel. Perlende Strukturen sind auszumachen, die sich aus dem Diskant ergießen.
Zum Variantenreichtum des Ensembles gehört es, dass unterschiedliche Solisten die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf sich ziehen, so auch in „Lucie“. Seidig-anschmiegsam ist das, was Heidi Bayer ihrem Instrument entlockt. Eher kristallin und durchscheinend wie ein Bergkristall erscheint dann das Solo, das uns Sebastian Scobel präsentiert. Man mag beim Hören der Piano-Passagen durchaus an einen Wasserfall oder an einen Kaskaden-Vorhang denken. Im Gedächtnis brennt sich aber vor allem das vollmundige Gebläse ein, das einem Klangmeer in allerlei Schattierungen gleicht. „Grown“ scheint von einer gewissen nordischen Melancholie bestimmt zu sein. Ist da nicht auch Sibelius gegenwärtig? Und zum Schluss heißt es dann „Pur“. Wohlklang bis zum letzten Takt und die Suche nach der Schönheit der Melodie überzeugen bei diesem Debütalbum. Nachfolger sind sicherlich wünschenswert, da das Album Seelenbalsam pur bietet.
© ferdinand dupuis-panther
Infos
Line-up
Olivier Chavet - Drums, Composer
Heidi Bayer - Flugelhorn
Daniel Chavet - Guitar
Sebastian Scobel - Piano
Werner Lauscher - Double bass