Nils Wogram Nostalgia
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nWog records, nWog 012
Liest man den Begriff Nostalgia, gleich Nostalgie, so ist dieser Begriff im allgemeinen Verständnis mit Rückwärtsgewandtheit, Sentimentalität und der Beschwörung der guten alten Zeiten verknüpft. Was Nils Wogram darunter versteht, verriet er mir einem Gespräch vor einem seiner Konzerte: „Ich dachte zeitweilig wirklich daran, den Bandnamen zu ändern, aber ich mag diesen Bandnamen. Ich habe eine besondere Affinität zur Tradition des Jazz, die ich gerne nutzen möchte. Ein Teil der Jazzmusik aus der Vergangenheit ist überaus schön. Diese Musik ist so großartig und nicht erreichbar. Manchmal denkt man, am liebsten solle die Zeit angehalten werden. Klar, einige, die Nostalgia lesen, denken, nostalgisch ist doch ein negativer Begriff. Es bedeutet, man schaut nicht voraus, sondern zurück. Es bedeutet auch, dass man sich nicht bewegt. So bist du dann jemand, der sich nicht verändert, weil immer zurückgeschaut wird, im Sinne von „die tolle Zeit, damals“. Für mich gilt das nicht. Ich würde nicht so spielen können, wie ich spiele, ohne Jack Teagarden, J. J. Johnson oder Miles und Mingus. Ich habe einen großen Respekt vor deren Leistung. Das ist Musik, die ich sehr mag. Nichtsdestotrotz weiß ich, dass Musik sich entwickelt und nicht endet. Jazz bedeutet stets, neue Wege und persönliche Beigaben zu finden, um die Musik voranzubringen. Das ist es, was ich mit der Band versuche, nämlich „alte Musik“ zu nehmen und diese dann sehr persönlich zu gestalten. Das ist das Wichtigste für mich, Musik zu einer persönlichen Sache zu machen, und zwar in nachstehendem Sinne: Das ist diese Band und das sind diese Musiker, die die Musik machen. Ich versuche, neue Ausdrucksformen in der Musik zu finden. In der Musik von mir sind viele Reminiszenzen an die Vergangenheit, aber ich hoffe, dass niemand sagt: „Oh höre auf, das ist doch alles alter Kram. Das sind doch Wiederholungen. Wir haben das schon so oft gehört. Das ist eine wirkliche Herausforderung: Etwas aus der Vergangenheit zu nutzen, aber ihm ein neues Gewand zu geben.“
Also, nach diesem Statement darf man auf eine musikalische Reise in die Natur gespannt sein. Schritt für Schritt begeben wir uns mit Nils Wogram in die Abgeschiedenheit der Natur. So jedenfalls sind die Musik und der Titel „Solitude“ zu interpretieren. Nichts Sentimentales ist der Komposition Wograms eigen, ganz im Gegensatz zu Duke Ellingtons getragenem, schwermütigem „In My Solitude“, gesungen von Ella Fitzgerald und Nina Simone.
Die Einsamkeit und Abgeschiedenheit haben bei Wogram etwas Positives im Sinne der Selbstbesinnung. Es ist keine schmerzhaft empfundene Einsamkeit, sondern eine, die zu neuen Ufern aufbrechen lässt. Das Klangbild des Titels wird nachhaltig von Wograms Posaunenspiel bestimmt, doch auf der Studioeinspielung im Deutschlandfunk weit weniger als bei Livekonzerten. Würde man nicht wissen, dass alle Titel auf der jüngsten CD mit Natur und Naturschauspielen zu tun haben, könnte man sich bei der Musik von „Solitude“ auch einen nächtlichen Schaufensterbummel oder einen Streifzug am frühen Morgen durch die Straßen einer verschlafenen Großstadt vorstellen. So aber wissen wird, dass wir Nils Wogram bei seinen „Sechs-Tonschritten“ in die Natur folgen. Die tonalen Setzungen durch die Posaune werden durch ein „tänzelndes Schlagzeugspiel“ unterstützt.
„Hofstetten“, wo soll das denn sein? Schlägt man in Suchmaschinen nach, dann erscheinen bei den ersten zehn Einträgen Hofstetten im Schwarzwald und zwischen Lech und Ammersee. Nur wenn wir den Film zum Projekt „Nature“ anschauen – er ist auf der Homepage des aus Braunschweig stammenden Musikers zu finden –, dann wissen wir, dass es sich um das Feriendomizil des Posaunisten und dessen Familie handelt. Zu Beginn verströmen ein zurückhaltend gespieltes Schlagzeug – dank sei Dejan Terzic – und der satte Klangteppich der von Arno Krijger gespielten Hammond-Orgel Kontemplation pur. Setzt die Posaune ein, dann scheinen wir mit einem Gleitschirm in den Lüften zu schweben. Frühlingshaft, also Grün mit Nuancen, so lassen sich die Klangfarben beschreiben, die wir wahrnehmen. Folgt man dem dynamischen Tastenspiel von Arno Krijger im Fortgang des Stücks, kann man sich durchaus vorstellen, dass man in einem alten D-Zug unterwegs ist. Das Schlagzeug seinerseits lässt uns dank seiner Beats denken, dass die Gleise auch schon in die Jahre gekommen sind und so manche Gleislücke zu überwinden ist. Hört man den eher dunkel gestimmten Klang der Posaune, so treten Bilder einer Landschaft zum Vorschein, über die bedrohliche Wolken einherziehen.
Nils Wogram, so hat es den Eindruck, hat die Natur für sich entdeckt. Fasziniert begibt er sich auf neue Pfade, so auch in „The Trail“. Bei dem Klang von Drums und Hammond-Orgel hat man den Eindruck, man sei in einer Hütte sehr früh am Morgen erwacht und quäle sich langsam aus dem Schlafsack. Man muss sich sputen, denn es gilt, die nächste Tagesetappe zu bewältigen. Was ist das? Ein Glockenspiel erklingt so, als ob es musikalisch die Tautropfen des frühen Morgens einzufangen versucht. Würde man den Kontext der Kompositionen Wograms nicht kennen, könnte man sich bei dem Hören von „The Trail“ auch eine Segelpartie auf der Hamburger Alster oder eine Fahrt mit dem Ausflugsdampfer auf dem Starnberger See vorstellen. Oder sind wir mit dem Kanu in einer wilden Flusslandschaft unterwegs?
Bei der Komposition „Birds“ denken Cineasten und andere wohl ganz unmittelbar an den Thriller von Alfred Hitchcock. Die Hammond-Orgel fängt mit ihren Harmonien das Schwirren und den Flügelschlag von flinken Spatzen ein. Zuvor hat man den Eindruck, man verfolge mit der teilweise dramatisch inszenierten Musik das Balzen und die Rivalenkämpfe oder würde Zeuge davon, dass zwei diebische Elstern ein Amseljunges aus dem Nest stehlen und es umbringen, um Nahrung für die eigene Brut zu haben.
Mit „Nostalgia“ sind wir auf Wellenkämmen und in Wellentälern unterwegs – siehe „As Wave Follows Wave“. Doch einen Tsunami entwickelt das Nostalgia-Dreigestirn nicht, eher sind sanfte Wellenbewegungen zu vernehmen, die am Küstensaum auslaufen. Von der See geht es dann an einen ruhigen Fluss, ehe wir am Ende dem Tanz der Wasseramsel im reißenden Wasser zuschauen, sprich im Falle von Nostalgia das Stück „Dipper“ hören.
Die intime Trio-Besetzung lässt es zu, dass sich alle drei beteiligten Musiker einbringen können, wenn auch Nils Wogram mit seinem Blechbläser hier und da das letzte Wort führt. Besonders interessant ist der Kontrast zwischen dem weichen runden Klang der Hammond-Orgel und dem teilweise bassigen Spiel der Posaune. Die Musik von Nostalgia fordert aufmerksames Hören, ohne dass eine starke Komplexität der Musik den Hörgenuss zu einer Jazz-Lehrstunde macht.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Musiker
Nils Wogram
htp:/t/nilswogram.com/media/bands/nostalgia-trio
Audios
https://soundcloud.com/nils-wogram
https://www.youtube.com/watch?v=_ot6WacEWwE
https://www.youtube.com/watch?v=L5N5KSHIL9Q
https://www.youtube.com/watch?v=wih1ktKh5H4
https://www.youtube.com/watch?v=V0t5WxJe_wE
Film zum Projekt Nature
https://vimeo.com/113074439
Dejan Terzic
http://dejanterzic.com/en/dejan-terzic.html
Arno Krijger
http://arnokrijger.nl/