New Old Luten Quintet - Krawall!
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Euphonium Records EUPH 052
Das letzte Werk des Altsaxofonisten und Klarinettisten Ernst-Ludwig Petrowsky? Oder ein Ende, in dem auch ein Anfang ruht? Jedenfalls liegt nun „Lutens letzter Krawall“ vor, nicht solistisch sondern gemeinsam mit dem Pianisten Elan Pauer, den Bassisten John Edwards sowie Robert Landfermann und dem Drummer Christian Lillinger.
Über den „Doyen des Free Jazz in der DDR“ schrieb Alexander von Schlippenbach anlässlich des Erscheinen des Albums: „Eine starke Produktion. Petrowsky spielt geradezu aberwitzig, ‒ die immense Puste, die der alte Knabe hat!“ Und auch der Drummer Günter „Baby“ Sommer meldete sich zu Wort: „Luten spielt hier so überzeugend, dass dieser Krawall nichts Geringeres als sein musikalisches Credo zu verbürgen scheint.“
Über das Album lesen wir zudem im „Waschzettel“: „Petrowskys Meisterschaft zeigt sich so umjubelt dort, wo er aus dem All von hochgeschwinden Freiheiten seine fein überschwebenden Melodien schöpft und voller Kraft einer Unendlichkeit entlang führt, welche sich sonst nur im Atem des Liedes mitteilt. Baby Sommer schreibt im Begleittext desweiteren: dieser Krawall ist „ein Fluß, der nur eine Absicht hat, nämlich zu fließen… ‒ das Schiff auf diesem Fluß aber, der sein Fließen erst sichtbar macht, ist der Gesang!“
Auch das Booklet hat es inhaltlich in sich, wird nicht wie sonst bei derartigen „Beigaben“ für eine reine Fotostrecke genutzt, sondern geht in textliche Tiefen. Günter „Baby“ Sommer im O-Ton zum Album „Bei Krawall zuckt man erst einmal zusammen und geht in Deckung. Krawall impliziert Aggression und wird mit der Zerstörung von Ordnung in Zusammenhang gebracht. Die Musiker des N e w O l d L u t e n Q u i n t e t s widerlegen die negative Konnotation des Wortes Krawall auf eindringliche Weise.“
Doch nun zum hörbaren Krawall: Untergehakt geht es voran. Hier in forcierten Schritten das Tastenmöbel, dort das Saxofon, das kreischt, sich in der Stimme beinahe überschlägt, Basslinien des Klaviers begegnet. Turbulenzen des Tastenklangs geraten in Konflikt mit dem enteilenden Saxofonschwall. Pfeifen ist zu vernehmen. Atemlosigkeit schleicht sich ein. Rhythmisches vom Schlagwerk ist eigentlich nicht notwendig, denn Elan Pauer ist nicht nur gurgelnd und tosend unterwegs, sondern auch mit energiegeladenen Rhythmen. Das Schnurren des Saxofons in verschiedenen Nuancen bildet mit den Klangstrudeln, die der Pianist schafft, einen Grellen Kontrast. Ja, Rabatz und Krawall ist wahrnehmbar.
Bisweilen hat man als außenstehender Hörer die Vorstellung, es würden zwei Widersacher aufeinander treffen, Worte und Widerworte würden ausgetauscht. Die Frage ist nur, wer den längeren Atem hat. Knarzend und brummend melden sich ab und an die Bassisten zu Worten. Was schellt denn da? Knistern dringt in den Vordergrund und mischt sich mit Schellenklang. Oder sind es Glöckchen, die wir hören? Langwellige Klangphrasen steuert Ernst-Ludwig Petrowsky bei. Wiederholungen sind angesagt. Das Getöse nimmt zu, und man wartet in jedem Moment auf Eruptionen; auch nach einem hineingerufenen Hej. Doch dann hört man kurzes Tickticktick. Gebrabbel und tosendes Murmeln kann man ausmachen. Spricht Petrowsky in seinen Holzbläser? Wir können als Hörer nur Vermutungen anstellen.
Eine gewisse Entspannung stellt sich ein. Gedämpfte Saiten im Flügelkorpus werden angeschlagen. Oder hat Elan Pauer Papierblätter zwischen die Saiten geschoben und schlägt die Tasten an? Rotierendes bahnt sich den Weg, dank an Ernst-Ludwig Petrowsky. Beim Hören muss man ab und an an Historienmalereien denken, die große Seeschlachten und Schiffsunglücke unter Gewitterhimmeln und in aufgebauten Wellenbergen vorstellen. Auch Gustave Courbets Gemälde „Die Welle“ findet in der vorgetragenen Musik streckenweise eine Entsprechung.
Zurückgenommen sind die gestrichenen Bässe, derweil das Schlagwerk sich aufdrängt. Blechverwirbelungen erreichen den Klangraum. Felle klingen dumpf. Spannung wird aufgebaut. Man wartet eigentlich auf den gewaltigen Theaterdonner. Doch kaum lässt das Tempo und die Klangintensität nach, wird diese „Atempause“ nur genutzt, erneut den Klangbogen zu spannen. Schrill-grell äußert sich Petrowsky und Elan Pauer antwortet mit sprunghaftem „Diskant“ und brodelnden Basslinien. Doch auch diese Spannungen lassen nach. Ruhigere Fahrwasser werden durchquert. Trätschrätschräsch erklärt der Drummer. Und ist da nicht Petrowsky an der Klarinette zu hören? Weich und samten klingt sie nicht, aber weniger „verstimmt“ als das Saxofon in anderen Phasen des letzten Krawalls.
Wie ein Herbststurm mit Blitzzucken und Gewitter vergeht, so vergeht das Klanggewitter. Oder ist das dann erneut nur die Ruhe vor dem Sturm, wenn die Bässe erdig-umbrafarben zu vernehmen sind und dazu das Altsaxofon mehr oder minder melodische Linien zeichnet, aus denen aber schlussendlich ausgebrochen wird? Elan Pauer findet im Verlauf des Krawalls auch Momente, in denen er ein Glockenspiel nachahmt, oder? Schließlich bleibt aber die nachstehende Frage:Wie wird das wohl alles enden? In Harmonie oder im Chaos? Wird es überhaupt enden oder gibt es im Ende einen neuen Anfang, sodass der Krawall sich unbegrenzt fortpflanzen kann? Zum Schluss: Überschwebende Melodien, die, wie oben angeführt, Petrowsky zugeschrieben werden, konnte der Rezensent nicht ausmachen. Da waren eher Klangfetzen und Klangblitze zu bemerken, die kurz vorhanden waren und dann beinahe nahtlos in Klangfragmentierungen übergingen.
Text: © ferdinand dupuis-panther – Der Text ist nicht Public Commons.
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