New Old Luten Quintet: Big Pauer
N
Euphorium Records, EUPH 041b
Zum 80. Geburtstag des Urgesteins des Free Jazz zu DDR-Zeiten entstanden die vorliegenden Aufnahmen. Darauf verweist auch das Cover: Der Pianist schreit die Geburtstagswünsche geradewegs heraus.
Um wem geht es denn eigentlich? Um den Klarinettisten und Flötisten Ernst-Ludwig Petrowsky. Ihm zur Seite standen beim musikalischen Geburtstagsfest der Pianist Elan Pauer – ein Fingerzeig auf die Musik? -, die Bassisten John Edwards und Robert Landfermann sowie der Berliner Schlagzeuger Christian Lillinger. Vier Titel wurden für die aktuelle CD aufgenommen: „Dry Swing“ (18’36), „Small Luten at Five“ (12’38), "Smooth Dritt“ (7’29) und „Big Luten at Midnight“ (11’00).
In einer abgespeckten Form gab es „Dry Swing“ und „Fresh Dritt“ bereits auf dem Album „Small Pauer“ zu hören. Doch diesmal geht es um "volle Pulle", um volle Energie, um volle Power, eben um „Big Pauer“! Na dann schauen wir doch mal nach dem tonalen Energiepaket, das unsPetrowsky und Co. geschnürt haben.
Mit dem „trockenen Schwung“ beginnt die Geburtstagsveranstaltung: So als würden Holzpantinen auf einen gefliesten Boden gesetzt werden, klingen die anfänglichen Klaviersequenzen. Allerdings sind die gesetzten Schritte irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten. Sprunghaft mutet an, was Elan Pauer auf den weißen und schwarzen Tasten als akustischen Zauber präsentiert. Trillern ist nachfolgend zu vernehmen und ein beinahe ostinater Tastenbass. Die Energie und das Tempo verstärken sich, so als würde man nach und nach einem Höhepunkt zusteuern, obgleich wir noch am Beginn des „Trockenschwungs“ sind. Die akustischen Entäußerungen nehmen zu und auch wieder ab. Es ist ein gelungenes Wechselspiel, dem wir uns hingeben können.
Welche Differenzen zu der Version auf der Einspielung „Small Pauer“ existieren, könnten wir nur durch simultanes Hören herausfinden. Doch dem sind physische Grenzen gesetzt, schlicht und einfach.
So verfolgen wir einfach die weiteren Vorwärtssprünge und kurzen Pausen. Dabei warten wir vergeblich auf Verstetigungen. Eher klingt es nach Aufgeregtheit, Erregtheit, Entäußerungen und Zorn, was Elan Pauer da zum Besten gibt. Andere Stichworte, die sich beim Zuhören aufdrängen, lauten Zaudern und Unsicherheit. Zwischendrin gibt es ein wenig Rabatz und Alarm obendrein. Pausen scheinen deshalb im Verlauf des Vortrags vorhanden, um einen neuen Spielansatz nach einer Phase des Einhaltens und des Konzentrierens zu finden und zu beginnen.
Moderner Ausdruckstanz wäre gut zu „Dry Swing“ denkbar. Gebrochene Bewegungen sähe man dann vor sich, ein Anrennen und plötzlicher Stillstand.
„Small Luten at Five“ beginnt beinahe lautlos. Geraschel und eine Art Gezwitscher im Hintergrund. Dann bringt uns Petrowsky seine sehr verhaltenen Flötentöne näher. Auch diese klingen ein wenig wie ein Vogelkonzert. Schnarren gesellt sich im Hintergrund dazu. Eine Prise Andenklang wird hinzugefügt, ehe die Hirtenflöte ihre Aufregung signalisiert. Marktschreierisch ist der Vortrag überhaupt nicht, sondern eher sensibel. Oh, irgendein asiatisches Musikinstrument ist wohl dann auch noch mit im Boot, oder? Mit viel Fantasie kann man sich die Vielsprachigkeit der Fauna des Regenwalds vorstellen, wenn man verfolgt, was Petrowsky und Co. uns zu sagen haben. Und zieht da nicht auch noch ein Unwetter auf, akustisch durch Bass und Klavier für uns eingefangen?
Nach „Smooth Dritt“ kommen wir dann zum Schluss: „Big Luten at Midnight“. Hat da die Geburtstagsfeier zum 80. Geburtstag den Höhepunkt erreicht? Am Beginn breiten sich Tinnitusklänge gemischt mit einer samtenen Klarinette aus. Die gedämpften Saiten des Basses schwingen für einen Moment solo. Eine meditative Stimmung ist im Fortgang des Stücks auszumachen. Wenn Petrowsky seine schläferisch gestimmte Klarinette spielt, scheint es schon nach Mitternacht zu sein. Müdigkeit macht sich breit. Der Energiefluss des Alltags ist nur noch ein Rinnsal, auch bei den Musikern, so gewinnt man den Eindruck. Doch urplötzlich ändert sich die Stimmung. Unbändigkeit steht im Raum. Die Klarinette echauffiert sich und klingt dabei beinahe wie ein Altsaxofon. Von Samtheit ist keine Spur mehr vorhanden. Doch nach dem Ausbruch geht das Stück wieder in ein gewisses Gleichmaß über. Nur noch untergründig ist Unruhe wahrnehmbar.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Euphorium Records
http://www.euphorium.de
Ordering: oliverschwerdt@euphorium.de
Musiker
Ernst-Ludwig Petrowsky
http://www.spiegel.de/kultur/musik/saxofonist-ernst-ludwig-petrowsky-a-939637.html
Robert Landfermann
http://robertlandfermann.com/
Christian Lillinger
http://christian-lillinger.com/HOME.html
John Edwards
http://www.allaboutjazz.com/john-edwards-double-bass-man-john-edwards-by-sammy-stein.php
https://www.youtube.com/watch?v=bv7hZLarRWc