Nadje Noordhuis – Gullfoss
N
Little Mystery Records
Jazz mit skandivanischem Flair und ein wenig Fjord-Klang assoziiert man beim Hören. Blickt man auf den Namen der Flügelhornistin und Trompeterin meint man, es handele sich um eine niederländische Musikerin. Doch weit gefehlt. Die Musikerin stammt aus Australien, lebt aber schon länger in den USA. Allerdings hat sie niederländische Wurzeln, ohne ein Wort Niederländisch sprechen oder verstehen zu können. Das ist fürwahr schon Multikulti, oder?
Entstanden ist das Album bzw. die enthaltenen Kompositionen auf einer Islandreise. Dazu die Musikerin: „"I took myself to Iceland for a birthday treat four years ago and was just absolutely blown away by the volcanic landscape. - One day, after driving for hours through a treeless plain, Google Maps announced 'you have arrived.' From the parking lot, I descended into a canyon with the biggest waterfall I've seen in my life. Standing at the base of the crevasse, the roar of water completely filled my head with sound. The pummeling of the water created enormous clouds of spray that fragmented into misty rainbows. It was overwhelmingly beautiful. When I came back to the US, I was inspired to write a song about this experience. I think Gullfoss is my favorite tune I've ever written. And we always have such fun playing it. It's like I can hear the band smiling behind me as we play it."
Also nicht Norwegen mit seinen Fjells und Fjorden inspirierte die Trompeterin und Flügelhornistin zu Kompositionen wie „Migration“, „Indian Pacific“, „Waratah“, „Seven Miles“ und schließlich „Gullfoss“. Mit diesem Titel schließt das Album, das auf musikalischem Wege die Faszination der Natur erschließt und das nicht nur im herben Norden Europas, sondern auch im Indopazifik und Australasia – siehe den Track „Waratah“, ein Silberbaumgewächs aus dem Südosten Australiens – und in Irland – siehe den Track „Killarney“.
Die Band besteht neben Noordhuis aus der Harfenistin Maeve Gilchrist, dem Gitarristen Jesse Lewis , dem Bassisten Ike Sturm und dem Perkussionisten James Shipp, der auch an Synthesizers zu hören ist. Diese Musiker kamen in der Schweiz für einen Auftritt an drei Tagen zusammen sowie für Aufnahmen zu einer Vinylplatte, die nunmehr auch digital vertrieben wird.
Man muss schon ein sehr geübtes Ohr haben, um bei den jeweiligen Titeln zu dechiffrieren, ob Noordhuis nun Trompete oder Flügelhorn spielt. Auf Nachfrage gab es diese Antwort: „I'm playing flugelhorn on Migration, Indian Pacific, Waratah, and Seven Miles. I have a pedal board that I used on the trumpet - those are the effects you hear on the other tunes (Silverpoint especially). I love that Nordic sound - it makes me so happy when people refer to it. I'm a big fan of Jan Gabarek, and all those beautiful ECM albums.“
Mit Nebelschwaden des Klangs beginnt „Migration“, ehe der Gitarrist seine Klangfärbungen einbringt. Dann scheinen sich Synth und Saiteninstrument zu einer Einheit zu verbinden. Irgendwo aus der Ferne vernehmen wir den feinen Klang der Harfe, für einen Moment nur. Und dann, ja dann erhebt Nadje Noordhuis ihre Stimme. Das Flügelhorn verbreitet einen samtenen Klang, der sich im Raum ausbreitet. Dazu gesellt sich die Harfe mit ihren nur wenig nachhallenden Saitenklängen. Beim Hören hat man das Bild von dahinziehenden Wolken vor Augen, muss an den Flug von Albatrossen denken, die im Wind über den Ozean segeln. Zugleich aber hat man auch Bilder der Hochebenen Norwegens vor Augen, meint man durchstreife musikalisch begleitet das Dovrefjell. Unverstellt ist dabei der Blick. Grenzenlosigkeit erfasst den Hörer. Nachfolgend durchstreifen wir mit dem Ensemble um Nadje Noordhuis den „Indian Pacific“. Und auch hier scheinen wir von der Thermik und den Winden getragen, scheint der Eindruck sich aufzudrängen, man würde wie Nils Holgersson über die Landschaften Skandinaviens dahinfliegen, würde Seenplatten und Fjorde in den Lüften überqueren. Und stets scheint im Geist auch Jan Gabarek dabei zu sein. Hier und da erinnert den Berichterstatter das virtuose Spiel von Noordhuis an den norwegischen Trompeter Mathias Eick, diese Bemerkung sei erlaubt. Zugleich haben die Kompositionen von den Harmonien her auch Bezüge zu Lars Danielssons verschiedenen Alben namens „Liberetto“. Ein Wohlklang ist das Solo des Gitarristen Jesse Lewis, dabei durchaus wohl den Duktus skandinavischer Folklore aufnehmend und gelegentlich mit Nähe zu Mark Knopfler, oder?
In sehr lyrischem Duktus und mit beinahe einer Attitüde klassischer Etüden kommt „Waratah“ daher. Der eine oder andere Hörer würde vielleicht von kammermusikalischen Adaptationen sprechen. Sehr fein eingestreut ist das „Fingerpicking“ der Harfenistin, der in diesem Stück ein Solo eingeräumt wird. Gegenüber der Stimmgewalt des Horns hätte dieses Saiteninstrument, das vor allem in der höfischen Musik und in jüngster Zeit im New Age von Bedeutung war, kaum eine Chance, sich Gehör zu verschaffen.
Hall und Echo dringen ans Ohr des Hörers, wenn „Silverpoint“ erklingt. Das Bild von Dreitausendern und hochgelegenen Almen mit rot-geflecktem Milchvieh flackert auf. Aber für die Vollendung dieses Bildes hätte es eigentlich Alphörner bedurft. Doch auch eine Trompete kann durchdringend von Bergkuppe zu Bergkuppe klingen und eine musikalische Botschaft vollmundig verbreiten. Und was hören wir im Hintergrund? Einen satten Synth-Teppich? Es scheint so. Teilweise wird der Hörer mittels der Musik auch in einen Zustand der Tiefenentspannung versetzt, kann seinen Gedanken und Tagträumereien nachgehen. Abschließend noch ein paar Worte zu „Gullfoss“. Dabei handelt es sich um einen Wasserfall im Süden Islands, der die Quelle der Inspiration war. Der Klang einer Rahmentrommel ist zu hören, oder? Und dann wird wie in anderen Stücken des Albums die Klangfärbung von der Trompeterin und dem Gitarristen bestimmt, die ganz kurz mal in einen Zweigesang einstimmen. Intensiv ist der rollenden Trommelschlag, den wir vernehmen. In langen Wellen bewegen sich die Linien, die Nadje Noordhuis uns zu Gehör bringt, begleitet von einem steten Auf und Ab der beiden Saitenvirtuosen, die dabei den Schraffuren folgen, die die Trompeterin zeichnet. Fazit: Ein Album, das fürwahr „nordisch“ ist, vom Charakter, vom Impetus, von den Harmonien und dem Duktus her. Zugleich aber ist es auch eine mondiale Musik, die wir erleben.
© ferdinand dupuis-panther
Infos
https://www.littlemysteryrecords.com
https://www.nadjenoordhuis.com
Line-up
Nadje Noordhuis - trumpet, flugelhorn, electronics, compositions
Maeve Gilchrist - harp
Jesse Lewis - guitar
Ike Sturm - bass
James Shipp - synthesizers, percussion
Tracks
1. Migration 04:44
2. Indian Pacific 05:32
3. Waratah 04:02
4. Silverpoint 07:00
5. Killarney 06:28
6. Seven Miles 06:23
7. Laneway 02:09
8. Gullfoss 05:02