MSM SCHMIDT - UTOPIA
M
Laika Records, Bremen
Was Michael Schmidt mit dem fünften Album „Utopia“ präsentiert ist ein bombastisches Klangerlebnis des Jazzrock. Gut, der Begriff Fusion wäre gewiss auch angebracht. Dass ein solches Album in Bremen und nicht in den USA produziert wurde, ist für diejenigen ein Glücksfall die die rockigen Töne im Jazz schätzen und dabei nicht stets an The United Jazz & Rock Ensemble oder Spyra Gyra denken.
Exquisit sind die Musiker, die Michael Schmidt für sein Projekt gewonnen hat, so u. a. Charlie Bisharat (violin), Till Brönner (trumpet), Vinnie Colaiuta (drums), Luis Conte (percussion), Brandon Fields (soprano, alto, tenor saxophone), Mitchel Forman (coproducer, piano, synthesizers), Bon Franceschini (tenor saxophone), Bob Mintzer (tenor saxophone) und Oz Noy (guitar). Mit diesen Musikern besteigen wir einen Luxusliner, der über hohe Klangwellen schaukelt und uns in die Weite des musikalischen Ozeans entführt.
An der Weser sticht der Ozeanriese des Jazz-Rock und Fusion Jazz in See. Auf der Kommandobrücke erleben wir Michael Schmidt. Im bürgerlichen Leben ist er Sachbearbeiter einer Versicherung, aber seine eigentliche Passion ist gewiss die Musik. „Ich lebe in einer wahr gewordenen Utopie“, erklärt MSM Schmidt, „Ich genieße es, Kompositionen für besondere Musiker zu schreiben und mit ihnen gemeinsam Musik zu machen.“ Mehr als zwei Dutzend Jazzrock-Legenden konnte er für die Produktion von „Utopia“ gewinnen und eine virtuelle Allstar-Band zusammentrommeln.
Der Arbeitsprozess für ein derartiges Album ist langwierig. Zunächst werden am heimischen Keyboard und mithilfe eines Computer-Programms Demoversionen entworfen. An denen haben dann Jimmy Haslip und Mitchel Forman solange herumgefeilt, bis es Michael Schmidt gefallen hat. „Bis ein Album komplett fertig ist, vergehen im Schnitt drei Jahre“, verrät Schmidt. „Ich bin – insbesondere was den Klang angeht – sehr perfektionistisch und eigentlich nie so richtig zufrieden, weil es immer wieder Sounds gibt, die optimierungsbedürftig sind“. Dass Schmidt auch ein bekennender Science-Fiction-Fan ist, unterstreichen Stücke wie „Si Kitu“ – Schmidts Hommage an die „Mutter der Entropie“ aus den Perry-Rhodan-Romanen. Hierzu ein O-Ton anbei: „Eine Komposition mit meinen beiden Lieblingszutaten“, erklärt Schmidt, „einem langsamen Spannungsaufbau und einem musikalischen Thema, das mehrfach variiert wird.“
Wer nicht in der Welt von Science-Fiction und intergalaktischen Sphären daheim ist, der wird über die Titel der Kompositionen gewiss stolpern. Da ist noch eingängig von „Orbit“ die Rede, aber auch von „The Fifth Element“ oder „ Si Kitu“ (Mistress of Entropy)“. Doch vielleicht ist das Übersinnliche, das Fiktive, bezüglich der musikalischen Strukturen nicht wesentlich. Klar und prägnant bekannte der Macher der virtuellen All-Star-Band in einem Beitrag im Jazzpodium, 7/8, 2015: „... Und meine Musik ist nicht ECM, nicht elegisch, sondern sie lebt vom hektischen Betrieb und den überraschenden Wendungen.“
Sphärenklang und Glockenspiel verbunden mit einem satten, fordernden Bläsersatz und harten Beats – so kommt „Paranormal Activity“ daher. Elegisches ist ebenso fern wie Lyrisches. Dramatik pur wird zelebriert mit und ohne Synthesizer und Elektroniksamples. Die Bläser sind nie dem gängigen Big-Band-Sound verbunden, sondern sind Blood, Sweat & Tears und Chicago viel näher, auch in solistischen Einlagen, wie denen von Bob Mintzer und Eric Marienthal. Mit „Orbit“ lassen wir uns auf ein galaktisches Musikabenteuer ein. Neben dem sehr einprägsamen Sopransaxofon in den Händen von Brandon Fields drängt sich der Gitarrist Oz Noy auf. Lauscht man dem Solo von Brandon Fields, dann vermeint man, tanzende tonale Glückwürmchen vor sich zu sehen oder aber das Funkeln der Sterne und das Licht der Milchstraße vor Augen zu haben. Lässt man sich anschließend auf das Pianosolo von Mitchel Foreman ein, meint man hingegen, in der Welt des Pianojazz von Erroll Garner und Oscar Peterson unterwegs zu sein. Vertrackte Metren sind es, die für „LV-223 (Virtual Donati)“ charakteristisch sind. Zudem, das ist heute sehr selten, bekommt auch die Violine, gespielt von Charlie Bisharat, ihren Platz im Klangbild der Band.
Wer den Titel „5 th Element“ liest, der denkt wahrscheinlich an den französischen Science-Fiction-Film mit gleichem Titel: 1997 entstand der Film unter der Leitung von Luc Besson. Unter den Schauspieler waren Bruce Willis, Gary Oldman und Milla Jovovich. Die Geschichte spielt im Kern im 23. Jahrhundert und dreht sich um das Überleben auf dem Planeten Erde, wofür der Taxifahrer und ehemalige Elitesoldat Korben Dallas (Bruce Willis) verantwortlich ist, der einer jungen Frau (Milla Jovovich) begegnet. Nur wenn sie vier geheimnisvolle Steine finden, können sie die Erde gegen einen außerirdischen Angriff schützen. So ist kurz und knapp die Geschichte. MSM Schmidt gibt in O-Töne nur schwammige Hinweise darauf, dass er diesen Kultfilm in seine Komposition hat einfließen lassen. In welcher Art und Weise bleibt dabei jedoch offen.
Getragene Violinenpassagen stehen am Anfang des Stücks. Gepaart sind diese mit starken Pianozäsuren. Das melodramatische Spiel der Violine setzt sich auch im weiteren Verlauf fort. Dann hebt Till Brönner zu seinem raumfüllenden Solo an. Klanggaloppaden sind zu vernehmen, die von den weichen Saitenklängen der Geige abgelöst werden. Schließlich drängt sich auch Mitchel Forman an seinem Tastenmöbel ein wenig auf, sich dabei mit dem Geiger Charlie Bisharat ablösend. Während andere Stücke auf dem Album eher auf Rabatz und Attacke gestrickt sind, ist das „Fünfte Element“ eher zahm angelegt. Es wäre allerdings abwegig von symphonisch oder kammermusikalisch zu reden, auch wenn durch das Element Streicher derartige Anmutungen naheliegen.
Die Physik kennt gedämpfte Schwingungen, periodische Schwingungen und Sinusschwingen, aber kosmische Schwingungen kennt wohl nur MSM Schmidt, dem „The Cosmic Swing Theory“ zu verdanken ist. Dabei agiert Wolfgang Haffner an den Drums, Mitchel Forman an den Keyboards, Chuck Loeb an der Gitarre und Nicolas Fiszman am Bass. MSM Schmidt ist an den Synthesizern zu hören. Die Hörfarbe wird bei dieser Komposition nachhaltig von der Gitarre (Chuck Loeb) bestimmt. Losgelöst im Hier und Jetzt agiert Chuck Loeb gemeinsam mit dem Keyboard-Spieler Mitchel Forman. Da schwingen Saiten behutsam, jaulen milde, „weinen“ verhalten und lassen das Bild eines Ballons entstehen, der sanft dahingleitet. Finger hopsen über Tasten in Schwarz und Weiß;. Sticks tanzen rhythmisch über Blech und Fell.
Mit „Lober's Groove“ klingt das Album ganz gelungen aus. Dabei ist eine gewisse Beimischung von Funk und Latin Beats nicht zu überhören. Gepaart wird dies mit einem „Bläserinferno“ und einem feurigen Saitentanz, den Charlie Bisharat auf seiner Geige ausführt. Fusion in its best!
Text: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Laika Records
http://www.laika-records.com/
MSM Schmidt
http://www.msm-schmidt.com/