Motek: Après Avant
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Brambus Records 201481-2
Nun liegt das dritte Album der Lieblingsjazzband des Labelgründers Paul Rostetter vor. 1987 lief das Leben von Paul Rostetter noch seinen gewohnten, etwas monotonen Weg, tägliche Mitarbeit bei einer Schweizer Bank. Als aber immer wieder hervorragende musikalische Gäste in Chur sich darüber äußerten, dass sie einfach kein passendes Plattenlabel finden würden, sprang Rosetter in diese Nische, wohl ein wenig blau-äugig, Neuland betretend, in einem weiten Ozean von Klängen, die Gehör verdienten! Wie nur, wie schafft man es, ein kleines Label nicht nur am Leben zu erhalten, sondern auch zu einem, wenn auch in bescheidenem Rahmen, florierenden Unternehmen zu machen? Ganz einfach, durch eine Art Crowdfunding: Anfang 1999 wurde der „BRAMBUS-CLUB" für interessierte Musikfreunde/Innen ins Leben gerufen, hier können sich Labelanhänger finanziell an Brambus beteiligen und erhalten dafür als „Zins" nicht nur kostenlose CDs, sondern auch Freitickets, VIP-Einladungen etc. Bis heute produziert Brambus Records unentwegt und setzt sich dabei besonders nachhaltig für den Schweizer Jazz ein.
Ehe wir nun ein bisschen beim Reinhören von 'Nachher-Vorher' chillen, wollen wir uns kurz dem Bandnamen widmen. Die Band um den Trompeter Kurt Söldi, der sich den Drummer Andreas Schmid, den Spezialisten für Electronics Christian Rösli, den Pianisten und Synthesizerfreund Alain von Ritter, den Bassmann Jean Pierre Dix und als Mann am Plattenspieler DJ Little Maze in seine Combo geholt hat, nennt sich Motek. Wäre die Band aus dem Ruhrpott, dann wäre Motek ein Begriff der Bergleute und bedeutet schlicht Hammer. Doch in der Schweiz?
Ein wenig überrascht ist der Zuhörer auch, wenn er bei einigen Kompositionen – sie stammen bis auf zwei von Söldi – Sprechgesang in französischer Sprache hört. Ist das eine Verbeugung der deutschsprachigen Bandmitglieder vor der mehrsprachigen Schweiz, in der Rätoromanisch, Deutsch in eigener Einfärbung, Italienisch und Französisch gesprochen werden?
Lassen wir uns nun endlich über die Musik sprechen, die man mit Fug und Recht als Nu Jazz charakterisieren kann und mit der Anlehnung an Drum 'n Bass sowie Hip Hop auch ein junges Publikum anspricht. Auch das Cover erscheint mit einer Mischung aus Basquiat und Keith Haring recht hip und auf eine Klientel der 25Pluser gerichtet.
Einem beinahe Dreitausender ist der Titel 'Drusator' gewidmet, die erste Einspielung der aktuellen CD, auf der Kurt Söldi immer wieder durch seine Trompetensoli zu überzeugen weiß. Scheinbar im Geiste von Miles entlockt er seinem Blasinstrument alle Töne des Registers, während der Beat allmählich zunimmt, dank sei dem Schlagzeuger des mehrköpfigen Ensembles. Beinahe ostinato sind die Basssequenzen, die wir vernehmen. Dazu gesellen sich elektronische Vibrationen, die sich über den wiederkehrendem „Bassgesang“ legen. Dann dringt wie aus dem Off wieder der satte Trompetensound ans Ohr des Zuhörers, der sich nach und nach in den Chill-out-Modus versetzen lässt. Schließlich hat auch der Mann am Plattenspieler seinen Auftritt und entlockt dem Vinyl, was dem Vinyl zu entlocken ist. Mit dem Scratching treten verzerrte Stimmen in einen Dialog, ehe dann wieder der „Trompenteppich“ ausgebreitet wird. Synthesizer erzeugen obendrein wiederkehrende Klangfolgen. In ähnlicher Weise wie beim ersten Stück sind auch die übrigen Kompositionen strukturiert. Hier und da gibt es mal Abweichungen, auch und vor allem akustischer Natur. So meint man eine Vogelflöte zu vernehmen, wenn man die Liveaufnahmen 'Le Soleil Chauffe' hört und in einem anderen Werk sind gar zirpende Grillen zu vernehmen. Doch stets lautet das Motto: Let's chill out. Kein Wunder: Nu Jazz vom Feinsten serviert uns Motek.
Gutdünken und freies Ermessen lautet die deutsche Übertragung des zweiten Werktitels namens 'Arbitrage'. Zumindest frei auf spielen die Mannen um Söldi: Begonnen wird mit Piano- und Synthesizereinführungen, zu denen ein zartes Schlagwerk gesetzt wird. Wohl mit ein wenig Hall unterlegt ist das Trompetenspiel, denn sonst wäre der volle Sound nicht zu erklären. Das Largo der Phrasierungen wird nicht durch den schnellen Rhythmus gestört, den der Schlagzeuger gekonnt umsetzt. Bilder entstehen in unserem Kopf, so von filmischen Aufnahmen der Schweiz von oben oder von Pistengängern und Caféhausbohemiens, die es sich gut gehen lassen. Ach, sind da etwa Zikaden oder Grillen am Zirpen? Doch dieser Hörgenuss wird schnell von den Trommelwirbeln in stetig sich erhöhender Frequenz abgelöst.
Lauscht man '1.40 am' – welch ungewöhnliche Zeitangabe – dann meint man, die Stadt in der beinahe gänzlich eingetretenen Nachtruhe zu erleben. Wenige Nachtarbeiter sind noch unterwegs oder schaffen an ihrem Arbeitsplatz. Hört man da etwa einen Türmer in sein Horn blasen? Das kann in dieser Herrgottsfrühe nicht sein. Klack-klack-klack – es fallen dicke Regentropfen und spärlicher Verkehr setzt ein, der durch ein behäbiges Solo von Söldi musikalisch eingefangen wird. Wir meinen, Turmuhren schlagen zu hören und eine aus dem Tritt gekommene Ampelanlage zu vernehmen: klick-klick-klick.
Derartige oder ähnliche Bildsequenzen begleiten den Rezensenten auch durch die übrigen Titel, so wie 'Message for the Emptiness'. Zwei Bonustracks von Liveauftritten in Bingen vermitteln einen sehr guten Eindruck davon, wie Motek mit dem Publikum spielt und der ausgefeilte Sound die Zuhörer einfängt. Dann ist auch von einer 'Depression in Tokyo', so ein der Titel der Livemitschnitte gar nichts zu verspüren. Irgendwann ist auch mit dem sehr kurz geratenen Titel 'Ende' ('End') der Ausklang der aktuellen CD erreicht. Wer nach dem Hören der aktuellen CD nicht völlig tiefenentspannt ist, der ist selbst schuld.
© ferdinand dupuis-panther
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