Mikkel Ploug Group feat. Mark Turner – Nocturnes
M
Stunt Records
Auf dem vorliegenden Album findet sich neben Plougs neuen Originalkompositionen auch Material der dänischen Komponisten Bent Sørensen und Carl Nielsen. Lesen wir mal den sogenannten Waschzettel zur Veröffentlichung und auch zur Band: „The quartet with Mark Turner, Mikkel Ploug, drummer Sean Carpio, and bassist Jeppe Skovbakke has released two albums together, honing and refining their sound as a unit. The quartet was formed in 2005 when the already-established international star Mark Turner met a group of up-and-coming younger musicians. … “It was exciting for me to see how our reunion would go,” says Mikkel. “It turned out to be incredibly easy and relaxed. Everyone was immediately involved in the project and gave 100 percent from the very first note.”
Der heute 43-jährige Gitarrist Mikkel Ploug hat eine eigene, unverwechselbare Sprache und Ausdrucksform gefunden, so schreibt man in All About Jazz über ihn. Und das Jazzpodium versteigt sich sogar darin, ihn der Champions League des Gegenwartsjazz zuzurechnen. Den Gitarristen begleitet der irische Drummer Sean Carpio. Beide haben sich am Konservatorium in Den Haag kennengelernt. Langjährig ist zudem die Verbindung mit dem dänischen Bassisten Jeppe Skovbakke. Schließlich ist da noch der Saxofonist Mark Turner.
Mit milden Nächten in Stockholm macht das Album auf. Dem Stück wohnt ein wenig der Modus eines Kinderliedes bei, eines Schlafliedes. Nach und nach malt vor allem der Saxofonist das Bild einer Stadtkulisse, die in die untergehende Sonne getaucht wird und dann im Nachtschatten versinkt. Mikkel Ploug - und das ist für einen Gitarristen eher untypisch - begleitet seine Gitarrenpassagen auch stimmlich. Ob das unbewusst geschieht oder intendiert ist, müsste man Mikkel Ploug fragen. Schon im Titel ist bei „Mignon, Und die Sonne geht unter“ vom Sonnenuntergang die Rede. Zugleich stellt sich die Frage, ob die Musiker sich in diesem Stück auf Mignon aus Goethes „Wilhelm Meister“ beziehen und in welcher Weise. Nun gut, lassen wir das einmal beiseite und widmen uns dem Klangeindruck. Weich zerfliessen die Saxofonklänge. Sie scheinen zugleich dahin zu schweben wie zarte Abendwolken, die sich über den Sonnenball legen. Die Hektik des Alltags verschwindet. Abendruhe wird besungen. Dabei drängen sich Abendansichten romantischer Maler auf, die das Ensemble in eine Klanglandschaft umsetzt. Und dann hören wir Mikkel Ploug singend seine Saitengriffe begleiten. Wir vernehmen dabei beinahe kristalline Klanglinien, die nachfolgend von feinstem Saxofongehauche überlagert werden.
Von den Harmonien her muss man bei „Und die Sonne geht auf“ auch an „Der Mond ist aufgegangen denken“, obgleich ja nun die Sonne aufgeht. Die melodischen Linien bringen dabei zum Ausdruck, dass die Sonne sich sehr langsam erhebt. Der Morgen bricht sich mit Tageslicht nach und nach seinen Weg. Doch von urbaner Hektik ist nichts zu spüren. Irgendwie meint man, der Gitarrist wolle uns bei seinem Spiel auch ein wenig den Morgentau spüren lassen, der über dem Gras liegt. Oder hört man den ersten morgendlichen Sprühregen, der niedergeht? Hier und da scheint in den Klangfärbungen ein wenig Melancholie durch. Diese wird durch die Passagen, die der Gitarrist spielt, durchbrochen. Talbot singt ein Hohelied auf den neuen Tag, so meint man. Und auch in diesem Stück begleitet er sich dabei mit seiner Singstimme. Nachfolgend hören wir eine Hommage auf Monet. Haben die Musiker seine Seerosenteiche als Quelle der Inspiration für ihre Musik gewählt oder doch eher einen Sonnenaufgang am Hafen von Le Havre? Man müsste Mikkel Ploug befragen. Sehr lyrisch jedoch ist das Stück angelegt. Das Saxofon schnurrt in allen Lagen, die das Tenorsaxofon möglich macht. Im Duktus jedenfalls fügt sich das Stück nahtlos an die Vorherigen an.
Sehr fein gesetzte Saitenklänge machen „Sigrid's Wiegenlied“ aus. Nein, es gibt keine Lyrik für das Wiegenlied. Diese müssen wir uns zum Spiel der Gitarre denken, die gleichsam instrumental ein Lied anstimmt, mit dem das Kind in den Schlaf gesungen wird. Das ist ein besonderer Ohrenschmaus auf dem Album, weil Mikkel Ploug gänzlich solistisch unterwegs ist.
Zum Abschluss soll noch auf „Nocturnal“ eingegangen werden. Sehr verhalten ist der Duktus. Dabei wird die Nacht, die weitgehende Stille, die Abwesenheit des Alltagslärms auf den Punkt gebracht. Nicht nur durch die beinahe zerbrechlich wirkenden Gitarrenklänge. Mikkel Ploug lässt ein perlendes Spiel erklingen. Alles fließt geruhsam dahin – so signalisiert es die Musik. Es ist so, als würden, die Musiker mit Pastellkreiden eine Nacht in bläulich-schwarzen Tönungen malen. Hier und da brennt hinter den Fenstern ein warmes gelbes Licht. Menschen, die unterwegs sind, werfen im Umkreis von Laternen ihre Schatten. Nach und nach erlischt auch das letzte Licht hinter Gardinen. Nachtruhe ist angesagt!
© fdp 2023
Line-up
Mikkel Ploug (g)
https://www.mikkelploug.com
Mark Turner (ts)
https://en.wikipedia.org/wiki/Mark_Turner_(musician)
Jeppe Skovbakke (b)
https://www.ilkmusic.com/collections/jeppe-skovbakke
Sean Carpio (d)
https://www.seancarpio.com
Tracks
Stockholm Night Lights
Mignon, Und die Sonne geht unter
Only lower your head, you flower
Lacrimosa
Und die Sonne geht auf
Monet
Sigrid's Wiegenlied
Peace Chant
Nocturnal
Song Can Tend the Ailing Spirit