Michel Reis - Short Stories (fdp)
M
CAM Jazz
Zum Album lesen wir in einem Begleittext: „Sometimes music is abstract. Sometimes it is purely an invitation to dance. Sometimes it exists to protest against a wrong. And sometimes it exists simply to tell us a story." Kurzgeschichten – ein Genre, das im deutschsprachigen Raum nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs über Jahre die Literatur bestimmte – erzählt uns der luxemburgische Pianist Michel Reis, obgleich eine stringente Zuordnung zwischen Kompositionstitel und Duktus sowie Melodiefluss nicht gegeben zu sein scheint.
Mit „ Sunae 2“ eröffnet Reis sein Soloprojekt, um es dann mit „From the eyes of old“ und „How it all began (The Story Of Mr. Potes)“ fortzuseten. Der Pianist fällt zudem in einen Monolog („Monologue“), ehe wir „Could I see you again“ sowie „Road to Dilijan“ zu Gehör gebracht bekommen. Mit „Bells“ und „Goodnight“ schließt sich dann der Kreis der musikalischen Kurzgeschichten.
Beinahe wehmütig erscheint die Eröffnung von „Sunae II“. Und auch im Weiteren gibt es keine Stimmungsaufhellung. Nicht Frühlingsduft, sondern eher November-Blues umfängt den Zuhörer. „From the eyes of old“ hingegen strahlt Lebendigkeit, Lebensfreude und Schwerelosigkeit aus. Da tanzen die Tasten unter den Fingern von Michel Reis, der uns glauben macht, wir würden ungezwungenem Kinderspiel beiwohnen; Fangen, Verstecken sowie Himmel und Hölle ist angesagt.
Aus rollenden Klangtiefen heraus entwickelt sich „How it all began (The Story Of Mr. Potes)“. Schlendert da nicht Mr. Potes durch die Anlage des städtischen Parks? Oder macht er gerade einen entspannten Schaufensterbummel, hält ein, schaut und geht weiter, ohne Hast? Ds sind mögliche Bilder, die sich beim Zuhören aufdrängen können.
Zu den kurzen Geschichten, mitnichten mit Miniaturen zu vergleichen, gehört auch „Monologue“, ganz im Diskant gegründet. Wer genau zuhört, hat allerdings eher den Eindruck eines Dialogs zwischen der beinahe zerbrechlichen Stimme der rechten Hand und der aufgeladenen Stimme der linken Hand. Dabei perlt das Spiel der Rechten, derweil die Linke für die Erdung sorgt. Monolog kann auch ein inneres Zwiegespräch sein, oder? So sind die gegenläufig erscheinenden Linien zu deuten, die Michel Reis uns präsentiert.„Could I see you again“ ist aufgrund des Duktus mit einem sprudelnden Quell und einer Stromschnelle zu vergleichen. Alles ist unentwegt in Bewegung, alles drängt voran. Hindernisse sind nicht vorhanden. Rinnsale verstetigen sich; aus einem Bach wird ein Fluss, auf dem wir uns treiben lassen, dank an Michel Reis.
Mit Michel Reis sind wir auf der „Road to Dilijan“ unterwegs: Als würden Regentropfen aufs Pflaster schlagen, so klingt es, was wir zunächst hören. Man könnte aber auch an feine Schneeflocken denken, die am Boden gefrieren. Menschenleer scheint die Straße, auf der wir unterwegs sind. Mühselig ist der Weg, so der Eindruck, den die melodischen Linien hinterlassen. Langsamkeit ist das Gebot der Stunde. Der Weg ist halt das Ziel. Kontemplation ist dabei Teil des Wegs.
Sprunghaft sind die Klangfolgen bei „Bells“. Hell tönend erscheinen die Glocken. Doch auch der eine oder andere Tieftöner lässt sich vernehmen. Verschränkt sind die Läufe in den Höhen des Diskants und den Tiefen des Basses. Kaskadierende Klangfolgen dringen ans Ohr des Zuhörers, der zugleich auch bedrohliche Dunkelheit wahrnimmt. Reizvoll ist gerade der Widerstreit zwischen Bass und Diskant. Beinahe wie eine Riesenwelle, mehrfach überschlagend, nimmt man die beiden Linienstränge wahr, aus denen die Komposition collagiert ist.
Einem Abendlied aus der Feder von Matthias Claudius gleicht „Goodnight“. Abenddämmerung zieht auf. Die Nacht ist nahe. Das kann man dem Duktus des Spiels entnehmen. Auch die nächtliche Stille hat in dem Spiel von Michel Reis ihren Platz. Im Übrigen muss man auch an ein Lullaby denken, mit dem die Kurzgeschichten enden.
text: © ferdinand dupuis-panther
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