Michael Wollny / Joachim Kühn – DUO
M
ACT
Die vorliegenden Aufnahmen entstammen einem Mitschnitt aus der Alten Oper Frankfurt. Dabei sind zwei Generationen von Jazzmusikern zu hören: Joachim Kühn (Jg. 1944) und Michael Wollny (Jg. 1978).
In der Pressemitteilung lesen wir über die Zusammenarbeit der beiden Musiker Nachstehendes: „Beide verfügen über einen wachen und enorm kreativen Geist, über die Tugend des Zuhörenkönnens und die Sicherheit, die es ihnen ermöglicht, im richtigen Augenblick das Richtige zu tun und den Duo-Partner und manchmal auch sich selbst zu überraschen. Zum ersten mal im Duo spielten Kühn und Wollny im Oktober 2008 auf dem Album „Piano Works IX: Live At Schloss Elmau“. Und schon damals gelang ihnen der schwierige Balanceakt zwischen den grenzenlosen Möglichkeiten von 176 Tasten und der Sensibilität der es bedarf, um innerhalb dieser Möglichkeiten die richtigen musikalischen Entscheidungen zu treffen.“
Zur Frage, ob der Jazz noch existiert oder schon tot sei, heißt es im Pressetext: „…Man hört zwei Musiker, deren Wege immer wieder auseinanderlaufen, um sich erneut zu treffen und die am Ende gemeinsam ein Requiem für Joachims Bruder Rolf spielen. Und natürlich ist das Jazz, was sonst?“
Bis auf „Somewhere“ (comp Ornette Coleman) stammen alle übrigen Stücke aus der Feder der beiden Musiker/Pianisten. Zu Beginn hören wir „Vienna Pitch“ von Michael Wollny. Bei den ersten Klängen umgibt uns der Hauch von klassischer Klaviermusik. Das setzt sich auch im Weiteren fort. Da nehmen wir perlendes Tastenspiel ebenso wahr wie „Klangkommentierungen“. Selten jedoch ergießen sich tiefe Klangphrasen. Eher bewegt sich die Musik im Diskant, auch hier und da kaskadierend und an Wildwasserströme denken lassend. Klangrauschen und Klangsprudeln erleben die Zuhörer obendrein. Auffallend ist schon bei diesem ersten Stück, dass die beiden Akteure die Klangflächen der beiden Flügel von A bis Z ausnutzen. „Eclat“ (Joachim Kühn) heißt es nachfolgend. Hören wir da nicht Liedgut, das an Schubert anknüpft? Verspielter Klangfluss dringt an unser Ohr. Man mag beim Hören das Bild von einem sich in die Tiefe ergießenden Wasserfall haben, aber auch von feinsten Regentropfen, die Laubblätter treffen und zu Boden fallen. Konzertant mag eine zutreffende Charakterisierung für das Stück sein, das ganz zu Beginn auch ein wenig wehmütig daherkommt. Nein, nichts ist von Free Jazz zu spüren, den Joachim Kühn in jungen Jahren einst pflegte. Beim weiteren Zuhören drängt sich zudem die Vorstellung von „Wenn alle Brünnlein fließen“ auf, ohne dass es direkte Bezüge zu dem gleichnamigen Volkslied gibt. Doch von der vermittelten Stimmung her drängt sich hier und da der Eindruck der Volksweise auf, vermischt mir romantischer und neoromantischer Musik, oder?
„Fatigue“ (Michael Wollny) bezeichnet eigentlich ein Krankheitsbild, das den Zustand außerordentlicher Müdigkeit und mangelnder Energiereserven beinhaltet. Nun stellt sich ja die Frage, wie dies in Klangfolgen umgesetzt wird. Sind es die zarten Tonfolgen, die mit denen des Basses verschmelzen? Werden durch die scheinbar stufig gesetzten Tonfolgen Momente der Ermattung erfasst oder gar die Beschwerlichkeit von Aktivitäten? Gedämpft erscheint das, was wir vernehmen. Es scheint, als würden die beiden Musiker, die erzwungene Langsamkeit des Alltags einfangen. Feine Klangfontänen sind außerdem auszumachen bzw. Kristallines, das auf dunkeltönige Klänge trifft. Nach und nach scheint sich so etwas wie ein Malstrom zu entwickeln. Dramatisches gewinnt die Oberhand. Doch das ist nur eine kurze Momentaufnahme.
„Somewhere“ ist ein Verweis auf den Free Jazz, wenn nicht gar eine Hommage der beiden Pianisten für den Pionier des Free Jazz, den Altsaxofonisten und Komponisten Ornette Coleman. Der Duktus des Vortrags hat allerdings wenig mit dem unbändigen Free Jazz zu tun. Beide Musiker bleiben stilistisch im Konzertanten verwurzelt. Adaptationen klassischer Musik stehen im Fokus, so der Höreindruck. Man vermeint sich in die klassische Musik des 19. Jahrhunderts versetzt, mit und ohne starke Bassakzentuierungen. Nach „Aktiv“ (Joachim Kühn) - man achte auf die tieftönigen Klangwellen und den inszenierten „Theaterdonner“ - folgt mit „My Brother Rolf“ (Joachim Kühn) der Schlussakkord, zugleich ein Requiem für den verstorbenen Klarinettisten Rolf Kühn, siehe obiges Zitat aus dem Pressetext. Sehr getragen sind die ersten Takte. Doch dank des Klangflusses im Diskant hat das Stück wenig von einem schwermütigen, traurig gestimmten Requiem, sondern weiß durch lichte Klangfarben sowie kaskadierendes und „tänzelndes“ Tastenspiel zu überzeugen.
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Info
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