Matthias Bergmann - Pretend It's A City
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Float Music
In einem Pressetext zur Veröffentlichung liest man Zeilen wie: „Der Sound hat sich gewandelt, ist reifer, rauer und zugleich luftiger geworden, schon der Opener, eine von zwei Fremdkompositionen, eine Bearbeitung des Love Song der britischen Band The Cure, ist mehr auf die wunderbare Gitarre von Hanno Busch fokussiert, während Cord Heineking am Bass und Drummer Jens Düppe wie gewohnt im Hintergrund die Fäden ziehen und über allem das Flügelhorn des Bandleaders schwebt.“ Eine Hommage an Abdullah Ibrahim aka Dollar Brand ist auf dem Album „Pretend It’s A City“ ebenso zu finden wie ein wenig Folkloristisches aus der Feder des Saitenkünstlers Hartmut Preyer.
Bereits vom ersten Takt von „Love Song“ an wird man von Matthias Bergmanns sanftem Flügelhornspiel eingefangen, vermeint sich auf einem fliegenden Klangteppich, gleitet klanglich über Schäfchenwolken dahin, nimmt einen lauen Herbstwind wahr, genießt als Gleitschirmflieger im Klangkosmos die aufsteigende Thermik. In der Folge hört man feines Saiten-Gewebe des Gitarristen Hanno Busch. Und dann, ja dann entäußert sich der Trompeter und Flügelhornist für Sekundenmomente, eher er dann wieder in einen gleichwelligen Singsang verfällt. “Think Before You Talk“ wäre in diesen Zeiten so manchem Zeitgenossen mit auf den Weg zu geben.
Und Matthias Bergmann und seine Mitmusiker lassen uns musikalisch daran teilnehmen. In seinem Spiel lässt uns Bergmann an den Granden des Flügelhorns, den kürzlich verstorbenen Ack van Rooyen, denken. Da ummantelt uns Bergmann mit weichen Klang-Drapierungen, die sich auch im Spiel des Gitarristen wiederfinden. Hanno Busch sind auch Sequenzen zu verdanken, die im Charakter an eine Etüde denken lassen. Doch nachhaltig bleibt das vollmundige Gebläse von Matthias Bergmann im Gedächtnis, der sich mit Hanno Busch zu einem Duett vereint. Nicht zu überhören sind dabei melancholisch anmutende Untertöne, die aber rasch verdrängt und überspielt werden. „Over and Out“ strahlt ein wenig Parker oder auch Coltrane aus, nicht nur vom Duktus, sondern auch von den Harmonien her. Filigran ist bei diesem Stück das Spiel von Hanno Busch, der verschlungene Saiten-Klänge präsentiert, die über der dunklen Basslinie des Bassisten Cord Heineking liegen. Im Hintergrund agiert wirbelnd und durchaus zurückhaltend Jens Düppe. Sobald man Matthias Bergmann bei diesem Stück hört, hört man eine quicklebendige Trompetenstimme, die die Saiten-Schleifen aufnimmt und zu einem Klang-Dripping verbindet. Gar nicht behäbig und introvertiert zeigt sich der Bassist in seinem Solo, das in das Stück eingebettet wurde. Und danach ist man wieder im Thema und ganz und gar in einer Art Bebop-Welt, oder?
An einen der bekanntesten Jazzmusiker Afrikas wird man mit „Dollar Brand“ erinnert. Dollar Brand so hieß der Pianist Abdullah Ibrahim ursprünglich. Erleben wir dabei nicht auch ein wenig Fusion? Auf alle Fälle ist ein Fender Rhodes mit im Spiel, einen hochflorigen Klangteppich ausbreitend. Eindrucksvoll ist das Saitenspiel des Gitarristen, dessen Duktus ab und zu an Peter Green denken lässt, oder? Wir lauschen im Weiteren einer gedämpften Trompete und kaskadierenden Passagen auf dem Fender Rhodes. Und irgendwie driftet man unwillkürlich in die Sphären von Joe Zawinul und auch in das Fluidum des „African Market Place“ ab.
Bewegen wir uns bei „Rich Kids München“ in den musikalischen Sphären der Adderley Brothers, von Charlie „Bird“ Parker, Dexter Gordon und John Coltrane – das mag sich der eine oder andere beim Hören fragen. Das Stück groovt und beinhaltet auch eine Prise Soul und Swing, vor allem wenn die Klarinette von Claudius Valk erklingt. Mit „Read Before You Think“ stoßen wir wieder auf einen beinahe an Tucholsky erinnernden „Gedanken-Schnipsel“, der eine musikalische Umsetzung erfährt. Bedächtiges stößt an unser Ohr. Episch scheint das, was die Band vorträgt. Alles nimmt seinen Gang und läuft in festgelegten Bahnen ab, so scheint die Botschaft zu sein, oder? Ein Ohrenschmaus ist im Übrigen das Gitarrenspiel von Hanno Busch, eine Art Intermezzo, ehe Matthias Bergmann für Weichzeichnungen sorgt. Zuletzt hören wir auf dem Album „Sair“, geschrieben von Hartmut Preyer, der eine Art Laute spielt, 12-saitig. Der Begriff Portugiesische Gitarre kann zu Missverständnissen führen, da das Instrument keine Gitarre ist, sondern zu den Kastenlauten gehört und kleiner als eine Gitarre ist. Zudem ist der Bauch des Instruments ähnlich rundlich geformt wie bei einer mittelalterlichen Laute. Der Klang dieses Instrument ist viel schroffer und spitzer als der einer Gitarre. Bisweilen hat man den Eindruck, ein Cembalo würde erklingen bzw. man höre eine Mandoline. Über allem jedoch liegen die teilweise gedämpften Horn-Passagen von Matthias Bergmann und auch eine Klangmelange, die an ein Sopransaxofon erinnert. Doch dabei dürfte es sich um Claudius Valk an der Klarinette handeln, oder? Fazit: Durchgehend ist das Album ein klanglicher Ohrenschmaus. Beim Zuhören kann man sich fallen lassen; die Gedanken fliegen dahin und die Zeit auch. Wunderbar!
© ferdinand dupuis-panther
Infos
Musiker
Matthias Bergmann, Fluegelhorn, Trumpet
Claudius Valk, Bass Clarinet
Cord Heineking, Bass
Hanno Busch, Guitar
Hartmut Preyer, Guitarra Portuguesa
Hendrik Soll, Fender Rhodes
Jens Düppe, Drums
Tracklist
1. Love Song 06:37
M: Robert Smith/Dave Allen
2. Think Before You Talk 05:28
M: Matthias Bergmann
3. Over and Out 06:20
M: Matthias Bergmann
4. Dollar Brand 05:06
M: Matthias Bergmann
5. Rich Kids München 03:48
M: Matthias Bergmann
6. .. Read Before You Think 05:42
M: Matthias Bergmann
7. Thank You Anyway 06:15
M: Matthias Bergmann
8. Sair 04:11
M: Hartmut Preyer