Martin Wind/Philip Catherine/Ack van Rooyen - White Noise
M
Laika Records
Seit mehr als 20 Jahren lebt der aus Flensburg gebürtige Bassist Martin Wind samt Familie in New Jersey, im Dunstkreis von New York, der Welthauptstadt des Jazz. Und doch führte ihn der Weg nach Europa, um das Projekt „White Noise“ zu realisieren. Neben dem Bassisten und Bandleader Martin Wind sind der belgische Gitarrist Philip Catherine, unterdessen 77 Jahre jung, und der Doyen des Flügelhorns Ack van Rooyen am aktuellen Album beteiligt, der trotz oder gerade wegen seiner 90 Jahre noch immer auf den Bühnen des Jazz zuhause ist. Die beiden zuletzt Genannten kann man mit Fug und Recht als Ikonen des europäischen Jazz bezeichnen. „Weißes Rauschen“ lautet die Übersetzung des Albumtitels und das ist zunächst einmal irritierend. Was beinhaltet das denn? Zu definieren ist das sogenannte weiße Rauschen als ein konstantes Leistungsdichtespektrum und als stark höhenbetontes Geräusch. Nun gut, und was hat das mit Cole Porter, Jimmy Van Heusen, Jule Styne/Sammy Khan oder den Eigenkompositionen der drei am Album beteiligten Musiker zu tun? Sollte die Musik als Gegenpol zu den Geräuschwellen des Alltags anzusehen sein, als Klangoasen, in der auch stille Momente Platz haben? Außerdem fragt man sich, nach welchen Überlegungen die Auswahl der Standards erfolgte und warum keine Komposition von Philip Catherine aufgenommen wurde. Denn hört man das Album, so hat man durchaus den Eindruck von einem gleichberechtigt agierenden Trio, in dem jeder Beteiligte auch seinen solistischen Beitrag zum Besten gibt.
„Canter“ (Kenny Wheeler) ist zum Auftakt des Albums zu hören, gefolgt von „Everything I Love“ (Cole Porter) und Winds Eigenkomposition „White Noise“. „But Beautiful“ (Jimmy Van Heusen/Johnny Burke) ist ein weiterer Jazzstandard, den das Trio eingespielt hat. Martin Wind steuert mit „The Dream“ und „A Genius and a Saint“ weitere Kompositionen aus eigener Feder bei, während „Autumn Bugle“ Ack van Rooyen zu verdanken ist. Mit „I Fall in Love too Easily“ (Jule Styne/Sammy Khan) schließt das Album. Dies ist übrigens ein Titel, den auch Chet Baker, Keith Jarrett und Niels-Henning Ørsted Pedersen in ihrem Repertoire hatten. Veröffentlicht wurde das Stück 1944. Frank Sinatra machte den Song dann ein Jahr darauf im Film „Anchors Aweigh“ bekannt. Wieso also endet das Album mit diesem bekannten Standard? Der Aufgalopp mit einem Song des kanadischen Flügelhornisten und Trompeters Kenny Wheeler kommt gewiss der Besetzung des Trios entgegen, aber alle weiteren Standards lassen zunächst einmal Fragezeichen aufkommen.
Mit ein wenig Hall unterlegt ist der schwirrende, knarrende Bass, der zu Beginn von „Canter“ gestrichen wird. Es scheint, als werde dabei ein abziehendes Unwetter klanglich eingefangen. Nach der Einführung erfolgt eine kurze Zäsur und dann wandern Bassist, Flügelhornist und Gitarrist auf gleichen Klangpfaden. Über allem schwebt allerdings der weiche Klang des Flügelhorns. Dessen Melodielinien nimmt Catherine auf und setzt sie fort, derweil sich der Bassist in einem gleichförmigen Klangmuster auf- und abbewegt. Gleichsam wie ein lauer Wind streichen die Hornpassagen am Ohr des Zuhörers vorbei. Zwischenzeitlich setzt Philip Catherine rhythmische Akzente, für wenige Momente nur. Als nachhaltiger Höreindruck bleibt allerdings Ack van Rooyens Horngesang im Gedächtnis haften, auch jenseits des Themas.
Mit einer Prise Swing wartet das Arrangement von „Everything I Love“ (Cole Porter) auf. Und auch bei dieser Adaptation des Stücks ist das „Stimmvibrato“ von Ack van Rooyen überaus prägend. Zugleich spielt Philip Catherine auf allen Saitenregistern. Und dann, ja dann ist auch Martin Wind mit einem quirligen Solo zu erleben. Sphärische Klangschlieren und ein Anflug von Psychedelic Rock sind zu Beginn von „White Noise“ auszumachen. Dann jedoch kann sich der Zuhörer den tragenden Passagen des Flügelhornisten hingeben. Das, was wir hören, gleicht dem samtenen Schimmer von Glimmer und Bergkristall. Ausladende Saitensprünge unternimmt derweil der Gitarrist, der durchaus auch bluesige Stränge anklingen lässt. Doch eher scheint das Erzählende des Stücks von Bedeutung.
In die Nähe von Country Blues scheint die Interpretation von „But Beautiful“ (Jimmy Van Heusen/Johnny Burke) gerückt zu werden. Dabei schöpft das Stück aus der Klangpalette, auf der Philip Catherine die Farben angemischt hat. Er wird zurückhaltend von Martin Wind begleitet, der den „Höhenlinien“ Catherines mit erdigen Setzungen folgt. Bei „Autumn Bugle“ lässt Ack van Rooyen die verfärbten Blätter im Wind fliegen, folgt Catherine in seinem Gitarrenspiel einem im Wind tanzenden Papierdrachen, rauscht der Herbwind durch die Laubkronen der Parkbäume, schlurfen Füße durch das herabgefallene Blätterwerk. Derartige Bilder evozieren der Flügelhornist und Gitarrist, derweil dem Bassisten bei „Autumn Bugle“ nur eine bescheidene Nebenrolle des teilnehmenden Beobachters zufällt.
Zum Schluss noch ein Wort zu Martin Winds „A Genius and a Saint“: Beinahe im Gleichklang bewegen sich Bass und E-Gitarre zu Beginn des Stücks. Während der Bass das Thema im Weiteren beibehält, enteilt der Gitarrist in seinen Sequenzen zu Höhenflügen, zeichnet er in seinem Spiel gleichsam die ideale Thermik, die bestens zum Fliegen geeignet ist. Zu vernehmen ist ein Auf und ein Ab, ein Überschlag, ein Loop und mehr. Danach ist es dann an Martin Wind, dem Bass die Fesseln abzunehmen. Was wir hören, klingt streckenweise so, als ob man das majestätische Schreiten eines Silberreihers in Klangsequenzen gießen wolle.
© ferdinand dupuis-panther
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