Marshall / Jung / Ochsenbauer: „NIGHT BIRD - THOUGHTS ON CHET BAKER“

Marshall / Jung / Ochsenbauer: „NIGHT BIRD - THOUGHTS ON CHET BAKER“

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jawo records, JAW018

Die verborgenen Geheimnisse und die Freuden eines Bassisten – so der Titel zweier Alben, an denen Johannes Ochsenbauer maßgeblich mitgewirkt hat, stehen nicht auf dem Programm, sondern die Gedanken an den Ausnahmetrompeter Chet Baker, der wie so viele andere Jazzmusiker seiner Drogensucht zum Opfer fiel. Der Bassist Ochsenbauer spielt diesmal in einem Trio, hat also auch mehr Raum als bei seiner Band „Ochsenbauer trifft Sokal“. An seiner Seite sind John Marshall (tp,flh) und Alex Jung (g) zu hören. Wie Chet Baker auch verzichtete das Trio auf das Schlagzeug. Warum das bei Baker so war und bei dem aktuellen Trio so ist, erläutert John Marshall im „Klappentext“ des Albums: „ His play was very elegant and space was essential to it. Many drummers played too busy for him and would only get in his way. He would say 'It takes a very good drummer to be better than no drummer at all.' … We've tried to play in this spirit ...“.

 

Wer an Chet Baker denkt, der denkt zwangsläufig an dessen klares und schnörkelloses Spiel. Für seine Musik genügte eine Begleitung aus Gitarre und Kontrabass, so wies auch bei Marshall/Jung/Ochsenbauer der Fall ist. Dieses Dreiergespann präsentiert uns nun mit Trompete bzw. Flügelhorn, Gitarre und Bass ihre Gedanken zu Chet Baker, einem der wichtigen Vertreter des sogenannten West Coast Jazz. Bekannte und weniger bekannte „Standards“ sind es, die das Trio Marshall/Jung/Ochsenbauer spielt, darunter auch „My Funny Valentine“ und „Love Vibration“. Aufmacher des Albums ist das Stück „Broken Wing“ von Richie Beirach, einem us-amerikanischen Jazzpianisten, der bis 2014 Professor für Jazzklavier an der Hochschule für Musik in Leipzig war. Mit einem weichen Soundgewebe strickt John Marshall die Eröffnung der Komposition. Im weiteren Verlauf entwickelt sich ein schöner Kontrast zwischen dem hellen Klang der Gitarre und dem samtenen Klang des Flügelhorns. Dabei verfolgen Bass und Gitarre die Linie des Flügelhorns ganz hintergründig. Schließlich schweigt das Flügelhorn und nun sind Gitarre und Bass auf sich gestellt. Dabei hören wir die Phrasierungen der Gitarre und einen Bass, der sich um die rhythmische Unterfütterung kümmert, ehe er dann mit breiter Brust in einem Solo in Erscheinung tritt. Zum Schluss vereinen sich die Musiker in ihrem Spiel und stellen uns das Melodiethema erneut vor.

Bei „Have You Met Miss Jones“ müssen wir auf die Lyrik und den Refrain „Have you met Miss Jones / someone said as we shook hands / She was just Miss Jones to me.“ verzichten, aber können dafür umso mehr der Musik Richard Rogers', des Komponisten des Stücks, und dem aktuellen Arrangement unsere Aufmerksamkeit widmen. Gitarre und Trompete spielen dabei eine ganz entscheidende Rolle. Doch zu Beginn hören wir das dahinfliegende Gitarrensolo, zu dem sich der Bass weitgehend einsilbig verhält. Wie aus dem Nichts ertönt dann die „schrille“ Trompete. Mit emsigen Sequenzen versucht sie, an das „fliegende Gitarrensolo“ anzuknüpfen. Der Bass und die Gitarre stolpern, so hat man den Eindruck, dem dominant erscheinenden Blechbläser ein wenig hinterher. Nachfolgend begegnen wir Richard Rogers nochmals musikalisch, wenn das Trio „My Funny Valentine“ interpretiert. Übrigens, Chet Baker hat die Ballade aus dem Broadway-Musical „Babes in Arms“ auf dem Album „Baker in Tokyo“ 1987 eingespielt und auch die entsprechende Lyrik gesungen: „My funny valentine / Sweet comic valentine / You make me smile with my heart / Your looks are laughable / Unphotographable / Yet you're my favorite work of art ...“. Bei dieser Aufnahme spielt Baker mit einem 4tet, zu dem auch ein Piano und ein Schlagzeug gehören. So darf man gespannt sein, wie Marshall / Jung / Ochsenbauer den Standard musikalisch verpacken. Der Ansatz des Trios ist ein völlig anderer als der von Baker. Zu Beginn vernimmt man das sehr dezente und verhaltene Bassgezupfe. Im weiteren Verlauf erklingt dann auch die Melodie auf diesem Tieftöner, ehe dann die Trompete das Zepter in die Hand nimmt. Getragen, wehmütig und schwermütig sind die Adjektive, die man auf den Vortrag anwenden kann. Die Stimmung wird im Anschluss nur für einen kurzen Moment durch das Gitarrensolo aufgehellt. Meldet sich dann die Trompeter wieder, dann senkt sich eine bleierne Schwere auf die Zuhörer. Irgendwie beschleicht den Hörer der Eindruck, er lausche einem Trauerlied und nicht einer Liebesbezeugung, die auch die Worte „You make me smile with my heart“ umfasst.

Zu hören ist außerdem eine Komposition des Bassisten des Modern Jazz, Red Mitchell, der „Red Blues“ der Nachwelt hinterließ. Nun würde man vermuten, dass ein Bassist auch dem Bass den Vorrang gibt, wenn es um Einleitung oder Solos geht. Doch weit gefehlt. Die Gitarre kommt froh gestimmt daher. Auf sie stimmt sich dann die Trompete mit einer heiteren Weise ein. Oder ist es das Flügelhorn? Egal, das hat auf jeden Fall viel Pep und Drive und ist das genaue Gegenteil von „My Funny Valentine“. Außerdem muss man anmerken, dass endlich mal der dritte Mann zu Wort kommt: Der Bassist bekommt sein verdientes Solo.

Schließlich steht auch George Shearings „Conception“ auf dem Programm. Shearing, mehrfacher Grammy-Gewinner, war ein blinder us-amerikanischer Pianist britischer Herkunft und Schöpfer des sogenannten Shearing-Sounds, gründend auf dem Unisono-Spiel von Vibrafon, Gitarre und Klavier. Doch wie bekommt man ein solches Klangbild hin, wenn man als Trio keinen Vibrafonisten und Pianisten in den eigenen Reihen hat? Den Anfang macht die Gitarre, zu der sich die Trompete gesellt. Von Unisono kann bei diesem Zusammenspiel nicht die Rede sein. Es geht ja auch nicht um George Shearing, sondern um Chet Baker und dessen wenig ausschweifendes und lineares Spiel hat John Marshall nicht nur bei diesem Titel brillant umgesetzt.

Mit „Night Bird“ des italienischen Pianisten Enrico Pieranunzi endet die Hommage an Chet Baker. Dabei muss man wissen, dass der italienische Pianist diese Komposition 1980 mit Chet Baker eingespielt hat.

© ferdinand dupuis-panther

Informationen
Label
jawo records
www.jawo-records.com

Musiker

Johannes Ochsenbauer
www.ochsenbauer-bass.de

Alex Jung
www.alexjung.info

John Marshall
http://marshallbop.com/

Chet Baker
My Funny Valentine
https://www.youtube.com/watch?v=UOEIQKczRPY

Chet Baker und Enrico Pieranunzi
Night Bird
https://www.youtube.com/watch?v=L0rOzo3rCAs


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