Markus Niittynen Quartett - The Flashbacks
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Self produced
An dieser Stelle und gleich zu Beginn der Vorstellung der EP ein Zitat aus den Liner Notes, die der Pianist Aaron Goldberg geschrieben hat: „He thus displays both good taste and a refreshingly humanistic philosophy: eschewing both a stereotypically European quest for a ‘national’(istic) jazz aesthetic as well as the contemporary American obsession with identity politics in art, Markus follows nothing more or less than a purely musical logic. His tirelessly deep love for the greatest exponents of jazz music imbues the heart of his work.“
Nun ja, mit diesem Zitat eröffnet eine Diskussion über die Frage, ob es einen genuin europäischen Jazz gibt, der vielfach auch auf die lange Tradition klassischer Musik und der Interpretation us-amerikanischen Jazz gründet, ohne letzteren sklavisch zu kopieren. Gewiss mag der eine oder andere, der sich in das Klavierspiel von Markus Niittynen vertieft, Brückenschläge zu Erroll Garner oder Oscar Peterson sehen. Doch wird das dem finnischen Pianisten gerecht?
Ja, Niittynens Ensemble ist ein klassisches Quartett des Jazz: Joonatan Rautio (ts), Markus Niittynen (p), Heikko Remmel (b), Jussi Lehtonen (drs). Und auch hier könnte man bezogen auf den Duktus der Musik Linien zu us-amerikanischen Bands ziehen, ob nun zu Coltranes oder Parkers Ensemble. Doch wozu trägt das bei? Was man jedoch auf alle Fälle sagen kann, dass im Gegensatz zu einem Teil des Jazz aus Norwegen mit dem sogenannten prägnanten Fjordsound es in Niittynens Kompositionen keine finnische Entsprechung gibt. Nein, der Pianist aus Helsinki hat sich weder dem finnischen Volkslied oder dem finnischen Tango noch Sibelius gewidmet, als er die vier Stücke der vorliegenden Veröffentlichung geschrieben hat. Wenn man denn eine Etikettierung für die Musik wählen will, dann muss man wohl von Post-Modern Jazz reden. Zu hören ist keine überaus getragene Lyrik, keine tiefgehende melancholische Dramatisierung, keine Spur von Symbolismus, kein Hauch von ausladender Ballade. Die Musik ist durchgehend mitreißend. Das ist auch dem quirligen, prägnant perlenden und kaskadierenden Tastenspiel von Markus Niittynen zu verdanken. Was wir hören, ist ein opulenter Klang. Dabei zeichnet sich das Quartett dadurch aus, dass jeder der Beteiligten Raum für seine Klangfacette bekommt.
Doch beginnen wir etwas mehr ins Detail gehend mit „The Flashbacks“ (comp Markus Niittynen): Anfänglich bestimmt das Tenorsaxofon das Klangbild, scheint in klanglicher Action Painting aufzugehen, wild und spontan, gestenreich auf jeden Fall. Danach ist es am Bandleader Magnus Niittynen den Faden aufzugreifen und den Tastenfluss zu einem reißenden Strom werden zu lassen. Worauf wir allerdings zurückblicken oder die Musiker zurückblicken, muss offen bleiben. Doch der Titel der Komposition spricht von Rückblenden. Bei dem schnellen Tempo, das die Band an den Tag lenkt, muss man die Musik eher mit Rasanz assoziieren. Das scheint es keinen Rückblick zu geben, sondern immer nur ein stetes Vorwärtsstreben. Getrieben ist ein Adjektiv, das für die Musik auch passend erscheint.
„Slow Gold“ (comp Markus Niittynen) beginnt mit einer kurzen Piano-Intro, ehe die Klangfärbung dann von dem sonoren Gebläse des Tenorsaxofonisten bestimmt wird und sich der Pianist teilweise auf „kontrapunktische“ Klangantworten beschränkt. Im weiteren Verlauf ergibt sich dann ein dichtes Zwiegespräch zwischen Tenorsaxofonist und Pianist. Und in diesem Stück hat der eine oder andere vielleicht die vorschnelle Vorstellung, „Slow Gold“ stamme aus Coltranes Feder. Weit gefehlt! Sehr überzeugend ist das Spiel des Tenorsaxofonisten Joonatan Rautio, der alle Register zieht, ohne zu überzeichnen. In etwas ruhigere Gewässer steuert dann Markus Niittynen, allerdings nicht nur kaskadierend, sondern auch in sprunghaften Setzungen und Umspielungen auf einen Höhepunkt zusteuernd, ehe es erneut ins „Tutti“ geht. Und ist dann nicht gegen Ende auch ein bisschen Monk im Spiel von Niittynen zu erleben? Übrigens, der Rezensent empfiehlt mal im Nachgang zu „Slow Gold“ Coltranes „Slow Dance“ zu hören, um einen stilistischen Vergleich anstellen zu können.
Unterlegt unter das flotte Klappenspiel des Saxofonisten ist in „Do you mean this“ (comp Markus Niittynen) auch ein distinkter Basslauf, dank an Heikko Remmel. Was wir hören, gleicht einem klangliche Parforceritt. Vorneweg ist dabei der „aufgebracht erscheinende“ Tenorsaxofonist, begleitet von der agilen Rhythmusgruppe. Mit nicht gar so viel Verve agiert nachfolgend der Pianist, derweil der Holzbläser schweigt. Raum für Schlagwerkwirbel gibt es obendrein. Sie sind eher als Intermezzo zu bezeichnen, die den Klangfluss des Saxofonisten und Pianisten hier und da ein wenig aufsprengen.
Schließlich heißt es auf der EP dann „Since Then“ (comp Markus Niittynen und Lauri Kaira). Rückschau auf etwas Vergangenes – so könnte man beim Zuhören denken. Angelegt ist das Stück lyrisch und hier und da auch durchaus elegisch. Von Schwermut und Tragik, wie man sie in den Filmen von Aki Kaurasmäki erleben kann, kann jedoch nicht geredet werden, will man das Stück charakterisieren. Eher hat man das Bild von verschneiter Winterruhe, folgt man der feinen Melodielinie des Stücks.
© ferdinand dupuis-panther
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