Mark Lotz Trio - Turn On, Tune In, Drop Out!
M
Zennez Records
Was erwartet den Hörer? Da gibt die Info des Labels einen ersten Fingerzeig: „10 tracks in contemporary jazz inspired by a psychedelic hypothesis: The ‘Eight Circles Of Consciousness’ by LSD Guru Dr. Timothy Leary. Every track (except Relax And Flow and Isabel) is inspired by one of the circles of consciousness.“
Ja, vor Jahrzehnten sang man das Hohelied auf bewusstseinserweiternde Drogen. Doch das ist heute eher eine Fußnote der Geschichte der Hippie-Bewegung, vor allem in den USA. Längst haben andere Drogen Europa und die USA überflutet: Crack, Heroin, … . Insoweit mutet es etwas irritierend an, dass sich der aus Deutschland stammende, in den Niederlanden lebende Flötist Mark Lotz des Themas angenommen hat. Übrigens, was hat eigentlich ein Kampffisch – siehe Cover – mit der Thematik zu tun?
Noch ein Hinweis: Timothy Leary war eine prominente Figur der 1960er Jahre. Er war ein us-amerikanischer Psychologe und Autor, der den therapeutischen Gebrauch von LSD befürwortete. Er entwickelte die acht Modelle des Bewusstseins in seinem Buch “Exo-Psychology” (1977). Dieses war für Lotz wohl die „Initialzündung“ für das vorliegende Album. Lotz äußert sich wie folgt dazu: “I don't remember exactly how Timothy Leary's book came my way. I tried LSD myself twice in the distant past and I look back on that with intense affection, I wouldn't have wanted to miss that experience. It was very innocent, I only took a quarter pill but it turned out to be strong enough to float for two days in a daze and really experience that everything is connected to everything.” Und weiter im O-Ton: “I'm not a philosopher or psychologist, I read the book but I don't have the intellectual capacity to understand it very well. It's a hypothesis, not an absolute truth or science, more philosophical than psychological and very much inspired by that zeitgeist of the '60s and '70s; "The Dawn of Aquarius," enlightenment ..., it was written from that perspective. It was a very special time then. Think also of the birth control pill, the Vietnam War and the hippie peace counter movement in response to that. I grew up within that background, including Woodstock, which is why this book resonated with me.“
Lineare Beziehungen zwischen Learys Schrift und der Musik scheinen nicht Lotz’ Intention zu sein. Dieser fehlt es auch an all dem, was die späten 1960er Jahre ausmachten, einschließlich Psychedelic Rock oder Sphärenklängen. Statt dessen gibt es ein grundsolides Trio-Ensemble mit rotierenden Solos zu erleben, bei dem Lotz durchaus die Klangfärbungen bestimmt, ohne jedoch seine Mitmusiker an den Rand zu drängen. Und mit noch etwas muss aufgeräumt werden: Lotz kopiert weder Herbie Mann noch Jeremy Steig oder Ian Anderson in seinem Spiel, sondern entwickelt einen eigenen sehr dynamisierten Stil mit treibender Rhythmik. Letzteres ist Man höre sich d mal „Consciousness (Neuroelectric Circuit No. 6)“ mit den „kurzatmigen“ Verwirbelungen und Blechrauschen an, die an Dramatisierungen nichts zu wünschen offen lassen.
„Push“ ist der Opener des Albums: Beinahe von Beginn an in Kurzatmigkeit verfallend und von starken Beats getrieben, so zeigt sich das Stück. Nach und nach entwickelt Lotz dann flachwellige Linien, die er mal weiter und mal dichter aneinander legt. Leicht Gutturales ist dabei mitverwoben. Musikalische Pflöcke werden eingepflanzt. Bass und Drummer sorgen für ein Fundament, auf dem Lotz seine Flötenklänge entwickelt, mit Umspielungen, Auf- und Abstiegen in den Linien, angedeuteten Trillern und Flirren. Atempausen, wenn auch kurz , sind Teil der musikalischen Inszenierungen. Überbordend ist teilweise der Blechrausch. Keine Frage, der Drummer steht zu „Beat the Drum“, so der Titel des nachfolgenden Tracks. Ihm gehört die Bühne in der Eröffnung des Stücks. Beinahe orientalisch in den Harmonien und Beats mutet dann an, was uns zu Gehör gebracht wird. Das ist beschwingt und mit „Frühlingsfarben“ und dem Licht des Südens versehen, so wie man dies in den Gemälden von Klee und Macke nach deren Nordafrikareise entdecken kann. Im Verlauf scheint es so, als würde der Flötist Salti und Flic-Flacs musikalisch umsetzen. Kurz und hart ist derweil das Schlagwerkspiel. Mit großen Bögen im tieftönigen Spiel stellt sich anschließend der Bassist des Trios vor. „Dance of the Monolith“ zeichnet sich nicht nur durch rollendes Schlagwerk aus und einem sich phlegmatisch äußernden Bass, sondern auch durch gedämpft erscheinenden Flötenklang. Dabei meint man, man spüre verschiedene Winde, die sich ausbreiten. Der Tanz scheint sich in seinen Gestaltungsformen zu wiederholen, mit leichten Variationen. Kurzes Innehalten in den musikalischen Schrittfolgen sind eingeschlossen, oder?
Oha, ist da nicht auch Scat zu vernehmen und zugleich Atemluft, die ins Flötenrohr dringt? Ja, so ist der Anfangseindruck von „Lust“. Doch auch hier verstetigt sich das Spiel, angetrieben vom Drummer, der gleichsam Windhosen auf seinem Schlagwerk entwickelt. Bewegungen, stetige, nervöse und umtriebige, spiegeln sich in Lotz’ Spiel. Zum Ende tobt sich der Drummer mit viel Energie an Trommeln und Blechen aus. Und so hat man den Eindruck, man sehe einen Flüchtenden vor sich. Und was hat das alles mit dem Tracktitel zu tun?
Lyrisch angelegt ist „Relax And Flow (For Hermento, John and Paul)“. Da sieht man wirklich das „Alles fließt“ und zugleich kann man sich vor dem geistigen Auge eine Steinwüstenlandschaft mit bizarren Formationen vorstellen, durch die man läuft oder fährt.
Und weiter geht es mit „Bring Delight (Neurosomatic Circuit No. 5)“. Dabei überzeugt die Klangfärbung, die uns das Trio präsentiert. Allerdings Learys „LSD-Trip“ gerät dabei aus dem Blick, scheint aber auch nicht erforderlich, um sich auf die Musik einzulassen. Auch in diesem Stück ist der Bassist mit einem ausgereiftem Solo unterwegs, begleitet von Tickticktick, Taticktatikc des Drummers. Eher getragen und symbolistisch aufgeladen erscheint „Consciousness (Neuroelectric Circuit No. 6)“. Da ziehen Klangschwaden dahin, brechen auf und schließen sich. Rotierende Beats, auf Toms erzeugt, gestalten das Stück zudem. Schließlich noch ein Wort zu „Trance Out (Neuro-Atomic Metaphysiology Circuit No. 8)“. Schon mal vorab, Sphärenklang gibt es nicht zu hören. Stattdessen zeigen Lotz und seine Trio-Kollegen, teilweise mit Sinn für die Musik der Indigenen aus Südamerika, wohin die musikalische Reise auch ohne Bewusstseinsdrogen führen kann. Und das ist sehr überzeugend.
© fdp2023
https://de.wikipedia.org/wiki/Mark_Alban_Lotz
https://www.lotzofmusic.com
https://www.zennezrecords.com
BANDCAMP
Line-up
Mark Alban Lotz • flutes, fx, compositions
Zack Lober • bass
Jamie Peet • drums
Tracks:
1. Push (Vegetative Invertebrate Circuit No. 1) 4:11
2. Beat The Drum (Emotional-Locomotion Circuit No. 2) 4:16
3. Dance The Monolith (Laryngeal-Manual Symbolic Circuit No. 3) 3:04
4. Lust (Socio-Sexual Domestication Circuit No. 4) 4:25
5. Relax And Flow (For Hermento, John and Paul) 3:30
6. Bring Delight (Neurosomatic Circuit No. 5) 4:13
7. Consciousness (Neuroelectric Circuit No. 6) 2:57
8. Isabel (For Isabel Cabanillas de la Torre) 3:10
9. Up! (Neurogenetic Circuit No. 7) 4:03
10.Trance Out (Neuro-Atomic Metaphysiology Circuit No. 8) 4:36
Bonus Track (only digital): Push (Alternate take) 4:30