Marius Neset & Trondheim Jazz Orchestra: Lion
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ACT , 9031-2, veröff. 2014
Ein „junger Wilder“ aus dem Hoch des Nordens sorgt in der europäischen Jazzwelt für Aufsehen. Es handelt sich um den Saxofonisten Marius Neset, der 1986 nahe Trondheim geboren wurde. Bereits mit fünf Jahren begann Neset mit dem Unterricht für Saxofon und später dann für Schlagzeug. Neset im O-Ton: “I think the drums gave me a rhythmic base that was very important. I learnt very young to play in these odd meters so I think I have a very natural feel for it.” Gefeiert wurde Neset bei seinen Auftritten auf dem Jazzfest Berlin, der Jazzwoche Burghausen, dem JazzBaltica Festival (im Duo mit Michael Wollny) und zuletzt in der Kölner Philharmonie sowie auf dem 25. Internationalen Jazzfestival Münster. Doch auch zu Recht?
Wer Neset wie zuletzt mit seinem Septett in Münster live erlebte, kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass hier ein Egomane im Zentrum des Geschehens steht. Raum für die mitspielenden Musiker gab er nur hier und da. Im allzu kraftvollen und energetisch aufgeladenen Spiel räumte Neset anderen wenig Platz für Solos ein. Ja, Ingrid Neset seine Schwester, durfte an der Flöte brillieren, ging aber bei der Darbietung von Titeln aus der Einspielung „Birds“ im weiteren Zusammenspiel ebenso unter wie der Akkordeonist. Lediglich der Bassist und der Vibrafonist des Septetts durften kurz ihr Können aufflackern lassen, ehe dann das Spotlight wieder rauf Neset gerichtet war.
Dennoch sind die Kritiken voll des Lobes. So schreibt die Süddeutsche Zeitung: „Was Marius Neset am Saxofon macht, ist nichts anderes als der Schritt in eine neue Dimension dieses Instruments.“ Der englische Guardian zählt Neset zu den aktuell größten Entdeckungen des Jazz, mit „der Kraft eines Michael Breckers und der Raffinesse eines Jan Garbarek“. Na, das sind ja eine Menge Lorbeeren, die der noch nicht einmal 30-Jährige eingeheimst hat.
Auf dem aktuellen Album ist er nicht als Solokünstler unterwegs, sondern er hat sich mit den Vollblutmusikern des Trondheim Jazz Orchestra zusammengefunden. Zu diesem Ensemble, das mit Neset für 'Lion' gemeinsam musizierte, gehören: u. a. Daniel Herskedal - tuba, Peter Fuglsang - alto saxophone, Hanna Paulsberg - tenor saxophone, Eirik Hegdal - saxophones, Jovan Pavlovic - accordion, Espen Berg - piano, Petter Eldh - bass, Gard Nilssen – drums.
Bereits bei der ersten Aufnahme des Albums namens 'Lion' zeigt sich, dass ein orchestrales Werk zu hören ist und das gilt für das ganze Album. Gewiss zunächst ist da ein hintergründig und sehr sanft gespieltes Saxofon, das von Marius Neset ohne Frage beherrscht wird. Doch dann begleitet das „schwirrende“ Saxofon ein Bläsersatz. Hoch- und Tieftöner vereinen sich zu einem gemeinsamen Spiel. Man vernimmt Kreischen, Zirpen, Schnalzen, Brummen, Vibrieren – ein wenig Dschungel scheint hier lebendig zu werden. Doch auch Passagen, die an eine klassische Big Band erinnern, sind zu vernehmen. Tieftöner schnarren, Hochtöner erheben etwas dünn ihre Stimmen. Doch stets sind es die Saxofone, die irgendwann die Oberhand gewinnen, wenn es gilt, den „Löwen“ zu bändigen.
„Lion“ ist einer der Titel, die Neset mit dem Trondheim Jazz Orchestra eingespielt hat. Alle Titel des Albums entstammen der Feder Nesets. Bis ins letzte Detail wurden, so der Anschein, die Arrangements ausgefeilt. Dabei darf sich Neset an Sopran- und Tenorsaxofon gänzlich verausgaben, so auch bei 'Golden Xplosion'. Fürwahr hier entzünden alle Beteiligten ein buntes Feuerwerk, ob man nun die vorwärtstreibenden Sequenzen Nesets dabei betrachtet oder aber das Tutti der übrigen Bläser des Orchesters. Die angestimmten Themen klingen teilweise auch so, als wäre jemand auf der Flucht, auf der Suche nach einem Ausweg und würde seine schnellen Schritte mal nach links und mal nach rechts lenken, kurz sich umschauen und dann wieder in schnellem Tempo davoneilen. Zugleich kann man sich auch vorstellen, dass die schnell gesetzten Takte nichts weiter sind, als die Impressionen zuckender Feuerwerkskörper, sprich abgeschossener Feuerwerksraketen, die im Himmel in farbige Musterbilder zerfallen. Das Knallen eines Feuerwerks wird vom Schlagzeug wiedergegeben, das ungeheuerlich schnelle Beats produziert. In einzelnen Passagen erinnert 'In the Ring' an die Musik, die im Zirkus erklingt. Andere Passagen lassen an Musik von Kurt Weill und Hanns Eisler denke und an die, die man aus dem Film „Kuhle Wampe“ kennt. Es ist ein dramatisch-aufgeregt daherkommendes Stück, das Neset und Co. uns zu Gehör bringen. In einem kurzen Zwischenstück namens 'Interlude' lauschen wir als Hörer gebannt dem Solospiel von Neset. Dies ist ein eher ruhiges Stück, das den Hörer nach dem farbenfrohen Feuerwerk der zuvor gehörten Einspielungen entspannen lässt. Gedämpft und gar nicht feurig-dramatisch ist die Grundstimmung, die wir in 'Sacred Universe' wahrnehmen. Sogar das Akkordeon kann sich nun in dem sonst allgewaltigen Bläsergetöse ein wenig Gehör verschaffen und geht dank eines Solos nicht in dem kompakten Klangteppich der Reeds unter. Jedoch ist der Genuss nur kurz, und die Dominanz der schreienden Saxofone ist bald wiederhergestellt. Ebenso kurz ist das Vergnügen, dem „kurzatmigen Zupfen“ des Basses zu lauschen. Flugs treten dann wieder Neset und seine Mitspieler an den Saxofonen stimmgewaltig hervor. Den Schlussakkord auf dem Album setzt Neset mit seinem Titel 'Birds', einem Titel, auf dem endlich auch das Flötenspiel von Ingrid Neset voll zur Geltung kommt.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
www.actmusic.com
Band
Marius Neset
http://www.mariusneset.info/
Trondheim Jazz Orchestra
http://www.trondheimjazzorchestra.no/