Marco Pignataro - Almas Antiguas
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Zoho ZM-201807
„Alte Seelen“, so lautet der Titel des Albums, das der Saxofonist Marco Pignataro gemeinsam mit dem Drummer Adam Cruz, dem Pianisten Alan Pasqua und dem Bassisten Eddie Gomez eingespielt hat. Auf drei Tracks ist am Tenorsaxofon George Garzone zu hören.
“To me, „Almas Antiguas“ reflects a romantic idea of reconnecting with things, or people, or places from another life, not necessarily in a rational way,” so Marco Pignataro zum Titel seines zweiten Albums. Ursprünglich aus Bologna stammend, ist der Bandleader und Saxofonist Pignataro nun seit Jahrzehnten in der Neuen Welt heimisch geworden. Zu hören sind auf dem aktuellen Album elf Kompositionen oder Arrangements. Dabei verschmelzen die Klangfarben und -formen aus der italienischen Heimat des Vaters von Pignataro mit denen der aus Pueto Rico stammenden Mutter. Ohne Frage sind diese Kompositionen zudem im Kern vom us-amerikanischen Jazz beeinflusst.
Ganz und gar auf die Melodie und das Melodische fokussiert, geht es Pignataro darum, zwischen seinem Holzbläser und der menschlichen Stimme Analogien herzustellen: “I’d been listening to a lot of Latin American and Neapolitan singers while I was envisioning this CD,” so der Spiritus rector des Albums. “When they are very good, they make the listener resonate to the sound of the voice. It seems to me that modern jazz has lost something about telling a story and evoking certain images. Here, I want to reconnect with the idea of delivering the music from a vocal viewpoint.” Unter diesem Aspekt kann man eine Nähe zu Wayne Shorter ausmachen, der stets auf das Narrative Wert legte, also sich auch immer als Geschichtenerzähler verstand.
„Panarea“ steht am Anfang des Albums und beginnt mit einem beinahe klagenden Sopransaxofon, gefolgt von einer sehr starken Rhythmisierung des Stücks durch den Pianisten und Drummer. Gemeinsam scheinen sie die Musik von Marrakesch und Agadir auferstehen zu lassen. Das klingt dann entfesselt, ehe die Stimmung mit dem Beginn des perlenden Piano-Solos umschlägt. Ruhige Klangfahrwasser werden angesteuert. Einfärbungen von Flamenco sind auszumachen, ehe sich dann Sopransaxofon und Tenorsaxofon – dank an den aus Kalabrien stammenden, aber in Boston lebenden Tenorsaxofonisten George Garzone – in einen Dialog einlassen. Beeindruckend ist auch die metrische Vielfalt, die uns der Drummer Cruz präsentiert, dabei auf rhythmische Ideen aus Nordafrika und Lateinamerika zurückgreifend.
Marktschreiern aus Neapel begegnen wir in „Voce ‘e Notte“, einer in der Gegend um Neapel in den 1930er Jahren sehr bekannten Volksweise. Dazu bemerkt Pignataro: “So I went again with a Mediterranean feel —reharmonized it and asked George to play the second melody. The lyrics are controversial for the time—they talk about adultery from the viewpoint of the lover, who is by himself late at night, thinking about the woman he loves sleeping with her husband.” Auch in diesem Stück gehört der hochtönigen Sopranstimme des Saxofons die Klanghoheit. Weich und samten zeigt sich der Holzbläser, der von den Sequenzen des Tenorsaxofons gefolgt wird. Dabei erscheint es, als schlüpften die beiden Saxofonisten in die Rolle eines Erzählers, die an alte Zeiten erinnern. Zugleich überkommt den Hörer der Eindruck, es handele sich um ein Stück Tanzmusik. Hinzuweisen ist auf das sehr dezidierte Basssolo, in dem der Bassist Eddie Gomez die Melodielinie seines Tieftöners stimmlich unterfüttert. Danach schwingt sich das Sopransaxofon zu neuen Tönungen auf. Es scheint, hier werde das Geschrei der Markthändler lebendig und das sich gegenseitige Übertrumpfen im Anpreisen von Schnäppchen. Dem folgt auch George Garzone mit seinem Holzbläser, der allerdings im Vergleich zum Sopransaxofone eher gelassen klingt. Beide vereint lassen dann Momente von Latin Jazz aufleben.
Das setzt sich unter anderem in dem argentinischen Standard „Alfonsina y El Mar“ fort, zwischen 3/4-Takt und 7/4-Takt balancierend. Eine lyrische Note ist nicht zu überhören, auch in den Weichzeichnungen des Tenorsaxofonisten. Außerdem ist auf dem Album ein Schlaflied aus Mallorca namens “Vou, Veri, Vou“ zu finden. Dabei fällt dem Pianisten Alan Pasqua die Rolle zu, das Schlaflied zu eröffnen, ehe mit weichem Atemhauch dann Marco Pignataro zu erleben ist. Stille, ja Besinnlichkeit findet dabei einen starken Niederschlag. Voller Seelenkraft kommt „ Xalapa“ daher, ein Song der sich auf die Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Veracruz bezieht, die Pignataro mehrfach besucht hat. Meditativ klingt das, was wir vernehmen. Urbane Unruhe ist fern. Eher die nächtlichen Stunden einer Stadt, die zur Ruhe gefunden hat, werden eingefangen, nicht nur mittels Piano und Saxofon, sondern auch durch die dezente Schlagwerkbegleitung im Hintergrund.
„Almas Antiguas“ werden durch den gestrichenen Bass ganz wesentlich im Klang bestimmt. Dabei scheinen Schmerz und Traurigkeit vordergründig zum Ausdruck zu kommen. Getragen ist das Tempo. Momente der Besinnung und Besinnlichkeit werden transportiert, auch in der dahinschmelzenden Saxofonsequenz. Wie ein rinnender Bach entwickeln sich die Klangmuster, die der Pianist seinem Tasteninstrument entlockt. Doch unüberhörbar ist die Klangpalette, die Pignataro zu verdanken ist.
Als Duett von Sopransaxofon und Piano arrangierte der Bandleader „Letter To My Son“, fast schon als ein Lamento oder Requiem anzusehen. Getragenes dringt ans Ohr des Hörers. Klage und Schmerz kommt in der Musik zum Ausdruck. Ist es der Vater, der den verlorenen Sohn betrauert? Mit einem poetischen „Hohelied“ auf seine Frau und deren Anmut – wir hören „Song For Lucy“ - lässt Pignataro sein Album ausklingen. Es ist ein nachdenklich machendes Album, eines mit dem Gewicht auf Besinnung, nicht auf unbändige losgelöste Lebensfreunde. Es ist ein Album weitgehend ohne quirlige Samba, Bossa und feurigen Salsa, auch wenn Bezüge zu südamerikanischer Musik – man denke an „Calle Mayaguez“ - vorhanden sind. Die Arrangements sind fein gewoben. Zarte Tönungen sind angesagt. Ruhepole im urbanen Chaos werden gesetzt – und das ist mit ein wenig Pathos formuliert eine Wohltat für die Seele!
Text © ferdinand dupuis-panther – Der Text ist nicht Public Domain/Commons!
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