Manel Fortià Trio – Despertar
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Segell Microscopi
Über das Album lesen wir u. a.: “Despertar is a gorgeous declaration of emancipation from the assumptions that sometimes are erroneously made about Spanish jazz. This is fresh thinking and beautiful playing from a trio that is led by the extraordinary bassist Manel Fortià. His bass sound is huge and fluid and his bandmates are almost telepathic in their interaction with it. This is an incredible outing for a young bandleader and should firmly establish Manel as a voice to be heard for years to come.” Das ist jedenfalls das Urteil des Pianisten und Komponisten Arturo O’Farrill, der mit einem Grammy Award ausgezeichnet wurde.
An der Seite des aus Barcelona stammenden Bassisten Manel Fortià erleben wir den Pianisten Marco Mezquida (Lee Konitz, Dave Liebman, Bill McHenry, Chicuelo, Noa), und den französischen Drummer Raphaël Pannier (Miguel Zenón, Aaron Goldberg, François Moutin). Mit ihm nahm Fortià 2018 auch das Album „Bulería Brooklyniana“, eine Melange von Underground Jazz und Flamenco. Über das jüngste Album äußert sich der Bandleader und Bassist wie folgt: “This album is very important to me because it reflects one of the most transcendent moments in my artistic life. I feel that living in NYC changed me tremendously and I grew a lot there. It is also the first time I recorded a full album featuring all my compositions. That I can share playing them with two of my favorite musicians with whom I have a great connection personally and musically, is like a dream come true.“
Musikalisch bewegen wir uns dank der Musik des Albums zwischen Schlafengehen und Aufwachen. Zwischendrin, also in den Traumwelten des Schlafes, besuchen wir unter anderem Astoria, einen nördlichen Zipfel von Queens, Harlem, die Ramblas in Barcelona, Grand Central in Manhattan, Prospect Park in Brooklyn und Jackson Heights. Und dann erfolgt das Erwachen und ie Konfrontation mit der Wirklichkeit. Also tauchen wir in die Traumreise des Trios ein. Vorweg haben wir die Frage im Kopf, ob denn die Tatsache, dass ein Bassist der Bandleader des Trios ist, zu ausschweifenden Basssolos führt oder nicht.
Am Anfang des aktuellen Debütalbums des Trios steht nicht das Erwachen, sondern das zu Bettgehen, sprich „Dormir“: Eröffnet wird das Stück mit einem vollen Bassspiel. Das schwingen die Saiten in langen Wellen, so als würden unsere Gedanken enteilen und verflachen, ehe die Müdigkeit uns überfällt. Gleich bei den ersten zarten Passagen, die der Pianist zum Besten gibt, drängen sich Bezüge zu den Nocturnes von Chopin auf, oder? Auch an ein Lullaby mag der eine oder andere Hörer denken. Und ist da nicht auch Schubert im Geiste anwesend? Mit perlenden Klaviersequenzen prägt sich „Circular (to JFK AirTrain)“. Stetig und schnell zum Ziel – das ist das, was sich in den musikalischen Linien bündelt. Da gibt es kein Zurück, sondern nur ein Vorwärts, ein Spiel der Geschwindigkeit und Beschleunigung; ab und an ist auch Zirkuläres präsent. Nervöses Drumming mit Stakkato-Anwandlungen ist obendrein auszumachen. Und was signalisiert das dem Hörer? Unruhe? Nervosität? Wohl beides, kein Wunder geht es doch zum Flughafen JFK – jedenfalls musikalisch.
Ja, Blues und Gospel vernehmen wir, sobald „Espiritual (to Harlem)“ erklingt. Sehr gelungen ist dabei das Zwiegespräch zwischen Bassisten und Pianisten. Und irgendwie erwartet man im nächsten Moment eine Stimme wie die von Nina Simone aus dem Off, den Blues besingend. Dass wir nicht alleine in der Neuen Welt unterwegs sind, sondern auch in der Alten, dafür sorgt das Trio mit „El Día Después (to La Rambla de Barcelona)“. Früh morgens auf den Ramblas, wenn Barcelona noch schläfrig ist – das ist der Eindruck, den die Lyrik des Stücks vermittelt. Sind die Ramblas aber nicht das pulsierende Herz der katalanischen Hauptstadt? Doch das Trio um Manel Fortià hat ein anderes Barcelona im Sinn, das sie dem Hörer näherbringen möchte.
Paso Doble und/oder Broadway Revue? – das ist die Frage bei „Aires de Libertad (to Prospect Park)“. Durchaus mit lodernder Dramatik kommt das Stück daher, dessen klangliche Färbung dem energievollen Spiel des Pianisten zu verdanken ist. Bisweilen meint man auch eine Mischung aus Chanson und Couplet heraushören zu können. Wasserspiele oder Wasserlichtkonzerte sind Assoziationen, die sich bei dem Stück „Simple (to Jackson Heights)“ aufdrängen. Zugleich scheint man in die Zeit der scheinbar Goldenen Jahre versetzt zu werden, als das Nachtleben boomte und der Tanz auf dem Vulkan getanzt wurde. Auffallend bei diesem wie auch in anderen Stücken zuvor ist die Tatsache, dass der Bassist in seinem Fingerspiel auf das Schnarren der Saiten verzichtet. Stattdessen sind lange Klangwellen mit dunklem Timbre auszumachen. Dazu gesellt sich ein nervös ausgelegtes Schlagwerkspiel und ein Tastenwerk, das ein wenig an die Einladung zum Tanz oder an „Frühstück bei Tifanny“ – im übertragenen Sinne - erinnert. In diesem Stück brennt der Pianist Marco Mezquida ein Feuerwerk des Tastenklangs ab und steht fürwahr im Fokus des Trios.
Am Ende folgt mit „Despertar“ das „Erwachen“. Das Stück überzeugt wie andere auch durch die Aquarellierungen, die dem Pianisten zu verdanken sind. Zugleich zeichnet er den Prozess des Erwachens nach, ein langsamer Prozess, der sich im Laufe der Zeit intensiviert. In einem Solo zeigt sich Manel Fortià als ein Meister der Saiten-Schwingungen. Ist da nicht auch der Beginn des urbanen Lebens an einem frühen Morgen zu erleben? Hört man da nicht den Beginn der Rush Hour Erlebt man nicht das morgendliche geschäftige Treiben? All das scheint sich in den Sequenzen zu bündeln, die der Pianist uns zu Gehör bringt. Wir scheinen angekommen im Hier und Jetzt; unsere nächtlichen Exkursionen sind Träumereien von gestern.
© ferdinand dupuis-panther
Infos
https://manelfortia.com
Tracks
01 - Dormir (04’03)
02 - Circular (to JFK AirTrain) (08’16)
03 - Saudades (to Astoria) (05’45)
04 - Espiritual (to Harlem) (05’57)
05 - El Día Después (to La Rambla de Barcelona) (05’48)
06 - Crescente (to Grand Central) (08’11)
07 - Aires de Libertad (to Prospect Park) (03’34)
08 - Simple (to Jackson Heights) (05’01)
09 - Despertar (07’20)