Luca Sisera Roofer - Starlex Complex (fdp)
L
nWog Records
Der kreative Schweizer Bassist Luca Sisera hat sich für das aktuelle Album die nachfolgend genannten Musiker in seine Band geholt: Michael Jaeger (Saxophon), Maurus Twerenbold (Posaune), Yves Theiler (Piano) und Michi Stulz (Schlagzeug). Sie alle sind Teil der sehr lebendigen jüngeren Schweizer Jazzszene. Ihnen gemeinsam ist der kreative Umgang mit offenen und geschlossenen Formen, vor allem aber mit sehr komplex angelegten Kompositionen.
Warum nur nannte Sisera seine Band «Roofer»? Der Begriff bedeutet übersetzt „Dachdecker“. Wie wir wissen, balancieren diese in schwindelnden Höhen, um Dächer einzudecken, bisweilen auch ohne Netz und doppelten Boden. Doch das Haus ist eben ohne Dach unvollkommen. Und jede Komposition braucht eben auch einen Abschluss, ein Thema, eine Sinnhaftigkeit – und in diesem Sinne ist das Bild vom Dach und vom Dachdecken wohl zu begreifen.
Nein, Waghalsiges präsentieren Sisera & Co uns nicht, aber dafür raffiniert gesetzte Kompositionen und keine wiederkehrenden Klangformeln. Das Cover des Albums – eine Fassadenfront, bei der man an Le Corbusiers Wohnmaschinen denken muss - deutet darauf hin, dass das Urbane im Fokus steht, wie ja Jazz eben nur aus einem urbanen Kontext entspringend zu denken ist, oder?
Mit der Komposition „Starlex Complex“ wird der urbane Klangreigen eröffnet. Zu hören sind im Weiteren Kompositionen wie „Internal Body Messenger“, „Struggle Bubble“ sowie „Mama Helix“. Daran schließen „Missing Chan(n)els Pt. 1, Pt. 2 und Pt. 3 an. „Starlex Extro“ steht am Ende der urbanen Klangreise mit Sisera & Co.
Schläge, Hammerschläge, Turmuhrschläge als Teil der verrinnenden Zeit im urbanen Gewirr? Das vermag man anfänglich aus „Starlex Complex“ herauszuhören. Hektik, Stau, Aufbrausen, Unruhe, Vorwärtstreiben ohne Stillstand signalisieren Seite an Seite Posaune und Saxofon. Wie ein einsamer Rufer im urbanen Dschungel agiert, so hat es den Anschein, der Posaunist Maurus Twerenbold. Er erweckt das verdeckte Leben des „städtischen Untergrunds“, so ein mögliches Bild. Michael Jaeger begleitet ihn dabei, folgt ihm auf Schritt und Tritt. Die Lichter der Großstadt funkeln. Verkehr fließt. Menschen verfallen in Eilschritte. Alles ist auf „schneller, höher, weiter“ fixiert. Und am Ende wartet im Alltag nur noch die Schlafhöhle in der gesichtslosen Wohnmaschine, die normiert ist und das Leben ihrer Bewohner normiert.
In „Internal Body Messenger“ vernehmen wir den Bassisten Luca Sisera solistisch, jedenfalls anfänglich. Redundantes steuert Yves Theiler zum musikalischen Spannungsbogen bei. Vorlaut meldet sich der Posaunist, begleitet vom Saxofonisten, die sich beide lyrisch gestimmt geben. Hört man genau hin, dann meint man bisweilen, beide würden sich vor dem Great American Songbook verneigen. Cineastisches scheint vorgetragen zu werden, ganz behäbig und langsam im Duktus. Das steht im Gegensatz zum Umtriebigen im vorherigen Stück. Kennt die Stadt also auch die Langsamkeit?
Ohren gespitzt bei „Struggle Bubble“, denn es scheint, als ob hier Fela Kuti auf Cannonball Adderley getroffen ist und beide munter zusammen jammen. Weniger drängt sich dieser Eindruck auf, wenn der Posaunist des Ensembles tonangebend ist. Stets kommentierend scheint Michael Jaeger mit dem Saxofon das Gebrummel seines Mitmusikers zu begleiten. Dabei eröffnen sich Räume, die durch Klangschlieren gefüllt werden. Und im Hintergrund scheint gar Yves Theiler aus der Fassung zu geraten. Luca Sisera lässt seine Finger über die Saiten tanzen, die nur so schwirren. Dabei hat man den Eindruck, Sisera wolle uns zu verstehen geben, dass urbanes Leben unstet ist. Jederzeit muss man wohl auf Wandel und Veränderungen gefasst sein.
Eher in Richtung Noise Music scheint „Nairs“ angelegt zu sein. Zumindest sind die Formen sehr frei, verwandeln sich das Saxofon und die Posaune in Atemrohre und Windmaschinen. Luftströme fangen sind zwischen Mundstück und Rohr des jeweiligen Instruments. Irgendwie klingt es geheimnisvoll. Gewisper ist zu vernehmen. Aufgeregtes Gebrabbel bietet uns Michael Jaeger. Sanftmütig kommt hingegen Yves Theiler mit seinen Tastenklängen daher. Saxofonist und Pianist muss man als Antipoden begreifen, hier Aufgeregtheit und Entäußerung, dort Sanftmut und Ausgeglichenheit.
Solistisch brilliert Luca Sicera in „Missing Chan(n)els Pt. 1“. Ruhe und Beschaulichkeit strahlen Harmonien und melodische Linien des Stücks aus. Man stelle sich bildlich einen Fluss vor, auf dem Kähne gemächlich dümpeln. Doch dieses Bild wird im zweiten Teil der dreiteiligen „Suite“ gebrochen. Post Modern Jazz umgibt uns. Wir tauchen in die Clubszene von Downtown New York ein , genießen die sogenannte Blaue Stunde und streifen den Alltagsballast ab. Yves Theiler sorgt für ein wenig Kontemplation mit seinem durchaus als perlend zu bezeichnenden Tastenspiel. Übrigens: „Round Midnight“ scheint nicht fern zu sein, oder? Zum Abschluss des musikalischen Dreiteilers kommen wir noch in den Genuss des Vokalen, des Lautgesangs. Dabei fungiert die Stimme als Instrument, legt sich im Sopran über die eher basslastig ausgerichtete Posaune. Der Name der Sängerin ist im Übrigen im Line-up zum Album nicht zu finden. Oder singt hier einer der beteiligten Herren mit vorbildlicher Kopfstimme?
Text © ferdinand dupuis-panther - Der Text ist nicht Public Commons!
Informationen
https://roofer-music.com/music/
https://nwogrecords.bandcamp.com/album/starlex-complex
https://www.facebook.com/roofermusic/
https://www.jazzhalo.be/interviews/luca-sisera-im-gespraech-mit-dem-aus-chur-gebuertigen-nun-in-luzern-ansaessigen-kontrabassisten/