Larry Coryell & Philip Catherine - Jazz at Berlin Philharmonic XI: The Last Call
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ACT
Zwei Ausnahmegitarristen sind auf diesem Album vereint, Larry Coryell und Philip Catherine. Larry Coryell, von einigen auch als Godfather of Fusion bezeichnet, verstarb im Jahr 2017, sodass das Berliner Konzert der letzte gemeinsame Auftritt der Gitarristen war. Erinnert werden darf im Übrigen an den Auftritt der beiden bei den Jazztagen Berlin 1976. Anschließend folgten zwei bemerkenswerte Studioalben "Twin House" (Atlantic, 1977), aufgenommen in London, und das passend betitelte "Splendid" (Elektra, 78), aufgenommen in Hamburg. Auf dem aktuellen Album sind neben den beiden Gitarristen noch der Pianist Jan Lundgren und der Bassist Lars Danielsson sowie der Trompeter Paolo Fresu zu hören.
Neben „Miss Julie“ (Larry Coryell) steuert der mit 73 Jahren nach zwei Konzerten in den USA verstorbene Larry Coryell noch „Jemin-Eye’n“ zum aktuellen Album bei. Von Catherine hingegen stammt „Homecomings“. Zudem wurden im Livekonzert in der Berliner Philharmonie, das im Januar 2017 stattfand, nachstehende Standards präsentiert, nämlich „Manhã de Carnaval“ (Luiz Bonfá & Antônio Maria), „Embraceable You“ (George Gershwin), „Bags’ Groove“ (Milt Jackson) und „Green Dolphin Street“ (Oscar Peterson).
Gitarrenklänge, die tanzendem Sternenfunkeln gleichen, ist das, was wir zu Beginn hören. Rhythmische Präsenz ist auszumachen, wenn die beiden Saitenkünstler in Aktion sind. Daneben kann man sich dem melodischen Fluss hingegen, der für „Miss Julie“ sehr bezeichnend ist. Bisweilen hat man den Eindruck, dass „Friday Night in San Francisco“, eingespielt 1980, mit dem Berliner Duett von Catherine und Coryell eine Wiederauferstehung feiert, wenn auch eigenständig in den Setzungen. Ähnlich wie de Lucia, Di Meola und McLaughlin verstehen es auch Catherine und Coryell einen bunten Klangregenbogen auf die Bühne zu zaubern. Akustisches steht im Vordergrund und eben nicht die heute vielfach in Jazzpräsentationen eingebundenen Effekträusche.
Eher verhalten und nicht so fulminant in den Gitarrenläufen beginnt „Homecomings“. Dabei erleben wir kristalline Klangstrukturen, die von eher ruhigen Setzungen begleitet werden. Fürwahr auch dieses Stück hat etwas von Wetterleuchten. Gebannt ist man von den feinen melodischen Verwebungen. Hier und da scheinen Flamencoanspielungen kurz durch. Zudem mag sich der eine oder andere an „Entre dos aguas“ von Paco de Lucia erinnert fühlen. Dramatisches trifft im Spiel des Duos auf eher ausgereifte Erzählungen des Klangs.
In die Welt der brasilianischen Musik taucht der Zuhörer mit „Manhã de Carnaval“ ein. Es ist ein klassischer Bossa Nova. 1959 wurde dieses Lied als eines der Musikstücke für den brasilianischen Film „Orfeu Negro“ komponiert und vielfach nachfolgend interpretiert. Auch die deutsche Chansonsängerin Alexandra hatte eine eigene Version in ihrem Repertoire. Und auch in diesem Stück brillieren die beiden Gitarrenvirtuosen. Insbesondere die melodischen Phrasierungen sind beeindruckend und schweben teilweise über dem klassischen Bossa-Rhythmus. „Jemin-Eye’n“ ist ein Stück von Coryell, das hier und da auch durchaus Folkblues-Einfärbungen aufweist, zugleich wie auch andere Stücke des Albums an Fusion denken lässt. Frappierend ist das behände Saitenspiel, das uns als Zuhörer ohne Frage begeistert. Schnelle Kaskadierungen sind zudem wahrzunehmen.
Zum Abschluss des Albums können wir uns noch an drei klassischen Jazzstücken erfreuen. Den Anfang macht „Embraceable You“ mit einem gewissen Swing-Einschlag. In diesem Stück sind Coryell und der Pianist Jan Lundgren im Zwiegespräch zu erleben. Anschließend folgt „Bags’ Groove“ (Milt Jackson). Dabei meint man angesichts des Spiels von Coryell das Vibraphon des Originals herauszuhören. Dieses Stück entstand 1959 und das Bags im Titel bezieht sich auf den Spitznamen Jacksons und seine dicken Tränensäcke. An der Seite Coryells erleben wir den Bassisten Lars Danielsson, der eher nach Baritongitarrist klingt als nach Kontrabassist. Und Coryell begleitet das Solo des Bassisten mit punktgenau gesetzten rhythmischen Akzenten. Der Schlusspunkt wird mit „Green Dolphin Street“ (Oscar Peterson) gesetzt. Dann ist auch der italienische Trompeter Paolo Fresu mit im musikalischen Boot und bestimmt nicht unwesentlich die Klangfarben des Stücks mit. Darüber hinaus sind auch Lundgren, Danielsson, Catherine und selbstverständlich Coryell mit von der Partie, um den Standard in einem neuen Jam-Gewand zu präsentieren. Dazu gehört auch das atemberaubende Saitenspiel Coryells, das dem Zuhörer bisweilen den Atem verschlägt. Es scheint angemessen, das Konzert von 2017 und den vorliegenden Mitschnitt als einen Meilenstein in der Jazzgeschichte des noch jungen 21. Jahrhunderts zu bezeichnen.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
http://www.philipcatherine.com
https://www.br-klassik.de/themen/jazz-und-weltmusik/gitarrist-larry-coryell-nachruf-trauer-100.html
http://www.actmusic.com