Kangling: Echoes of Distant Voices
K
Ragtime Production, RAG 004
Der Vokalist, Bassist und Gitarrist Axel Gilain ist kein Unbekannter in der belgischen Musikszene. Er gehört unter anderem zur belgisch-finnischen Formation Drifter und hat zudem ein eigenes Quartett. In einem Text zum jüngsten Album formulierte Axel Gilain, dass er sich wenig um Stile und Einordnungen kümmere. Irgendwie schien es ihm gleichgültig, ob man seine Musik als Elektronik-Jazz oder Soul oder in anderer Art und Weise einordnet. Er begreift, so ein O-Ton, die Musik als ein Gebet, als eine weltweite Botschaft. Seine Band versteht er als zum Blasinstrument umfunktionierten Oberschenkelknochen, durch den er seine Emotionen in die Welt hinausposaunt. Das irritiert. Doch man muss wissen, was der Bandname Kangling bedeutet. Wörtlich übersetzt ist es Bein oder Flöte. Im Tibetischen meint der Begriff eine Trompete oder ein Horn, das aus einem menschlichen Oberschenkelknochen geschnitzt worden ist.
Verbleiben wir noch einen Moment bei den O-Tönen: „Für Kangling habe ich alles aufgeschrieben, dennoch aber ist die Musik für Interaktion und Interpretation offen und kann sich auch in Richtung Improvisationen entwickeln. Ich möchte ästhetisch denken, wobei Grenzüberschreitungen möglich sind. Zu jeder Zeit sind wir als Musiker der Erzählstruktur verpflichtet, auch wenn wir ausgebildete Improvisationsmusiker sind.
Zum Trio Kangling gehören Axel Gilain (vocals, bass, guitar, compositions), Eric Bribosia (keyboards, vocals) und Jean Philippe De Gheest (drums, vocals). Zu hören sind Songs wie „Crashes“, „Stained“, „Give me the Sea“, „Woods und Day go on“. Wer sich die CD anschaut, wird sich die Augen reiben, denn da ist von einer A- und einer B-Seite die Rede, was nur darauf hinweist, dass die Produktion eigentlich eine auf Vinyl ist.
Axel Gilain möge es mir nachsehen, aber als ich das Album hörte, musste ich nicht nur wegen der Lyrik, sondern auch aufgrund des Vortrags an Jim Morrison und The Doors denken, sprich an „The End“ und an „Riders on the storm“. Musikalisch gibt es gewiss Unterschiede, aber erste Eindrücke bleiben halt nachhaltig haften.
Noch etwas sei der Besprechung vorangestellt: Momentan scheinen die Genregrenzen sehr stark im Fluss. Es kreuzen sich Acid Jazz und Elektro-Pop, Soul und Rock, nicht nur bei Kangling, sondern auch bei anderen Bands wie Nordmann oder Black Flower und bei Francesca Palamedessi aka Amber Haze. „Sortenreinheit“ ist bei einigen Musikern nicht mehr das Non plus ultra. Bei Kangling kommt es nicht nur auf die teilweise sphärisch angelegte Musik an, sondern auch auf die Lyrik, die dankenswerterweise im Booklet nachzulesen ist!
Lassen wir uns also auf den Rezitationsgesang von Axel Gilain ein, dessen Stimme über einem dichten Klangteppich schwebt, den Eric Bribosia an den vibrierenden Keyboards ausbreitet. Dabei scheinen Rhodes und Hammond im Einsatz. Zugleich lässt Alex auch seine Gitarre hochtönig jaulen, wenn „Sources“ erklingt und es heißt: „Take me through the night“. Doch auch folgende Zeilen finden sich in diesem von Sphärenklängen bestimmten Song: „I know the world is turnin' on silence, Carelessness, over wars and shame. The night watches me die, I hear echoes of distant voices.“ Das strahlt Spirituelles, aber auch durchaus eine gewisse politische Reflexion aus.
„Your ego would fear the time. When the world crashes down on you ...“ sind Zeilen aus „Crashes“, aus einem Song, der mit Bass und Schlagzeug aufmacht, ehe sich dann der sanfte „Orgelklang“ über uns ergießt. „When the world crashes down on you and let you down...“. Sehr vordergründig und nachhaltig zeigt sich das Schlagzeug in redundanten Beats, die der Redundanz des Keyboadsspiels entsprechen. Doch auch einen röhrenden Bass kann man vernehmen, wenn sich der Song weiter entwickelt. Zudem vernehmen wir ein Pfeifen und ein Gurgeln, wohl Effekte, die dem Keyboard sprich Rhodes abgerungen werden.
Eine gewisse Endzeitstimmung und auch Vanitas-Vorstellung muss man dem Song „Stained“ entnehmen: „All is vain. Soon we'll go. Fall. Rain. No sun will know.“ Prägend für diesen Song ist das wiederkehrend Sprunghafte im Gitarrenspiel und das Spiel der Streicher, die dem Song etwas Konzertantes beimischen. „But my feet are heavy and my soul is stained“, singt Alex Gilain mit bewegter Stimme. Dabei bewegt er sich mit diesem Stück sehr stark in Richtung Singer/Songwriter, während die nachhaltige Rhythmik des Songs an das Werk von The Clash erinnert.
Orgelsound eröffnet „Come and Go“. Dazu erklingt ein lyrisches Gitarrenspiel, zu dem Axel Gilain singt: „Wished there were more to see ...“. Hier und da beschleicht den Hörer der Eindruck, dass auch westafrikanische Grooves ab und an dem Song untergemischt sind. Was ist das denn? Vibrafon? Nein, nur der Diskant des Keyboards. „Tears come and go like the wind“ ist die Schlusszeile, dieses in der Aussage melancholischen Songs, der allerdings durch die Instrumentierung eher heiter wirkt.
Elegisch, zumindest aber getragen und eher „schwarz gefärbt“ erscheint nachfolgend „Wish my pain“. Abschließend noch eine Bemerkung zum letzten Stück des aktuellen Albums „Days go on“, bei dem eine schwirrende Gitarre den Gesang von Axel Gilain begleitet: „This cold and long winter. When even my heart is freezin' ...“ Den Harmonien und der Melodieführung – man achte auf den „choralhaft wirkenden“ wie auch sphärisch anmutenden Klang des Keyboards – vermitteln sehr gut, Wintertage, an denen man ungern vor die Haustür tritt. Am Ende steht die Frage: „Ist das Jazz?“ Aber diese Frage interessiert Axel Gilain wenig, wie er ja auch schon bei Drifter unter Beweis gestellt hat. Für meine Begriffe mischen sich bei dem aktuellen Album Rock, House und Acid Jazz sowie Goa-Sound und Elektro-Pop. Das ergibt eine Melange, die für Jazzpuristen nichts, aber für die Generation U30 genau das Richtige ist, oder? Text: © ferdinand dupuis-panther
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Ragtime Production
https://ragtimeproduction.bandcamp.com/
http://francoislegrain.wix.com/francoislegrain
Musiker
Axel Gilain
CD review
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/a/axel-gilain-4tet-talkin-to-the-mlouk/