Jordina Millà – Males Herbes

Jordina Millà – Males Herbes

J

Sirulita Records

Im Begleittext zum Debütalbum der katalanischen Pianistin Jordina Millà  lesen wir: „A first album is always a gamble on the future (and on the present); an open door, a new path being offered, a way of understanding and making music that (until that moment) did not exist. … This album by Jordina is above all, the unveiling of a new musical space that, even if we hadn't realised it, we had been waiting on for a while. It's an intimate, vibrant space that generously offers us the ability to understand and enjoy a new way of listening to and playing the piano. … But, above all, we feel Jordina breathe through the piano, and we feel the piano breathe through Jordina. At her hands the piano is alive!“ Diese Zeilen stammen vom Entdecker und Förderer der Pianistin, Agustí Fernández, seines Zeichen Pianist und ein Vertreter des sogenannten Impro-Jazz und der Neuen Musik.

Schon die Idee, „Unkräuter“ als Kristallisationspunkte für Musik zu wählen, ist außergewöhnlich, mal von der Frage der angemessenen musikalischen Repräsentanz von „Gentina alpina“ (Alpen-Enzian) oder „Verbascum densiflorum“ (Großblütige Königskerze) abgesehen. Auch „Eryngium bourgatii“ (Spanische Edeldistel), „Semprevivum montanum“ (Berg-Hauswurz), „Arnica montana“ (Echte Arnika), „Dryopteris flix-mas“ (Echter Wurmfarn) und „Leuzea centauroides“ (Scharten Flockenblume) sind in den Blick der Pianistin geraten. Übrigens, die oben genannten Pflanzen gedeihen zumeist auf höheren alpinen Lagen. Dass das Cover des Albums Disteln zeigt, scheint dann nicht zu überraschen.

Mit der klanglichen Umsetzung der Spanischen Edeldistel beginnt das Album: Donnernde Tiefen sind zu vernehmen; gestrichener Saitenklang im Korpus des Pianos dringt ans Ohr des Zuhörers. Vibrationen verhallen und werden von kristallinen Klanggebilden abgelöst. Tropfende Klangformen werden von Millà außerdem umgesetzt. Sprudelnde Klänge werden von Basssetzungen gebrochen. Kurze stille Intervalle sind Teil des Vortrags, bei dem einzelne Module in Variationen zu Gehör gebracht werden. Windgetöse und gedämpfte Basstasten vermischen sich im weiteren Verlauf. Wurden da auch elektronische Effekte erzeugt oder ist alles nur analog? Perkussive Momente sind im Übrigen auch auszumachen. Man gewinnt den Eindruck, dass mit einem Metallstab über die gespannten Saiten hin- und hergefahren wird.

Berg-Hauswurz zeigt sich als anfänglicher Klangteppich und sphärisch vertont. Hochfrequentes reizt das Trommelfell. Der Klang einer in einem Leimstreifen gefangenen und sich wehrenden Fliege ist auch Teil des Vortrags. Aus der Ferne scheinen Nebelhörner dumpf zu klingen. Dazu kommen schrille Vibrationen. Klangfrequenzen schwellen an und vergehen nach und nach. Geräuschkollagen scheint ein Begriff, der wohl angemessen ist.

Für den Alpen-Enzian zieht die Pianistin mit rascher und scharfer Bewegung einen Metallstab über die Saiten, so meint man, es zu hören. Turbulenzen werden erzeugt. Bildlich muss man an einen Malstrom denken oder auch einen Taifun, der sich auflädt und dann weiterzieht. Knarren und Knarzen vereinen sich im Fortgang der Klangkollage. Zarte Klangfolgen streut Millà in ihre Improvisationen ein. Zerbrechlich wie Glas oder Eiszapfen klingen diese. Das Bild von niedergehenden Regentropfen drängt sich dem Zuhörer nachfolgend auf. Klangsequenzen in hohen Frequenzen, und der Klang einer Metallsäge, die Stahl zerschneidet, machen einen Teil des Vortrags aus.

Auch perkussive Interventionen der Pianistin repräsentieren ihr Bild von „Leontopodium alpinum“ (Edelweiß). Doch es stellt sich die Frage nach dem Warum.

Und wie klingt Großblütige Königskerze? Ist es ein Spiel auf dem Hackbrett? Fallen da nicht Klangstäbe? Man könnte es meinen. Selten sind „lyrische“ Passagen. Eher vertieft sich Millà in freiem Spiel, in Klangmomenten im Hier und Jetzt.

Schrill ist das, was Millà zur Echten Arnika eingefallen ist. Dieses Schrille trifft auf ein tiefes Grollen aus dem Korpus des Pianos. Klacken ist als Kollagenteil auch vorhanden. Diskantes dringt ans Ohr. Imitiert die Pianistin nicht auch Windspiele?

Abschließend noch ein paar Worte zum Echten Wurmfarn: Fellgeschabe hören wir, auch Windsäuseln, oder? Streicht die Pianistin vielleicht mit einem Stofftuch über die Saiten? Kurz angezupfte Saiten werden gedämpft. Saiten werden verdreht und zum Knarren gebracht. Es rumort und brodelt.

Gewiss müsste man sich eingehender mit den einzelnen Pflanzen und deren Bedeutung befassen, um überhaupt eine Annäherung an die Klangbilder Millàs zu ermöglichen. Leider fehlt es an O-Tönen, die hier und da ein Fenster öffnen und Einsicht in die Verschränkung von Musik und Botanik gewähren.

Text © ferdinand dupuis-panther


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