Joe Kucera – Take A Heart

Joe Kucera – Take A Heart

J

MP Records

Das vorliegende Album ist Rückschau und Erinnerung zugleich, Erinnerung an Wegbegleiter, die an dem jüngsten Projekt des in Berlin lebenden, aber aus Tschechien stammenden Sopran- und Tenorsaxofonisten Joe Kucera nicht mehr teilhaben konnten. Es ist ein Album mit ganz persönlichen Widmungen, auch und gerade in den Texten, die neben Joe Kucera auch Simone Reifegerste vorträgt. Joe rezitiert dabei weitgehend und das in seiner Muttersprache. Ralph Billmann, John Vaughan und Ramesh Weeratunga sind längst ins Jazz-Nirwana eingegangen, aber immer noch im Geist zugegen, wenn der Weichklang des Saxofons erklingt, das Joe Kucera spielt. Für einzelne Stücke und Arrangements hat sich der Saxofonist Kucera ganz unterschiedliche Musiker als Wegbegleiter gesucht, ob Stephan Hoppe für die Klavierbegleitung von „Where Do You Go“ oder den Pianisten Vladimir Strnad beispielsweise für „The Moon Has Left Town“. Bei „Balance“, „Alenka“ und „Song For Bill“ sind der Pianist Carly Quiroz, der Bassist Carmelo Leotta und der Drummer Andrea Marcelli an der Seite von Kucera zu hören.

Dank des Booklets kann man die Texte der Songs nachlesen. Neben den Texten in Tschechisch, die Joe Kucera vorträgt, existieren englische Übersetzungen und Originaltexte, die entweder John Vaughan oder Jesse Ballard zu verdanken sind. Zu hören sind dabei durchaus wortschwere Texte, die auch eine gewisse Melancholie zum Ausdruck bringen, so auch bei „Where Do You Go“, wenn der Regen und die Wolken besungen werden, die sich über die eigenen Träume setzen. Leid und Verzweiflung scheint sich in „Just Now, But Not forever“ zu bündeln, wenn wir lesen: „Just now, when you think your pain won't end/ Keep your strength, hold on my friend ...“. Die Suche nach der Balance im Leben jenseits des Alkohols ist Thema in „Balance“. „All  we have shared/Keep these things / in your heart / The memories they remain / All your life right / from the start“ hören wir als Botschaft in „Take A Heart“, gleichzeitig der Albumtitel. Nachdenklich machen die Zeilen ohne Frage, berührend sind sie zudem.

Einem warmen bzw. lauen Frühlingswind gleicht das Saxofonspiel Joe Kuceras in „Where do you go“, dabei auch auf Sphärisches und kristalline Tastenklänge treffend. Und sobald Joe Kucera singt, meint man in die Welt der Chansons einzutauchen, auch wenn wir keine Verszeilen in Französisch hören. Und es ist nachfolgend an Simone Reifegerste mit leicht rauchigem Timbre in Englisch die Frage nach dem Wohin des Lebenswegs zu stellen. Ein wenig Klezmer-Anlehnung verspüren wir zu Beginn von „Another idea“. Kucera scheint, statt mit Tenor- mit säuselndem Soprangebläse unterwegs zu sein, beschwingt und munter. Ab und an muss man beim Spiel des Pianisten Carly Quiroz an glasklare Kaskaden denken, die zu Tal rinnen. Eher getragen kommt „Just now, and not forever“ daher. Wir erleben erneut den Vokalisten Joe Kucera, der zu dezenter Piano-Begleitung seine Verszeilen vorträgt und in Tschechisch vom Schmerz singt, der wiederkehrt. Allerdings sollte man sich nicht der Kontrolle des Schmerzes und Leids unterwerfen. Sehr fein sind die instrumentalen Zwischenspiele zwischen den Versbausteinen gewebt. Kucera wandelt bei seinem Ansatz wohl auf den Spuren von Paul Desmond, lauscht man seinem sanftem Saxofongebläse. Nachhaltig im Gedächtnis bleibt auch der Gesang von Simone Reifegerste, deren ein wenig aufgeraute Stimme den einen oder anderen an Marianne Faithful erinnern mag. Zugleich liegt bei ihrem Vortrag getragener Swing in der Luft, und die sogenannte blaue Stunde scheint nicht mehr fern.

Von Melodramatik und von den gehauchten Tenorsaxofon-Passagen ist „Balance“ anfänglich geprägt. Sie erscheinen wie graue Wolkenbänder, die als Himmelsgeschiebe langsam vorbeiziehen. Das Stück entstammt übrigens aus der gemeinsamen Arbeit von Ralph Billmann und Joe Kucera, der uns von „She grabs a cab in the evening ...“ erzählt. Es ist eine Geschichte aus dem urbanen Wirrwarr, eine Geschichte von flüchtigen Begegnungen und der Droge Alkohol zu später Stunde. Im Kern geht es um die Suche nach der Balance des Lebens, jenseits von Flüchtigkeiten. Und im zweiten Teil des Stücks ergreift uns dann Latin Fever, sind Samba, Son und Rumba sehr präsent, eine Referenz an Ralph Billmann, der ein Faible für südamerikanische Rhythmen hatte. Dann schnurrt und schnarrt auch das Tenorsaxofon von Joe Kucera, setzt Carly Quiroz „springende Akzente“ auf den schwarzen und weißen Tasten. Wenn man es nicht besser wüsste, dann könnte man bei dem Gesang in „Living outside the law“ meinen, Kate Bush und Marianne Faithful würden zugegen sein. Nein, es ist an Simone Reifegerste, die uns „das Leben jenseits des Gesetzes“ nahe zu bringen versucht. Textlich und gesanglich meint man, man würde eine Zeitreise in die späten 1960er Jahre unternehmen.

„Alenka“ ist besonders durch die Prägnanz der Rhythmusgruppe bestimmt und durch die flotten Saxofon-Passagen, die anregen, einen Jive auf das Parkett hinzulegen. Wie feinster Nieselregen des Klangs erscheint das Klavierspiel; sehr bewegt agiert dazu der Bassist, von dem man meint, er drehe sich beschwingt um die eigene Achse. Der „Song for Bill“ wurde extra für Ralph Billmann geschrieben, dabei mit leichten Bossa-Anmutungen unterlegt. Die Komposition erinnert an einen von Kuceras Wegbegleitern, der maßgeblich die Berliner Jazzszene bestimmt hat. Und zum Schluss lauschen wir dem sonoren Saxofon Kuceras und dem Rauchtimbre von Simone Reifegerste in „Take a heart“. So schließt ein sehr harmonisch konzipiertes und arrangiertes Album, in dem Joe Kucera unter Beweis stellt, dass sein Saxofon für sanfte Töne und Klangschleifen gut ist!

© ferdinand dupuis-panther


Infos

http://www.joe-kucera.com
https://www.youtube.com/channel/UCOHeB1MDtEpA0R9VC-FsVhg
http://www.simonereifegerste.de/Simone_Reifegerste/press.html

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