Jin Jim: Der Anfang
J
Neuklang Records
Nun liegt es vor, das Debütalbum der Band Jin Jim, bestehend aus: Daniel Manrique Smith (C- und Alt- sowie Bassflöte), Johann May (E-Gitarre), Ben Tai Trawinski (Bass) und Nico Stallmann (Schlagzeug). Eröffnet wird das Album mit „Quiero todo“, ehe man akustisch der „Ankunft des Kaisers“ beiwohnt, „City Lights“ funkeln spürt und mit „Feel like Balkan“ eine musikalische Stippvisite in Südosteuropa einlegt. Zum Schluss heißt es: „Wolken ziehen auf“.
In großen Lettern kündigt die Band auf dem Cover „Die Ankunft“ an. Dabei legen die Musiker selbst Hand an, um sich in Szene zu setzen. Doch so plakativ wie das Cover ist die Musik dann eben nicht, sondern eher feinsinnig, zumal die Band mit der Flöte als Lead-Instrument zu neuen Ufern aufbricht. Ja, im Jazz gab es Flötisten, man denke an Paul Horn, Jeremy Steig oder Chris Hinze, aber gegenüber dem Saxofon oder der Trompete konnte sie sich nie so richtig behaupten. Ihr haftete immer auch etwas Klassisches an, verband man doch zumindest in Europa die Flöte mit der Musik des Barock. Popularisiert hat die Flöte Ian Anderson, besser bekannt als Jethro Tull. Vergleiche, die anlässlich des Erscheinens des Albums und eines Auftritts von Jin Jim bei den Leverkusener Jazztagen zu lesen waren, versuchten Manrique Smith in die Nähe von Ian Anderson zu rücken. Auf meine Nachfrage „verriet“ mir der Flötist etwas ganz anderes: „Michael Heupel war mein Lehrer an der Musikhochschule in Köln und hatte einen sehr großen Einfluss auf mich und meine Spielweise. Jorge Pardo (der ehemalige Flötist und Saxophonist von Paco de Lucía), Michael Heupel und Orlando La Valle ("Maraca") sind meine größten Einflüsse, was die Jazz-Querflöte angeht.“
Nachdem das nun auch geklärt scheint, kann es ja jetzt um das Album gehen, ohne irgendwelche vorschnellen Bezüge und Vergleiche anzustellen.
„Ich will alles“, „Quiero todo“, klingt vom Titel her nach Schlager. Doch in der musikalischen Umsetzung hat dieser Song dann gar nichts mehr von trivialem Schlager. Nicht zu überhören ist dabei die jubilierende Flöte. Sie klingt nach Frühling, nach Schwerelosigkeit, nach Aufbruch in die Ferne, mit und ohne Trillern. Unter dem Klangteppich der Flöte bewegen sich die anderen Instrumentalisten ganz und gar rhythmisch orientiert. Dabei greift der Gitarrist Johann May auf, was Daniel Manrique Smith thematisch vorgelegt hat. Es scheinen sich Latin Rock und Flamenco zu einer Melange zu vereinen, jedenfalls in Ansätzen. Man kommt beim Zuhören überdies nicht umhin, an ein Tänzchen zu denken, feurig und leidenschaftlich. Dazu trägt auch das virtuose Flötenspiel von Manrique Smith bei. Die Feria in Sevilla scheint beinahe spürbar.
Wie ein ständig sprudelnder Quell oder ein ausgefeiltes Wasserspiel klingen die Flötensequenzen in der Einleitung zur „Ankunft des Kaisers“. Zugleich kann man den Eindruck nicht wegschieben, dass auch barocke Musik mit ihm Spiel ist. Dabei überzeugt Daniel Manrique Smith auch mit den leisen, beinahe wehmütigen Passagen. Die Einleitung geht dann nahtlos in den Song „Die Ankunft des Kaisers“ über. Dabei hören wir mehrstimmiges „Tiketike te down ...down tikete ...“ und weitere Lautmalereien. Es klingt entfernt nach Karnataka College of Percussion. Dann aber geht die Post wirklich ab, ob auf einer musikalischen Rikscha oder einem anderen Gefährt sei mal dahingestellt. Manrique Smith bringt uns die wahren Flötentöne bei. „Diggedi, digger, down, digger“ findet sich lautmalerisch eingestreut. Neben flotten Passagen verführen uns auch lyrische Sequenzen. Ein wenig hat man beim Zuhören auch die Vorstellung von Exotik, von Orient. Das ändert sich nur geringfügig, wenn Johann May in die Saiten seiner Gitarre greift. Irgendwie ist man allerdins doch näher bei Santana und dem Latin Fever von New York. Jazz Rock vom Feinsten zelebrieren die Musiker für uns. Zugleich drängt sich der Eindruck des Konzertanten auf. Das mag auch an dem Lead-Instrument, der Flöte, liegen. Beinahe höfisch mutet zwischendrin an, was Manrique Smith vorträgt. Dabei kann man an mittelalterlichen Minnegesang und Narrenspiele denken. Anzumerken ist zudem, dass sich der sonst träge Bass bei diesem Stück sehr rege und agil zeigt. Man hat beinahe das Gefühl, der Tieftöner drehe sich um sich selbst, sei losgelöst von der Schwere und falle auch ein wenig ins Latin Fever.
Die verfremdete Gitarre bringt uns anfänglich „City Lights“, „Lichter der Großstadt“ nahe. Es scheint, als würde der Lärm der Großstadt, die Kakofonie, stets präsent sein. Das Schlagwerk sorgt für den richtigen urbanen Pulsschlag. Doch der Flötist der Band sorgt dann für die sanften Töne, für die entspannten Großstadt, in der die Neonreklameschilder nicht allein hektisch blinken und funkeln, sondern auch andere Momente gegenwärtig sind, so lauschige Abende an einem See oder in einer Parkanlage, das sonntägliche Picknick, das Entspannen im Straßencafé, derweil die Sonne am Horizont verschwindet. So scheint uns Jin Jim die verschiedenen Gesichter des Urbanen zu vermitteln.
Der Bass eröffnet den Song „Feel like Balkan“, ehe dann vor allem die Flöte die Hörfarben bestimmt. Das klingt für meinen Begriff wenig nach Balkan, sondern eher nach höfischem Zeitvertreib, mit und ohne Reigen und Rondo. Klangwelle auf Klangwelle trifft das Ohr des Zuhörers, das umschmeichelt wird. Welch ein Genuss! Zum Schluss heißt es: „Wolken ziehen auf“. Ist da ein erstes Donnern zu hören, eingeläutet durch Bass und Schlagwerk? Dramatik ist auf jeden Fall angesagt, hat man ein Ohr für die anderen Instrumente, so auch für die Gitarre, die sich unterschwellig brodelnd zeigt. Missklang ist nicht auszumachen. Das wäre bei einer Wetteränderung vielleicht zu erwarten. Das Melodische steht wie bei den übrigen Songs des Albums im Fokus. Irgendwie wartet man beim Zuhören auf die Entladung nach dem Höhepunkt. Doch die Melodielinie bleibt wellenförmig und nichts deutet auf einen Klangwechsel hin. Ausschweifend agiert Johann May an der Gitarre, so als fange er die Wolkenfetzen am Himmel ein, die durch starke Winde weggeblasen werden. Von Sturm und Orkan ist nicht die Rede, auch wenn das Tempo im weiteren Verlauf zunimmt. Irgendwie drängt sich das Bild auf, dass Schlecht- und Schönwetterfront sich nicht entscheiden können. Zum Ende scheinen die Wolken beinahe vergessen.
Für Liebhaber von Jazz Rock mag Jin Jim nicht rotzig-rockig genug sein. Wer jedoch auch lyrische Beimengungen fetzigen Gooves mag, für den ist das vorliegende Album eine wahre Entdeckung.
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Neuklang Records
http://www.bauerstudios.de/de/85/neuklang.html
http://www.neuklangrecords.de
Musiker
Jin Jim
http://jinjim.com/