Jens Böckamp Flow Quartet – Nine Edges
J
Float Music, FL 001
Der Titel des Albums verspricht Ecken und Kanten, bezieht sich aber eigentlich, wenn auch verkürzt, auf „ Nine Edges Of A Rollin´ Stone“, fürwahr ein eigenwilliges Bild. Mit dem letzten Stück der aktuellen CD – insgesamt neun Titel sind zu hören – verneigt sich Jens Böckamp vor einem Titanen des Jazz, vor Thelonious Monk, dessen „Bye-Ya“ er bearbeitet hat. Ansonsten sind Eigenkompositionen eingespielt worden, von „Dizzy & Jimi“ bis „Sommernachtstraum“. Auf den Bass hat Jens Böckamp bei seinem 4tett verzichtet, auch eine Tuba kann ja tieftonig agieren und das mit voller Kraft. Zur Besetzung der Band gehören: Jens Böckamp (sax, clarinet), Dierk Peters (vibraphone), Jan Schreiner (tuba) und Dominik Mahnig (drums). Die vorliegende CD ist Teil einer Edition, zu der auch Aufnahmen des Koi Trios und von Johannes Ludwig gehören.
Gleich beim ersten Titel „Dizzy & Jimi“ fragt man sich, wer eigentlich gemeint ist. Dizzy Gillespie, der Mann, der mit weit aufgeblähten Backen Trompete spielte und so zu einer „Marke“ wurde? Wenn ja, wer aber ist Jimi? Ist vielleicht der Saxofonist Jimmy Dorsey gemeint, der auch in einigen Hollywoodfilmen wie „Lost in Harlem“ zu sehen war? Diese Frage könnte nur der Bandleader des Flow Quartetts beantworten.
Eröffnet wird die erste Eigenkomposition des Albums von der Tuba, die ganz spielerisch den Saitentieftöner ersetzt. Über der Basslinie der Tuba breitet das Tenorsaxofon gekonnt seine Klangwellen aus. Im Hintergrund regt sich verhalten das Vibrafon. An die Klangwelten von Dizzy Gillespie erinnert der Titel m. E. gar nicht. Eher kommt dem Zuhörer der bekannte Jazz-Film „Round Midnight“ in den Sinn. Auch Assoziationen an die Musik von Ben Webster und Dexter Gordon flackern kurz auf. Doch aus diesen Gedankenfetzen reißt uns das Vibrafon heraus, das prägnante Akzente setzt und hier und da kommentierend das Saxofon begleitet. Lassen wir uns anschließend vom „blauen Blitz“ treffen, ohne dass wir eigentlich wissen, warum die Komposition denn „Der Blaue Blitz“ heißt. Vielleicht denken wir auch in eine falsche Richtung und eigentlich wird hier einem legendären Oldtimer, dem Opel Blitz, ein Ständchen dargebracht. Wir wissen es nicht. Was wir jedoch wissen, dass wir anfangs auf die Tuba treffen, zu dem sich das Vibrafon gesellt, auch wenn es nicht schräge Töne von sich gibt, die man einem Blitz zuordnen könnte. Dissonantes – das könnte man bei einem Blitz gleichfalls erwarten – ist nicht zu vernehmen, jedoch das Saxofon, das die Klangstruktur der Komposition weitgehend bestimmt. Derweil behält die Tuba die Ruhe, bleibt bei ihrem Tempo und ihrer Tonfarbe. Aufgeregt ist etwas anderes. Eigentlich flammen beim Zuhören Bilder jenseits eines Blitzes auf. Man ist versucht, an den lauten Verkehr einer Großstadt zu denken, an den Lärm, das Huppen, das Martinshorn, die aufbrausenden Motoren, das Quietschen der Bremsen, die Geräusche einer fahrenden S-Bahn und einer Straßenbahn. Dröhnen da nicht mit Diesel betriebene Binnenschiffe vorbei, wenn die Tuba dumpf ertönt? Was bedeutet eigentlich das leicht nervöse Spiel auf dem Vibrafon? Vielleicht doch das Zucken eines Blitzes, zu dem sich dank des Schlagzeugs ein Donnergrollen einstellt? Oder lehnt sich der Titel an Monks Titel „Light Blue“ an? Ein Booklet wäre vielleicht hilfreich gewesen, um derartige Fragen zu beantworten.
Lassen wir uns nun „Pork & Turkey“ munden. Keine Frage, dazu trägt das 4tett musikalisch mit allen Kräften bei. Jens Böckamp hat bei dieser Einspielung sein Saxofon beiseitegelegt und die Klarinette zur Hand genommen, ohne dass dieses Instrument in seinen Händen nach Goodman-Swing oder gar Klezmer-Musik klingt. Eher kann man die Musik der 4tetts vielleicht als Postbop im weitesten Sinne umschreiben. Neben dem Samtklang der Klarinette nehmen wir auch die Tuba bei einem Solo wahr. Bedacht und bedächtig sind wohl Charakteristika, die man diesem Instrument zuordnen kann. Über die Basslinien der Tuba legt sich die Klarinette und umgarnt den Tieftöner.
Auffallend ist, dass das 4tett ein sehr wechselvolles und wechselhaftes musikalisches Konzept verfolgt. Da sind überhaupt keine sturgespielten Schemata festzustellen. Die Intros sind nicht in jedem Stück dem gleichen Instrument überlassen. So beginnt in „YT“ beispielsweise auch mal das Vibrafon, ehe ihm dann die Bassklarinette ins Wort fällt. Im Weiteren entwickelt sich ein sehr spannungsreiches Duett zwischen Vibrafon und Klarinette, ehe sich noch die Tuba einmischt. Der Charakter des Stücks entwickelt sich in Richtung Schwermütigkeit, wozu auch die Tuba wesentlich beträgt.
Beim Lesen der Titel auf der CD hat sich so mancher gefragt, ob und, wenn ja, wie wohl ein Stein mit neun Kanten ins Rollen kommt. Musikalisch steht das außer Frage. Also lassen wir den Stein rollen – nicht nur bei „Nine Edges Of A Rollin' Stone“ – und warten gespannt, was uns das 4tet demnächst an musikalischen Leckereien vorsetzt.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Float Music
www.floatmusic.de
Musiker
Jens Böckamp
Instrument: Saxophon
Homepage: www.jensboeckamp.de
Jan Schreiner
Instrument: Tuba
Homepage: www.janschreiner.de