Jelle Van Giel Group: Songs For Everyone
J
Hevhetia, HV0098-2-331
Einer der zurzeit wohl bekanntesten belgischen Jazzpianisten Jef Neve ist voll des Lobes über Jelle Van Giel und sein kompositorisches Werk, wie man dem Klappentext des Albums entnehmen kann. „Many young players have the ambition to become composers when they start their own project. Only few understand the art of transmitting true emotions into natural structures and intense melodies. Jelle Van Giel knows exactly what he's doing. This album is the best proof of that. Congratulations.“
Nein, wir hören kein Trio, auch kein Quintett, sondern gleich ein Septett, das dank der starken Bläserformation mit dem Tenorsaxofonisten Steven Delannoye, dem Altsaxofonisten Erik Bogaerts und dem Trompeter Carlo Nardozza eine volle Klangfarbe mitbringt. Jelle ist am Schlagwerk zu hören, im Kern hintergründig agieren, Janos Bruneel am Kontrabass, Tim Finoulst an der Gitarre und am Piano Bram Weijters, der mit der eigenen Band eine Reihe von Alben, unter anderem bei De Werf, veröffentlicht hat.
„Songs für jedermann“ so heißt das Album, das insgesamt acht Kompositionen beinhaltet, die alle von Jelle Van Giel stammen. Es beginnt mit einem neuen Anfang („A New Beginning“) und endet mit „Tiffany's Dodo“. Letzterer Song ist schon vom Titel her außergewöhnlich, handelt es sich doch beim Dodo um einen ausgestorbenen, flugunfähigen Vogel, der auf der Insel Mauritius bis um 1700 heimisch war. Mit Jelle Van Giel erleben wir den alltäglichen Wahnsinn („Madness“) und unternehmen eine Tour von „Coast To Coast“. Bisweilen hat man beim Hören der Songs den Eindruck, die Giganten der Big-Band-Ära oder auch die Adderley-Brüder seien wieder lebendig geworden und unter uns. Doch das sind verschwindend kurze Momente beim Zuhören.
Klavier und Gitarre läuten den Neubeginn ein. Dabei hat es den Anschein, als würde der Pianist Bram Weijters auf seinem Tasteninstrument die Basslinie spielen, über die der Gitarrist Tim Finoulst seine Phrasierungen setzt. Überaus beschwingt ist das, was wir hören, auch dann, wenn die Bläser sich zu Wort melden. Ein Moment des Aufbruchs ist gegenwärtig. Carlo Nardozza setzt nachfolgend zu einem Solo ein, und wir haben beim Zuhören durchaus die Vorstellung, wir würden im Süden unterwegs sein, immer das azurblaue Meer im Blick und die strahlende Sonne über uns. Sanft und bedächtig sind die Klaviersequenzen, die Bram Weijters als Solist zu Gehör bringt. Dabei ist stets die Grundmelodie erkennbar, auch wenn sie in Variationen vorgetragen wird.
Anschließend geht es musikalisch ans Kap der Guten Hoffnung, also an Afrikas Südspitze. Nein, keine wilde afrikanische Trommelsession ist zu Beginn von „Cape Good Hope“ zu vernehmen, wenn auch Jelle den Rhythmus Afrikas sehr gut und sehr behutsam transportiert. Wenn dann die Bläser ihren Einsatz haben, hat man fast den Eindruck, es würde eine Hymne, ein Hohelied auf Afrika, angestimmt. Doch es sind verhaltene Jubelschreie, die wir vernehmen. Wenn Carlo Nardozza zum Solo ansetzt, drängt sich ein anderer Eindruck auf, nämlich der des beinahe Choralhaften. Doch mit dem Solo von Bram Weijters löst sich dies auf, ehe dann wieder Carlo Nardozza an der Reihe ist und seine Liebeserklärung an Afrika zu hören ist. Das geschieht diesmal im Duett mit Tim Finoulst und mit Unterstützung der beiden Saxofonisten der Band.
Was erwartet man bei einem Titel wie „Madness“, also Wahnsinn? Nervöses Spiel, Atonales, Free Jazz und Neue Musik? Ja, wohl von allem ein wenig. Doch stattdessen beginnt dieses Stück beinahe als eine Art Klavieretüde, dank sei Bram Weijters. Dieser Etüdenanklang, sprich die Anleihe an klassischer Musik, setzt sich im Weiteren fort, auch dann, wenn Janos Bruneel seinen Bass zupft und die Saxofonisten aus vollem Herzen ihre Holzbläser zum Klingen bringen. Von der Klang- und Hörfarbe her ähnelt die Komposition durchaus „A New Beginning“. Besonders gelungen ist das beruhigende Saxofonsolo, das der Zuhörer erlebt. Nein, komplexe Improvisation scheint nicht das Ding von Jelle Van Giel zu sein. Er strebt stets der Melodie nach, und das wissen diejenigen Zuhörer zu schätzen, die eher in den Gefilden des straight ahead Jazz ihre Heimat sehen.
Beinahe im Stil der verjazzten Tanzmusik der 1950er Jahre kommt anfänglich der Titel „Coast to Coast“ daher. Dann jedoch lässt Bram Weijters seine Finger über die weißen und schwarzen Tasten tanzen, sodass hier und da ein Klink und da ein Klonk, aber nie ein Monk zu hören ist. Beim Hören des Titels kam mir das Bild in den Sinn, mit einem Coupé und offenem Verdeck in den USA von Küste zu Küste unterwegs zu sein. Ja, da ist ein Gefühl von unbeschwertem Reisen im Raum.
Nein, Frühstück bei Tiffany's heißt der letzte Song nicht, den wir auf dem vorliegenden Album hören, sondern „Tiffany's Dodo“. Auch bei dieser Komposition bleibt Jelle Van Giel seinem Kompositionsstil treu, lässt Solistisches zu und stellt auch die Bläser nachdrücklich in den Vordergrund. Er selbst agiert wie auch bei all den anderen Stücken hintergründig. Wer meint, ein Schlagzeuger als Bandleader müsse stets in ausgiebigen Solos zu hören sein, der irrt gewaltig. Jelle Van Giel ist der Lenker mit sanfter Hand. Die vollen Klangfarben überlässt er seinen Mitstreitern an den Saxofonen und an der Trompete. Das ist eine Wohltat, und man darf gespannt sein, wohin Jelle van Giels weitere musikalische Reise führen wird.
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Hevhetia
http://hevhetia.sk
Musik
https://www.youtube.com/watch?v=aMSN293hYqw
https://www.youtube.com/watch?v=AsPVbbkTY-w
https://www.youtube.com/user/jellevg
https://www.youtube.com/watch?v=ffOFRamuVX4
Kauf
https://itunes.apple.com/us/album/songs-for-everyone/id1002360500