Jazzorchester Vorarlberg: Morphing
J
Jazzwerkstatt Records, JWR 01/14
Das experimentierfreudige Jazzorchester Vorarlberg (JOV) wurde 2005 von Martin Eberle und Martin Franz gegründet, um der heimischen Jazz- und Improvisationsszene eine Plattform zu bieten. Seither werden jährlich neue Programme/Projekte realisiert, zahlreiche Auftragskompositionen vergeben und mit heimischen sowie internationalen KünstlerInnen und Kollektiven zusammengearbeitet. Die aktuelle Besetzung besteht aus: Martin Franz, Jürgen Haider, Andreas Broger, Klaus Peter, Claus Karitnig (reeds), Philip Yaeger, Thomas Gertner, Egon Heinzle (trb), Christoph Ellensohn (f-horn), Dave Blaser, Martin Eberle, Anton Meusburger, Thomas Liesinger (trp/flgh), Benny Omerzell (piano, rhodes, hammond, keys), Stephan Rheinthaler (bass) / Manuel Mayr (bass), Christian Eberle (drums). Der Titel des aktuellen Albums schraubt die Erwartungen hoch: „Morphing“ ist ein computergenerierter Spezialeffekt bei Ton- oder Bildaufzeichnungen. Also, heißt es beim JOV „Elektronik an die Macht“? Na, das werden wir ja hören.
Zunächst ist auf das Cover einzugehen. Längst ist ja die besondere Gestaltung der Hülle überaus nebensächlich geworden. So springt dann schon ins Auge, dass die Hülle ausstrahlt, was JOV ist, ein Laboratorium, ein Prozess, ein Experiment. Nicht nur die grafische Aufbereitung von Tonspuren, sondern auch eine Playlist auf einem halb abgerissenen Zettel und Klebestreifen zieren das Cover. Die Beschriftung ist in einer Art Schreibschrift gehalten. Das betrifft sowohl die Namen der Bandmitglieder des JOV als auch die sechs Titel der CD. Vermerkt wurden bei den Titeln auch die jeweiligen Solisten!
Stammt der Name des ersten Stücks „Shape Shifta“ aus der Welt des Science Fiction? Oder handelt es sich um jemanden, der ständig in neue Rollen schlüpft und sich jeden Tag anders ausstaffiert? Wechselhaft ist auf jeden Fall die Musik, die mit diesem Titel belegt wurde. Luftströme hängen im Raum. Heiße Beats machen sich breit. Ein voller Bläsersatz schafft sich Gehör. Nur wenig ist von Big-Band-Sound zu spüren. Könnte das nicht die Melodie für einen Krimivorspann sein? Konstant ist eine Basstrommel am Werk. Beigemischt ist ein wenig elektronischer Klang. Auch Benny Omerzell ist klar und deutlich zu vernehmen, wenn sein Solo auf der Hammondorgel beginnt. Es ist so angenehm melodisch wie zuzeiten, als Bands wie „Nice“ und „Emerson, Lake and Palmer“ aufspielten und beim Rock auch auf die Orgel zurückgriffen. Es groovt und swingt, wenn man die Hammondorgel hört, ehe sich dann mehrstimmig die Bläser das Wort nehmen. Kurz sind eingestreute Trompetenschreie. Dann wieder heißt es tutti und am Schluss verabschiedet sich JOV beim ersten Stück mit einem Klangteppich, den der Keyboarder und Organist Benny Omerzell vor uns auslegt. Es folgt dann „Alp Edo“ und damit wieder ein Titel, den wir nicht so richtig zuordnen können. Edo ist doch der alte Name von Tokyo, aber was hat das mit den Alpen zu tun? Oder ist es gar eine Entnahme aus dem Vorarlbergischen? Hm, möchte man nicht manchmal in die Köpfe der Musiker schauen, um doch zu erfahren, was es mit dem Titel auf sich hat?
Vorhang auf für den Bass heißt es zunächst. Anschließend oszillieren Bläser wild und dann wieder verhalten. Ein psychodelisch klingender E-Bass mischt sich unter die Bläser; Saxofone beginnen einen vehementen Galopp, ehe sie ein Tempowechsel einholt und eine bedächtig getragene Orgel die Hauptrolle übernimmt. „Oh funky, funky“ – ist ein Gedanke beim Orgelklang. Sphärenklänge hüllen uns nachfolgend ein. Man meint, das Schwingen einer Klangschale wahrzunehmen. Wie Sprache und Musik eine Melange eingehen, unterstreicht der Titel „Wimmelbild“. Poetry Slam trifft Alpenjazz könnte man sagen. Mieze Medusa ist die „Dichterin“, die den gefällig wirkenden Bläsersatz mit ihrem Vortrag ablöst. Wir vernehmen „Hier hat alles seine Unordnung … Der Norm folgt die Abwendung … Wir erschaffen uns selbst jeden Tag neu. … Die Welt ein Wimmelbild und wir halten nicht still … .“ Es heißt, die Ohren zu spitzen, um die feingeistige und feinsinnige Lyrik aufzunehmen. „Die Erde ist eine Mattscheibe … Die Erde ist unsere Spielwiese … Form follows function … Nennen wir es Leben … Die Welt ist ein Wimmelbild und wir mittendrin.“
Nach dieser Sprachgewalt geht es dann mit dem instrumentalen „Les Salces“ weiter im Text. Wird da einem Ort in Südfrankreich ein Titel gewidmet? Egal, aus der Ferne dringen die ersten Akkorde an unser Ohr. Elektronisch erzeugte Interventionen sind zu vernehmen. Tieftöner brummen; kurze Trommelschläge im Geist von „Kraftwerk“ sorgen fürs Aufmerken. Ist das nicht eine Human Beatbox? Gewitterstimmung wird beigemischt, so meint man, wenn sich alle Bläser des Orchesters vereinen.
Mit den Titeln „Information“ und Interferenz“ findet die „Suite für ein dreizehnköpfiges Ensemble“ ein sehr gelungenes Ende. Der Begriff „Suite“ ist dabei vom JOV im klassischen Sinne verstanden worden, denn es handelt sich ja um einen Zyklus von Instrumental- oder Orchesterstücken, der in einer vorgegebenen Abfolge ohne längere Pausen gespielt wird. Bitte mehr von JOV, der Alternative zu Old School Jazz und Big-Band-Verschnitten!
© ferdinand dupuis-panther
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Jazzwerkstatt Records
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