Javier Girotto / Vince Abbracciante – Santuario
J
DODICILUNE / IRD
Der aus Cordoba in Argentinien gebürtige Sopransaxofonist Javier Girotto ist auf dem aktuellen Album mit dem Akkordeonisten Vince Abbracciante zu hören. Schon zuvor hat Girotto mit einem anderen italienischen Akkordeonisten, nämlich Luciano Biondini, diverse Alben eingespielt. Das aktuelle Duo besticht durch die schimmernden Klangfarben der beiden Instrumente, dem Holzbläser und dem Zuginstrument. Aus der Feder Girottos stammen die nachstehenden Kompositionen: “Santuario degli animali”, “Fugorona”, “Trama della Natura”, “2 de Abril” und “Aramboty”. Für weitere Kompositionen wie “Ninar”, “En Mi”, “Fuga a Sud”, “Pango”, “Impressioni di Puglia” und “Soprano” zeichnet der Akkordeonist verantwortlich. Den Abschluss des Albums bildet „L'zltimo chance“, geschrieben von Luis Bacalov.
Das Akkordeon wird meist mit Musette und mit Volksmusik, auch mit Polkamusik, fälschlicher Weise auch mit Tango argentino in Verbindung gebracht. Doch von alledem ist bei dem Duo Girotto und Abbracciante wenig zu spüren. Bereits der Eröffnungstitel besticht durch das umtriebige Spiel der beiden Musiker, der eine eher in melodischen Sphären unterwegs und der andere distinkt dem Rhythmischen zugetan. Dabei sprüht das Spiel von Girotto von Feuer und einer gewissen Ekstase. Was das alles mit dem Schutzgebiet für Tiere, so die deutsche Übersetzung des Titels „Santuario degli animali“, zu tun hat, können nur die Musiker beantworten. Bisweilen hat man beim Zuhören auch den Eindruck, das Akkordeon verwandle sich in eine Mischung aus Kirchenorgel und Harmonium, über deren Klang sich die bewegten Linien des Saxofons gleichsam wie schnell ziehende Wolken legen. Auch in „Fugorona“ ist der akustische Eindruck vor allem durch das Spiel Girottos geprägt. Hier und da blitzen Anmutungen vom „Canto General“ und von „Venceremos“ sowie den Liedern Victor Jaras auf. Fulminant ist das gemeinsame Spiel, ohne Frage geführt von Girotto. Dabei meint man auch ein wenig den Duktus zu erleben, in dem ein Vorsänger das Thema anstimmt und der Duopartner darauf auf verschlungenen Pfaden antwortet. Girotto schwingt sich derweil in die höchsten und feinsten Klanghöhen auf. Es klingt nach einem Fanal, auch in den solistischen Passagen von Girotto. Girotto ist auf dem Album wie schon in früheren seiner Alben auch auf der andinischen Flöte zu hören, ohne in ein banales „El condor pasa“ abzugleiten. Sehr lyrisch formt Girotto „Ninar“ aus, und sein Begleiter begibt sich beinahe in den Bassklang einer Orgel. Hier und da erscheint die Komposition auch zerbrechlich und von Traurigkeit bestimmt. „En Mi“ sieht eine Eröffnung durch den Akkordeonisten mit ausladendem Spiel, das an das Plätschern von Meereswellen und an Gezeitenstrom denken lässt. Dramatisch ist das Stück gestaltet, dabei durchaus auch mit Momenten des leisen und auch des anschwellenden Klangs spielend. Klangwelle reiht sich an Klangwelle, überschlägt sich, rollt zurück und dann wieder nach vorne. Stete Bewegung ist als kennzeichnend auszumachen.
In der Vergangenheit hat Girotto ein komplettes Album den Ereignissen um den Putsch der argentinischen Generäle und dessen Folgen gewidmet. Zeitgeschichte greift er auch im vorliegenden Album auf, wenn „2 de Abril“ zu hören ist. Es ist im Jahr 1982 das Datum der Landung argentinischer Truppen auf den zu Großbritannien zählenden Falklandinseln oder Malvinas. Welche Konsequenzen diese Eroberung hatte und welche Rolle die damalige Premierministerin Großbritanniens in diesem Konflikt spielte, erzählt die weitere Geschichte. Ob dies auch durch die musikalische Inszenierung geschieht, sei mal dahingestellt. Eher dunkel gefärbt ist das Gebläse von Girotto, und im Hintergrund agiert behutsam Abbracciante an seinem Zuginstrument. Spielt Girotto in diesem Stück nicht Baritonsaxofon? Es hat den Anschein, obgleich er auf die ganz tiefen Lagen verzichtet bzw. einen sehr sanften Ansatz pflegt, mit dem das durchaus Dominante des Instruments gebrochen wird. Ist „Fuga A Sud“ als Fuge im klassischen Sinn konzipiert? Man kann beim Zuhören diesen Eindruck gewinnen, zumal augenscheinlich Dux und Comes zu vernehmen sind. Girotto spielt dabei auf dem kristallhellen Sopransaxofon . Bei „Pango“ fragt man sich „Tango oder nicht?“ und das nicht nur angesichts der ähnlichen Phonetik von Pango und Tango. Im Geiste gleiten wir jedenfalls gekonnt über das Parkett mit lasziven Schritten und gesuchter Nähe. Ein gewisses erotisches Kribbeln ist da auch mit im Spiel, oder? Gegen Ende erleben wir dann die eruptive Klangentladung, das große Finale. Noch ein Wort zu den „Impressionen von Apulien“, so wohl die Übersetzung von „Impressioni di Puglia“, die sich auch auf dem Album finden lassen. Auch bei diesem Stück greift Girotto zum Baritonsaxofon, um diese italienische Landschaft in vielfältige Klangfärbungen zu tauchen.
Fazit: Ein akustisches Erlebnis und ein Hochgenuss, vor allem ohne Musette!
© ferdinand dupuis-panther
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