Javier Girotto - Tango Nuevo Revisited

Javier Girotto - Tango Nuevo Revisited

J

ACT

Der aus dem argentinischen Cordoba stammende und seit Längerem in Italien beheimatete Baritonsaxofonisten hat in der Vergangenheit schon für Aufmerksamkeit gesorgt, auch und gerade in seinem Zusammenspiel mit dem italienischen Akkordeonisten Luciano Biondini. Dabei spielt Girotto auf den Alben „Terra Madre“ und „El Cacerolazo“ neben dem Bariton- auch Sopransaxofon. Mit „Tangomania“ und „Tango Aires“ sind auf dem letzteren Album auch zwei Tangoarrangements zu hören. Dass gesellschaftspolitische Ereignisse wie der Staatsstreich von 1976 in Argentinien auch im musikalischen Werk von Girotto einen Niederschlag finden, unterstreicht das Album „Trentamila Cuori“. Kompositionen wie „24/3/1976-El Golpe“ und „Nunca Mas“ unterstreichen beispielsweise Girottos Haltung zu dem Militärcoup in seiner Heimat, der weitgehend von der westlichen Welt ignoriert wurde. Wie die Militärdiktatoren in Chile wurden auch die Diktatoren in Argentinien nicht gebrandmarkt, sondern man hofierte sie. Die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien tat ein Übriges, um die Junta des Landes im Glanz erscheinen zu lassen. Sportereignisse als politischen Imagegewinn zu sehen, ist  ja in den letzten Jahrzehnten gang und gäbe.

Weitere Veröffentlichungen Javier Girottos, die hier erwähnt werden sollen, sind „Como Jugando“, eine Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Nestor Gomez, und in einer Quartettbesetzung „Arauncanos“. Auch mit der aus Südkorea gebürtigen, in den Niederlanden lebenden Pianistin Soo Cho hat der argentinische Saxofonist ein Album eingespielt: „Ballerina“. Nun also widmet sich Girotto dem Tango nuevo und vor allem Kompositionen von Astor Piazzolla und Gerry Mulligan, gleichfalls wie Girotto ein Baritonsaxofonist. Das aktuelle Album Girottos ist gleichsam eine Verneigung vor den beiden genannten Musikern, die 1974 das Album „Tango Nuevo“ (auch unter dem Titel „Summit“ bekannt) einspielten.

Für den Tango im neuen Gewand hat sich Javier Girotto mit dem Bandoneonspieler Gianni Iorio und dem Pianisten Alessandro Gwis zusammengetan. Gemeinsam spielen sie Piazollas „Close Your Eyes And Listen“ ebenso wie „Deus Xango“ und „Twenty Years Ago“ sowie „Summit“. Zu hören sind aber auch Kompositionen von Mulligan wie „Aire De Buenos Aires“ und „Etude For Franca“. Abgeschlossen wird die aktuelle Veröffentlichung Girottos mit „Years Of Solitude“ ( comp Astor Piazzolla).

Nein, mit der tragenden Schwere von Fado kommt „Close Your Eyes And Listen“ nicht daher. Doch Ähnlichkeiten bezüglich der Melancholie und der sich in der Musik ausdrückenden Sehnsucht gibt es zwischen Tango nuevo und Fado schon zu sehen. Sonor ist der Grundklang des Baritonsaxofons, über den sich das Bandoneon verspielt erhebt. Hier und da hat man den Eindruck einer Zwiesprache, wenn nicht gar eines angedeuteten Liebestanzes. Dabei drängt sich das Bild zweier Libellen im zarten Liebestaumel auf. Stark rhythmisiert erscheint „Deus Xango“. Pianist und Baritonsaxofonist zeichnen die genau gesetzten Schrittfolgen um. Dabei verharrt der Pianist im Bass, während der Saxofonist mit seinem Holzbläser jeden Richtungswechsel und den so typischen Tangotakt erfasst. So kann man vor seinem geistigen Auge eng tanzende Paare und eine gewisse knisternde Dramatik, wenn nicht gar Erotik, aufblitzen sehen. In fließenden Formen zeigt sich „Twenty Years Ago“. Dabei scheint Girotto die Baritonlagen zugunsten von Tenornuancen zu verlassen. Ihm gelingt es auch so, die Szenerie von dahinschwebenden Paaren in den Tangobars von Buenos Aires einzufangen. Und auch der Bandoneonist Gianni Iorio gibt sich ganz dem melodischen Fluss hin. Gleiches gilt für den Pianisten Alessandro Gwis, der mittels weißer und schwarzer Tasten feine Klangwellen entstehen lässt. Derweil schnurrt das Baritonsaxofon ganz entspannt.

Mit „Summit“ steht nochmals eine Komposition von Piazzola auf dem Programm. Beinahe hektisch und nervös erscheint, was wir hören. Dramatische Linien reihen sich aneinander. Aufgeregtheit signalisiert das Spiel des Trios. Man wartet förmlich auf eine explosive Entladung als Teil der Inszenierung. Doch stattdessen verstetigt sich das Spiel Girottos, schlägt Pirouetten und Wendungen, unterstützt vom Bandoneonisten. Während des Spiels des Pianisten vernimmt man klares rhythmisches „Drumming“. Sind es die Klappenbewegungen des Saxofons oder Klopfgeräusche auf dem Korpus des Bandoneons?

Zum Schluss noch ein paar Worte zu den Kompositionen von Mulligan wie „Aire De Buenos Aires“ und „Etude For Franca“: „Die Luft von Buenos Aires“ erweist sich als urbaner Rausch, als eine Entäußerung von Lebensfreude. Man meint gar, alles drehe sich um die ausladenden Schrittfolgen und Drehungen des Tangos, von morgens bis weit in die Nacht. Bei dem Klang des Bandoneons kann man sich anmutige Paare vorstellen. Für Dynamik im Tanz sorgt Girotto mit aufwühlenden Saxofonpassagen. Verhalten trifft auf schnell. Innehalten und neu beginnen wechseln sich ab, so verdeutlicht es das Trio. Und schließlich folgt ein Furioso zum Schluss.

 „Etude For Franca“ wird vom Bandoneonisten eröffnet, der uns melodischen Schmelz präsentiert. Das ist durchaus mit einem gewissen Schuss Schwermut angereichert. Samt erklingt anschließend beinahe balladenhaft das Baritonsaxofon. Man meint, darin einen Abgesang an eine herrlich durchtanzte Nacht zu erkennen. Nun ist die Nacht beinahe zu Ende und auch die Erotik auf dem Parkettboden ist vergangen. So jedenfalls könnte man ein entsprechendes Bild malen.

Text © ferdinand dupuis-panther


Informationen

https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/j/javier-girotto-aires-tango-with-ralph-towner/
https://www.jazzhalo.be/interviews/javier-girotto-interview-with-the-saxophonist-from-cordoba-argentina-who-lives-in-italy/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/s/soo-cho-javier-girotto-ballerina/

http://www.javiergirotto.com


In case you LIKE us, please click here:



Foto © Leentje Arnouts
"WAGON JAZZ"
cycle d’interviews réalisées
par Georges Tonla Briquet




our partners:

Clemens Communications





Hotel-Brasserie
Markt 2 -
8820 TORHOUT

 


Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse


Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée


Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant


Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon


Pedro Soler
(08/06/1938 – 03/08/2024)
foto © Jacky Lepage


Special thanks to our photographers:

Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte

Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper

Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Jeroen Goddemaer
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein

Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre

Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten

Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden

Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner


and to our writers:

Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Chris Joris
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst