Jason Kao Hwang Critical Response - Book Of Stories
J
True Sound Recording
Zu dem Fusion-Trio aus den USA gehören Jason Kao Hwang (composer/electric violin), Anders Nilsson (electric guitar) und Michael T.A. Thompson (drums).
Im Pressetext zum Album lesen wir: „Fusion—after a half-century or so—has reached a certain age, meriting serious reconsideration if not complete reconceptualization, as indeed it receives here by Critical Response. While the Afrofuturist experimentalism of its trailblazing earliest manifestations may soon have devolved in more commercial directions, it crossed paths briefly but seminally with avant-garde jazz on New York’s downtown Loft Jazz scene, whose inspiring aesthetic intersections reverberate throughout the music now at hand.“
Gewiss, es gab in der Geschichte von Jazz und Rock immer wieder Bands und Solisten, die die Geige einer neuen Bestimmung jenseits der klassischen Musik oder Folkmusic zugeführt haben. Man denke an Didier Lockwood oder Jean-Luc Ponty, aber auch an Stéphane Grapelli oder The Flock. Doch die Geige ist und bleibt im Jazz ein Exot, soweit es die Instrumentierung angeht. Umso mehr sollte man die Ohren für das Fusion-Trio um Jason Kao Hwang spitzen.
Zu Beginn von „The Power of Many in the Soul of One“ meint man, man lausche Walen. Dieser Eindruck löst sich doch sehr schnell auf. Die wehklagende und teilweise wimmernde Geige ist das eine, die fließenden Saitenlinien der Gitarre das andere. Stakkatoklänge vermischen sich mit dramatischen Melodielinien, die gut als Filmmusik für eine Dokumentation über Wolkenbilder durchgehen könnten. Stimmungsvoll ist das, was wir hören. Zudem muss hervorgehoben werden, dass der Violinist nicht allein die Klangfärbungen bestimmt, sondern auch der Gitarrist ganz wesentlich daran beteiligt ist. Wenn Anders Nilsson in die Saiten greift, dann ist Rock pur angesagt. Im Zusammenspiel mit dem Violinisten lösen sich dann gefestigte Strukturen, scheinen Klangmosaiksteinchen aufgereiht zu werden. Dass dieses Stück dem Anführer der Demokratiebewegung in Hong Kong gewidmet ist, ist aus den Klangformen jedenfalls nicht abzuleiten. Gewiss dramatische Szenen sind zu erleben, aber das scheint ohne realen Kontext, oder? Schließlich eskalieren die Klänge zu einem Tsunami und Malstrom, wird das Spiel der beiden Saitenakrobaten wild und jenseits von festgefügten Strukturen. Ausbruch aus Strukturen lautet die Devise. Doch in diese kehrt das Trio gegen Ende wieder zurück, mit Saitengewimmer und angedeutetem Wauawau.
Und dann gegen Ende vermeint man wieder Walgesang zu vernehmen, die der Violinist seinem Instrument entlockt. „Upside Circle Down“ schließt sich an das Eröffnungsstück an. Ein kurzwelliges Schwirren bestimmt den Beginn des Stück. Elektronika werden beigemischt, so der Eindruck. Synth-Anmutungen bestimmen das musikalische Geschehen. An tanzende Irrlichter muss der eine oder andere Zuhörer angesichts der Musik denken. Treibend ist das Schlagwerkspiel. Flirren ist obendrein auszumachen. Wird da nicht auch Scratching zum Teil des Vortrags? Teilweise scheint es auch so, als hätte Sirenenklang für das musikalische Arrangement Pate gestanden. Sobald der Gitarrist alleine zu hören ist, drängt das rein Melodiöse an die Oberfläche, sieht man spiegelglatte Flächen und Kurzwelliges. Jason Kao Hwang knüpft nachfolgend durchaus an die Musik von Lockwood und Ponty an. Das Divergierende wird zugunsten einer Melange von Saitenklängen aufgegeben. Umspielungen bestimmen dann den Klang. Des weiteren finden wir auf dem aktuellen Album „a silent ghost follows“: Wie man erfährt wurde das Stück aufgrund eines wiederkehrenden Traums komponiert. Gespenstische spitze Klänge machen sich breit, breiten sich aus und verhallen. Man muss bei der Musik hier und da an die Untermalung von Horrorfilmen denken, oder? Zugleich fallen dem einen oder anderen symbolistische Gemälde von Brügge im Nebel oder Geschichten von Edgar Allan Poe ein. Das Unheimliche breitet sich in diversen Klangbildern, auch in einem Schlagwerksolo aus, bei dem man eher den Eindruck von Theaterdonner und Paukeninferno hat. Verzerrte Klangwolken ziehen dahin, mit Hall unterlegt. Man mag dabei durchaus im Sinne von Fantasy Stories an verlorene Seelen denken, die aus dem Jenseits ihren Kummer klagen. „Friends Forever“ rundet das vorliegende experimentelle Album ab. In diesem gibt es keine glatten Linien und lineare Prozesse, sondern eher Kurvenbilder mit großen und kleinen Amplituden.
© fdp2023
https://jasonkaohwang.com/
Tracks
1. The Power of Many in the Soul of One (13:53)
Dedicated to Joshua Wong, a leader of the democracy movement in Hong Kong
2. Upside Circle Down (13:06)
Inspired by my youthful years living in the East Village (NYC) during the 1980’s
3. a silent ghost follows (7:38)
Inspired by a recurring dream, I know this ghost
4. Dragon Carved into Bone (12:12)
Inspired by Chinese bone carvings in my childhood home
5. Friends Forever (5:49)
Dedicated to the late Will Connell, Jr. and Takeshi Zen Matsuura,
members of my first band, the collective quartet Commitment