Insomnia Brass Band - Late Night Kitchen
I
Tiger Moon Records
Auch wenn auf dem Cover Bandsalat und Plastikfisch serviert werden, wird mit dem Album weder Bandsalat noch musikalisches Leipziger Allerlei kredenzt, sondern es ist nachhaltig jazzige Blasmusik zu hören, die sich nicht in banalem Humpdahumpda verliert. Dass das so ist, ist der Posaunistin Anke Lucks, der Baritonsaxofonistin Almut Schlichting und dem Drummer Christian Marien zu verdanken. Schon die Instrumentierung des Trios tanzt aus der Reihe. Kein Kontrabass ist zu finden und auch kein klassisches Harmonieinstrument. Zudem zeigt sich in diesem Trio Frauenpower jenseits von der üblichen Rolle von Frauen in Bands, die im Jazz vielfach als Vokalistinnen und Pianistinnen in Erscheinung treten. Irritierend und rätselhaft ist allerdings der Bandname, denn bei Insomnia handelt es sich um den medizinischen Begriff der Schlafstörung bzw. Schlaflosigkeit.
Hereinspaziert in die „Beach Bar“ zum Frühstück – das ist die musikalische Aufforderung zu Beginn des Albums, der von einem starken Dialog der beiden Bläserinnen dominiert wird. Da schnurrt die Baritonsaxofonistin in den Tiefen ihres Instruments, formt eine wiederkehrende Basslinie, über die die Posaunistin bewegte Klangwellen ausbreitet. „Beach Bar Breakfasz“ geht im Übrigen nahtlos in „Wiegenlied“ über. Zuvor jedoch ist noch ein fulminantes Schlagwerksolo zu hören. Sehr lyrisch und wenig rhythmisiert wie zu Beginn kommt das Wiegenlied daher. Mit sonorem Timbre zeigt sich die Saxofonistin, die zugleich auch das „Klappern“ der Klappen als Klangmotiv einführt. Im weiteren Verlauf des Stücks meint man, man würde einem Lamento oder Requiem lauschen, also keineswegs dem gängigen lieblichen Schema eines Lullaby. Mit einem komprimierten Bläsersatz einer Big Band ohne Dopplung von Instrumenten warten die Musikerinnen bei „Ssst“ auf. Die Rollen sind dabei im Fortgang des Stücks klar verteilt. Das Baritonsaxofon sorgt für die Erdhaftung und die Bodenständigkeit, derweil sich die Posaunistin auch hier und da Klangeskapaden leistet. Dabei verweben sich beide Stimmen in Dialog und Kontroverse. Schon wieder geht es dann um Kulinarisches im weitesten Sinn, wenn es heißt „Gingerbread Resistance Song“. Schlagwerkwirbel und elegische Anmutungen einer Street Band auf einem Trauermarsch in New Orleans sind kennzeichnend für den Beginn, ehe dann auch Rhythmen zu hören sind, die in Ansätzen an Rap, House und auch an Techno denken lassen. Langwellige Saxofonpassagen sind auszumachen, gleichsam als Melodiezeichnungen anzusehen. Überspannt klingt einiges, was wir hören. Sehr gelungen ist die Umsetzung der jeweiligen Klangfärbungen von Saxofon und Posaune. Auch in diesem Stück gibt es einen Rollenwechsel zwischen diesen Instrumenten. Nie verharrt eine der Musikerinnen in einer zementierten Rolle. Auch die Posaunistin führt im Verlauf des Stücks in die Melodieflächen ein. „Nein – Doch“ könnte auch „Ja-Nein“ heißen. Auch Wort und Gegenwort, Rede und Widerrede wäre ein passender Titel des Stücks. Nachhaltig ist das rhythmische Element des Stücks, das den Zuhörer nicht still sitzen lässt. Klangeruptionen im Wechselspiel sind charakteristisch, und man wartet auf das große Finale, das auch ohne den Schlagwerker stattfinden könnte.
„African Birdsong“ verzichtet auf eingespielte Vogelstimmen und brilliert mit einem Rhythmus, den man ansonsten nur von Street Marching Bands kennt. Dumpfe Trommelwirbel - man denke an einen Workshop afrikanisches Trommeln - begleiten die schnurrende Saxofonstimme, die nicht nur in der Tieftönigkeit verharrt. Und ab geht die Post mit tropischem Klangfieber im Geiste von Fela Kuti. Und zum Schluss heißt es „Alles Ok?“, ein wenig an ein Couplet der 1920er Jahre oder einen Schlager aus den 50er Jahren erinnernd. Doch dank der Paraphrasierungen löst sich die Vorstellung eines ins Ohr gehenden Gassenhauers schnell auf. Dabei sind zwischen Posaune und Saxofon wechselnde Redundanzen gewollt. Sie sind die Bausteine, über denen eine durchaus eingängige Melodie in Szene gesetzt wird. Übrigens auch ein sogenanntes false ending haben die Musiker in ihr Stück integriert. Gegen Ende meint der Hörer, er höre einer Übungsstunde oder dem Stimmen der Instrumente zu, leicht chaotisch organisiert.
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Informationen
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