Helge Lien Trio: Badgers And Other Beings

Helge Lien Trio: Badgers And Other Beings

H

Ozella Music, OZ 055

Ja, Jazz aus Norwegen ist mehr als Bugge Wesseltoft, Jan Gabarek und Terje Rypdal oder Marius Neset. Das unterstreicht ganz nachhaltig das Trio des norwegischen Pianisten Helge Lien, an dessen Seite Frode Berg den Bass zupft und Per Oddva Johansen das Schlagwerk beherrscht. Dass Helge Lien eine Vorliebe für scheue Dachse hat, die eher des Nachts unterwegs sind, wird angesichts des Albumtitels deutlich. Wer aber sind die anderen erwähnten Kreaturen? Menschliche Nachtschwärmer, Mondsüchtige an der Pont Neuf oder …? Insgesamt zehn Kompositionen des Bandleaders wurden für das Album zusammengestellt, angefangen bei „Mor“ („Mutter“) über „Joe“ und „Hoggormen“ sowie „Hvalen“ („Wale“) bis zu „Knut“ und zum Schluss „Badger's Lullaby“.

Alben namens „Hello Troll“ und „Natsukashii“ waren „Vorläufer“ des aktuellen Albums. Die darin veröffentlichten Aufnahmen führten dazu, dass Helge Lien von der Kritik mit dem leider infolge eines Tauchunfalls früh ums Leben gekommenen schwedischen Jazzer Esbjörn Svenson verglichen wurde. Zugleich wurde Lien bezüglich seines Klavierspiels mit Bill Evans lyrischem Ansatz und Brad Mehldaus expressivem, energetischem Spielfluss in Beziehung gesetzt. Auch der Name von Keith Jarrett fiel im Zusammenhang mit Helge Lien in der einschlägigen Fachpresse das eine oder andere Mal. Ob all das zutreffend und kennzeichnend ist, sei dahingestellt. Sehr häufig verstellen derartige Vergleiche den Blick auf die jeweilige Form des Jazz. Es scheint auch aus meiner Sicht nicht zwingend notwendig, solche Bezüge herzustellen. Helge Lien ist schlicht Helge Lien!

Mit „Mor“ eröffnet das Trio seine musikalische Präsentation. Für meine Ohren klingt dieser Titel sehr ohrschmeichlerisch und ein wenig auch an eine Art Liebeserklärung erinnernd, romantisch eingefärbt, ohne nun gleich an Schumann und Schubert zu denken. Wüsste man den Titel „Mutter“ nicht, wäre das Stück aufgrund seiner „Erzählstruktur“ auch bestens geeignet, einen Dokumentarfilm über den Oslofjord im Hochsommer musikalisch zu begleiten. Irgendwie vermitteln der Melodiefluss und das lyrisch wie akzentuierte Klavierspiel von Helge Lien das Bild von plätschernden Wellen und Wellenreitern.

Eine ähnliche Stimmung wie „Mor“ vermittelt auch „Joe“. Dabei darf die Frage erlaubt sein, wer denn Joe eigentlich ist, der da besungen wird. Irgendwie beschleicht den Zuhörer auch ein wenig das Gefühl von „Autumn Leaves“. Es scheint, als gehe ein Tag im sonnigen Herbst dahin, als bummele man mit Joe über einen belebten Boulevard, ob in Oslo oder Berlin. Auffällig ist bei diesem Stück das Solo des Bassisten Frode Berg, der mit seinem Zupfen den Spuren eines Flaneurs in der Großstadt zu folgen scheint. Dominant im Trio, nicht nur bei diesem Stück, ist jedoch Helge Lien an seinem Tastentöner. Perlende Sequenzen sind ebenso wahrzunehmen wie das sprunghafte Spiel, so als sollte, ein hopsendes Kind musikalisch eingefangen werden.

Begeben wir uns nun mit dem Trio zu den Walen, deren Fleisch in Norwegen durchaus eine Delikatesse ist, die auch in Restaurants auf der Speisekarte steht, Walfangmoratorium hin oder her. „Hvalen“ lautet der Titel der Komposition. Nun darf man keine hochtönigen Walgesänge erwarten, kein Fiepen und kein Fiepsen. Eher vermeint man – hört man auf das Schlagwerk und den Bass – das Luftholen und die Fontäne, die aus dem Atemloch emporschießt, vor Augen geführt zu bekommen. Folgt man Liens Klaviersequenzen, stellt man sich vor, wie der Wal auftaucht, sich überschlägt und die Fluke am Ende sichtbar ist, ehe der Wal wieder in die Tiefen des Meeres abtaucht.

Einen sehr frühen Morgen erleben wir mit „Early Bird“. Dabei scheint es, dass die Frühaufsteher schon sehr emsig den Tag beginnen. Die ersten Sonnenstrahlen haben sie geweckt, und nun geht es im morgendlichen Stop and Go zur Arbeit. Noch ein Coffee to go und dann … Die Komposition klingt sehr urban, nach bewegtem Alltag, nach stetem Hin und Her, auch und gerade, wenn Frode Berg sich ins Spiel besonders auffallend einmischt. Ansonsten scheint alles wie immer zu sein. Alles scheint im Fluss. Niemand kann zurückbleiben. Es scheint nur ein Vorwärts zu geben.

„Calypso Five“ lässt an die Karibik und afrokaribische Musik denken, auch an Steel Drum Bands. Doch nichts ist davon zu spüren. Es gibt auch keine südamerikanisches Rhythmik, von „Banana Boat Song“ mal ganz zu schweigen. Das Trio bleibt bei dem Spielduktus, der narrativ geprägt ist. Erst etwa zur Hälfte der Komposition deuten sich Harmonien an, die mit Calypso im klassischen Sinne in Bezug stehen. Vielleicht ist es aber auch norwegischer Calypso und der klingt halt nordisch-gesetzt, wie ja auch finnischer Tango nicht Tango nuevo ist.

Zum Schluss präsentiert uns das Trio ein Schlaflied für einen Dachs. Folgen wir da nicht den Spuren des Dachses, wenn Per Oddvar Johansen kurz die Felle der Trommeln zum Schwingen bringt? Getragen kommt das Klavierspiel von Helge Lien daher, und man wartet beinahe auf „Der Mond ist aufgegangen“. Doch ganz so endet das Album dann doch nicht. Eher verströmt das Trio auch in diesem Titel einen Hauch von nordischer Poesie.

Text: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Label
Ozella Music
http://www.ozellamusic.com

Musiker
Helge Lien
http://www.helgelien.com/

Video
https://www.youtube.com/watch?v=fSR_Y8mZvj0
https://www.youtube.com/watch?v=Mmp1hZ7EfP0&list=PLSEcE5FHYFxDUfgFacaD6Azt80S2UCHR5
https://www.youtube.com/watch?v=yoGlwRgFRtw
http://www.helgelien.com/media/

Audio
https://myspace.com/helgelientrio/music/songs


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