Hans Peter Salentin – Pop Agenda
H
Dewey Records
Der Titel des Albums, an dessen Einspielung die nachstehend genannten Musiker beteiligt waren, scheint Programm zu sein, oder? Zu hören sind neben dem aus Moskau stammenden E-Bassisten Anton Davidyants, der in Kiew (Ukraine) beheimatete Gitarrist Eugene Uvarow, der gleichfalls aus Kiew stammende Drummer Sergey Yuzvik und zu guter Letzt der Flügelhornist und Trompeter Hans-Peter Salentin, der in der Nähe von Köln sein Zuhause hat, sich in Würzburg jedoch als Professor um den Jazznachwuchs kümmert.
Betrachtet man das Cover der CD, das in der Gestaltung an die in Neonfarben getauchte Pop Art eines Bruce Nauman anknüpft, dann wird das musikalische Programm auch in der formalen Albumgestaltung umgesetzt. Verantwortlich für die Cover-Gestaltung ist Hans Jörg Scheffler. Die Kompositionen des Albums stammen alle aus der Feder von Hans-Peter Salentin. Entstanden sind die Kompositionen in der Zeit der Beschränkungen im Kontext der Covid-19-Pandemie. Und auch die Aufnahmen mussten in Zeiten des Lockdowns in die Wege geleitet werden, über Grenzen hinweg. Das ist gelungen, dank der Vorproduktion, die Hans-Peter Salentin an alle Beteiligten verschickte. Deren Rückmeldungen waren essenziell, um den finalen Mix zu schaffen. So dauerte der Produktionsprozess für diese CD von März bis Mai 2020.
Eröffnet wird das Album mit „House of Cards“, ehe der Hörer mit dem „Trancesibiran Express“ musikalische Eskapaden erlebt. Auf die Spur von „The Chillout Factor“ zu kommen, ist keine Frage. Die „Funky Sister“ tritt in Erscheinung, bevor es ab in die Nacht („Into the Night“) geht. Schließlich ist auch der „Titelsong“ des Albums zu hören: „Pop Agenda“. Mit „Latin Vesuvio“ endet die musikalische Pop-Exkursion.
Eingängig und unverkopft ist das, was wir hören. Dabei nimmt uns Hans-Peter Salentin an die Hand und lässt uns eine musikalische Reise erleben, die Horizonte jenseits von Post-Bop und freier Improvisation erleben lässt. Wer schon immer ein Faible für Bands wie Chicago, Blood, Sweat & Tears oder Spyra Gyra hatte, für den ist das Album ein akustischer Leckerbissen. Bereits mit „House of Cards“ scheinen sich neue Welten zu öffnen, scheint das Schwerelose und Unbefangene im Vordergrund zu stehen, scheinen melodische Höhenflüge vollführt zu werden. Und bei der Komposition „Trancesibiran Express“ nimmt man in einem Zug Platz – man achte auf die rhythmischen Setzungen, die uns glauben machen, der Zug würde über Schwellen gen Osten rasen. Dabei unterstreichen die melodischen Linien, die Hans-Peter Salentin zeichnet, scheinbar unendliche Weite. Ergänzt werden diese durch holprige Rhythmik und eine wimmernde E-Gitarre, die weniger im Jazz als im Rhythm and Blues verwurzelt ist. Und so nimmt der Zug Fahrt auf, dabei Tag und Nacht vergessend, oder? Nur noch ein Einwurf: Hat die Musik vielleicht auch mit dem allmählichen Abgleiten in einen Trancezustand zu tun, jenseits der Tänze der Sufis?
Nach der rasanten Klangreise ist es Zeit für einen Moment derEntspannung. So stimmen die Musiker bei „The Chillout Factor“ eher ruhige Töne an. Man könnte beinahe von einem lyrischen Narrativ reden, lauscht man nicht nur Hans-Peter Salentin, sondern auch den beigemischten Streichern, die im Hintergrund angelegt sind, während dem E-Bassisten die Bühne gehört. Klangpirouetten reihen sich aneinander, die hier und da vom Hornspiel von Hans-Peter Salentin durchdrungen werden. Ach ja, auch die „Funky Sister“ ist ein Hinhörer. Dabei wird deutlich, dass Funk auch jenseits von Les McCann besteht; zumal dem Song auch eine Portion Rap beigemischt wurde. Bradford Marsalis und Buckshot LeFonque lassen grüßen, oder?
Bei „Into The Night“ denken wir an Nachtschwärmer und die blaue Stunde. Fein gehaucht und nicht etwa scharfzüngig ist das Spiel von Hans-Peter Salentin. Rollende Gitarrenwellen sind zu vernehmen, die von flauschigen Klangwolken abgelöst werden, die dem Bandleader des Quartetts zu verdanken sind. Alles scheint im steten Fluss. Und so verstreichen die nächtlichen Stunden. In „Pop Agenda“ scheint sich musikalisch all das zu bündeln, was wir zuvor gehört haben. Hier und da scheint es auch Anklänge an Isaac Hayes und seine Filmmusik „Shaft“ zu geben. Schließlich heißt es „Latin Vesuvio“: Es klingt dabei weniger nach brodelndem Vulkan als vielmehr nach karibischem Flair und ein wenig Barcardi Rum, ohne entsprechende Klischees aus der Welt der Werbung zu bedienen. Doch südliche Sonne und azurblaues Meer sind Bilder, die sich beim Spiel des Quartetts auf jeden Fall im Kopf des Zuhörers festsetzen.
Mit dem vorliegenden Album verfliegen schnell düstere Gedanken. Die Musik ist ein willkommener Stimmungsaufheller jenseits pharmazeutischer Heilsbringer – und das ist in diesen Zeiten gut so.
© fdp
Informationen
http://www.hp-salentin.com
https://music.apple.com/si/album/pop-agenda/1519689978