Hannes Zerbe Quintett – Live im A-Trane Berlin
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Für die Live-Aufnahmen kamen der Klarinettist Jürgen Kupke, der Saxofonist Nico Lohmann, der Pianist und Bandleader Hannes Zerbe, der Bassist Horst Nonnenmacher und der Drummer Christian Marien in einem der bekannten Jazzclubs in Berlin-Charlottenburg zusammen. Auf ihrem Live-Programm standen u. a. Stücke wie „Chronos“, „Pasacaglia für David“, „Trio Kunz“ sowie „Lydische Ballade“.
Anlass des Auftritts war die Verleihung des „Jazzpreises 2021“ der Stadt Berlin, mit dem am 9. Juni 2021 der Pianist und Komponist Hannes Zerbe ausgezeichnet wurde. Die Musiker des Abends formten keine ad-hoc-Band, sondern kannten sich aus zahlreichen Projekten, vor allem aber über ihr Zusammenspiel im 19-köpfigen Hannes Zerbe Jazz Orchester, von dem bisher drei CD-Produktionen bei JazzHausMusik erschienen sind.
Über die live aufgenommenen Tracks heißt es im sogenannten Waschzettel: „Hannes Zerbe sucht in seiner Arbeit immer wieder die Nähe zu Material aus dem Bereich der klassischen E-Musik („Pasacaglia für David“, „Mahlerei“) und schafft dabei über die Originalität seiner Klangvorstellungen und die Stringenz seiner Improvisationsideale einen fluktuierenden Austausch zwischen zwei scheinbar unvereinbar nebeneinander stehenden musikalischen Ebenen.“ Die Kompositionen der vorliegenden Produktion stammen überwiegend von Hannes Zerbe, der schon zu DDR-Zeiten mit seiner „Blechband“ eine Ikone der dortigen Jazzszene war.
Die Zeit scheint zu eilen, lauscht man „Chronos“. Nicht nur der Schlagzeuger mit seinem treibenden Schlagwerk ist Teil der Zeit, sondern auch der Pianist mit seinen distinkten, diskanten Setzungen. Bisweilen meint man das stete Rattern einer Tram oder Eisenbahn zu vernehmen. Zugleich vermittelt die Musik das Leben der Großstadt mit geschäftigem Hin und Her, in das vor allem die Bläser des Ensembles eingebunden sind. Ja, auch das Schrille der Großstadt wird eingefangen, so der Eindruck, das Zucken der Neonreklameschilder, der ewige Fluss von Autos, die zahlreichen Flaneure vor den Schaufenstern, so wie sie August Macke in seinen Gemälden festgehalten hat. Ist da nicht in der Komposition auch ein wenig Eisler eingebunden?
Dramatisches ist zu vernehmen, unablässige Klarinettenverwischungen und das Sonore eines Saxofons, das sich gelegentlich entäußert. Doch insgesamt sind auch die beiden Bläser in einem Vorwärtsmodus eingebunden, in den Lauf der Zeit, und das im wahrsten Sinne bis zum letzten Takt, mit dem die Orchestrierung der Zeit endet. Getragen und lyrisch kommt „Pasacaglia für David“ daher. Die Klangfärbung im Kern durch die Zwiesprache der beiden Bläser bestimmt. Dabei nähert sich der Saxofonist in seinem Duktus dem Weichklang an, den der Klarinettist verantwortet. Nachfolgend gibt es Raum für ein Basssolo, das in den Ausformungen langen Wellen in dunklen Tönungen gleicht. Anschließend erhebt sich die Stimme des Saxofonisten und buhlt um Aufmerksamkeit. Eine gewisse Melancholie scheint dabei nicht von der Hand zu weisen. Hin und wieder scheint es aber auch ein freudiges Frohlocken zu geben, begleitet von dahinfließenden Aquarellschraffuren des Pianisten. Und wo ist die wiederkehrende Bassmelodie, die für eine Pasacaglia so typisch ist? Man muss schon genau hinhören, um diese herauszuhören, wird sie doch von den Linien der beiden Bläser übertönt.
Gassenhauer, Charleston, Swing oder was? Das stellt sich als Frage bei „Mahlerei“. Da gibt es veritable Turbulenzen dank an den Saxofonisten und auch der Klarinettist ist nicht kleinlaut unterwegs, sondern aufgewühlt und aufgeregt, bisweilen so, als würde er geradewegs aus einer Klezmer-Band entsprungen sein und sich nun in der Vielfalt von Improvisierungen ausprobieren. Und was bringt uns Hannes Zerbe am Piano zu Gehör? Kaskadierungen, Kehrwasser, Wildwasser – so könnte man meinen. Dabei ist auch eine ausgeprägte Basshand nicht zu überhören. Auch Brechungen im Diskant sind Teil des Piano-Solos. Schließlich drängt sich beim Hören des Stücks auch der Begriff Vaudeville auf.
Schnurrend und flirrend vernehmen wir den Klarinettisten zu Beginn des Stücks „Trio Kunz“. Anschließend geht alles in einen Melodiefluss über, der vom Pianisten begleitet wird. Anmutungen an Kompositionen von Kurt Weill und Hanns Eisler drängen sich auf. Der Eindruck, hier werde ein Stummfilm der 20er Jahre begleitet, scheint nicht ganz fern. Neufassung der Musik für den Film „Berlin - Die Sinfonie der Großstadt“ (1927) oder doch nicht? Blasorchester reloaded stellt sich als Frage bei dem Stück „Lydische Ballade“ zu Beginn. Mit Poesie durchtränkt ist das Stück, das auch immer wieder das Dramatische berührt. Phasenweise meint man einem melodischen Galopp beizuwohnen. Und dann gibt es auch tanzbare Passagen zu hören, an einen Springtanz erinnernd und zugleich auch an die Melodie von Couplets aus vergangenen Tagen, oder?
© ferdinand dupuis-panther
Infos
www.jazzhausmusik.de
www.hanneszerbe.de
Musiker
Jürgen Kupke - cl
Nico Lohmann - sax
Hannes Zerbe - p
Horst Nonnenmacher - b
Christian Marien - dr
Tracks
1. Chronos (5'22)
2. Pasacaglia für David (7'00)
3. Mahlerei (5'39)
4. Trio Kunz (4'35)
5. Monalisa (9'27)
6. Stiller 2 (5'43)
7. Lydische Ballade (9'54)
8. Part XVIII (7'41)