Evgeny Ring Quartet feat. Bastian Ruppert: Mesokosmos
E
Unity Records, UTR 4589
Man nehme ein Saxofon, ein Piano, ein Schlagzeug, eine Gitarre und einen Bass – so wird auf einem Quartett rasch mal ein Quintett auf Zeit, so auch beim 4tet von Evgeny Ring (Saxophone). Ihm zur Seite stehen bei ihrem „Mesokosmos“ - wieso eigentlich nicht Mikro- oder Makrokosmos? - Sascha Stiehler (Piano), Dominique “Gaga” Ehlert (Drums), Philipp Rohmer (Bass) und als Gast Bastian Ruppert (Guitar). Angekündigt wurde vom Label eine Formation eigensinniger Köpfe, bei denen der Jazz russischem Roulett gleicht. „Das zweite Album des Jazz-Quartetts ist ein musikalisches Laborexperiment – zwischen traditioneller Struktur und moderner Interpretation, zwischen Erwartungsbildern und improvisatorischem Freigeist“. So liest man die Beschreibung des vorliegenden Album.
Lauschen wir also der künstlichen Welt von Evgeny Ring und Co., die auf dem Booklet des Albums ganz und gar in Farbe getaucht sind, so als hätten sie versehentlich den Weg eines Airbrushers gekreuzt. Zur bunten neuen Welt der Ring 4tets gehört auch ein schillernder Schmetterling, den wir auf dem Cover entdecken. Er scheint zu neuen Ufern aufzubrechen und davonzufliegen.
Ehe wir bei Evgeny Rings eigener Welt, dem Mesokosmos, angelangt sind, steht erst einmal unsere „Metamorphose“ bevor, musikalisch zumindest. In dieser Eigenkomposition von Ring wird selbst das Piano zu einem Tieftöner, während die anhaltenden Wirbel des Schlagwerks auf Dramatik und auf Wandel hindeuten. Schritt für Schritt beginnt der Wandel und das drückt sich auch in der Musik des 4tets aus. Der Wandel meint dabei den Wechsel vom Dramatischen zum Elegischen. Dabei sorgt der Schlagzeuger mit beinahe vordergründiger Nachlässigkeit für starke Akzente, derweil sich der Pianist des 4tets dem Melodischen hingib. Mit seinem Holzbläser umgarnt Ring die übrigen Mitspieler Ton um Ton. Der Pianist verfällt im Weiteren in ein Wechselspiel mit dem Saxofonisten. Dabei steigt die Spannung merklich. Ist die Puppe nun zum Schmetterling geworden oder meint „Metamorphose“ bei Ring etwas ganz anderes? Nach dem „Wandel“ entführt uns das 4tet in ihre „Oasis“. Wir folgen den Spuren des Pianisten. Dem Trab der Reitkamele gleicht das, was der Schlagzeuger seinen Trommeln und Becken entlockt. Melodisches hören wir von Ring. Auch dabei haben wir eine Kamelherde vor Augen, die Teil der Karawane ist. Im Zuge des Fortgangs der Komposition – diese entstammt wie alle Kompositionen des Albums der Feder Evgeny Rings – schalten sich auch der Bass und der Gitarrist Bastian Ruppert in den Zug der Kamele gen fruchtbarer Oase mit Dattelpalmen und Bewässerungskanälen ein. Klackklackklack ist der Beitrag des Drummers Dominique “Gaga” Ehlert. Fängt er damit das Klappern des Zaumzeugs ein? Der weiche Klang der Gitarre lässt uns an den sanften Wind denken, der Sandkorn um Sandkorn von den riesigen Dünen abträgt und in die Oase weht. Gemächlichkeit drückt das Stück aus, in dem auch leicht orientalisch gefärbte Töne zu vernehmen sind, und 1001 Nacht so sehr nahe ist.
Einem russisch-armenischen Maler von Seestücken namens Ivan Aivazovsky ist ein 1850 entstandenes Ölgemälde mit dem Titel „The 9th Wave“ zu verdanken, wie meine Recherche ergab. War vielleicht dieses Gemälde der Impuls für Ring, das Stück gleichen Namens zu komponieren? Wir müssten Ring dazu befragen, ansonsten bleibt es schlicht eine, wenn auch durchaus naheliegende Annahme. Auf dem Gemälde sieht man Schiffbrüchige, die auf einem Mast sitzend im Meer treiben. Ihnen droht, von den Wellen überrollt zu werden. Doch wieso lautet der Titel gerade „Neunte Welle“. Die sogenannte e-Architecture der CD sieht als Titel übrigens auch „Poseidon“ vor. Angesicht der Klaviersequenzen, die wir hören, können wir uns Wellen und Gischt bildlich sehr gut vorstellen. Das Getose des Meeres wird zudem nachhaltig vom Schlagwerk eingefangen. Im Laufe des Stücks wechselt das Klavier in einen sprunghaften Duktus, so, als wolle es damit musikalisch die Wiederkehr der Wellen einfangen. Tempowechsel signalisieren das Aufbäumen und Abflauen der Wellenkämme. Der einsetzende Gitarrensound steht für eine ruhige See.
Nachdem wir am „Secret Place“ waren, erleben wir den „24th Autumn“. Mit dem Klangbild verbunden ist bei dem Herbststück die gedrückte Stimmung. Nebelschwaden scheint das Saxofon tonal einfangen zu wollen. Der Eindruck, dass das öffentliche Leben beinahe zum Erliegen gekommen ist, drängt sich beim Hören des Stückes auf. Die Sequenzen, die der Pianist anspielt, gleichen hallenden Schritten auf regennassen Straßen. Es sind Schritte von Wenigen, die noch unterwegs sind.
Ihren „Elektroklops“ hat die Band in einen Sound aus Fender Rhodes (?), Saxofon und Gitarre verpackt. Dabei gibt das Saxofon dem Klops den richtigen Stoß, sodass er ins Rollen kommt. Abschließend öffnet das 4tet plus Gast das Türchen in ihren „Mesokosmos“, in dem die Saiteninstrumente eine ganz gewichtige Rolle spielen. Es ist spannende Musik einer jungen Band, die einen überraschenden Sound gemischt hat und sich fernab von Standards wagt – und das ist wirklich mal ein neues Hörerlebnis, da die Zahl der Bands, die auf Post-Bop schwören, stetig steigt. Eigenes und Eigensinniges zu präsentieren, ist oftmals eine Seltenheit. Das jedoch ist das, was Evgeny Ring und Co. überaus erfolgreich gelungen ist.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Unit Records
www.unitrecords.com
Musiker
www.evgenyringquartet.com
Videos*
https://www.youtube.com/watch?v=3argMRCrtbs
https://www.youtube.com/watch?v=hOLMXyB4gCI