Eberhard Weber/Ack Van Rooyen: Encore
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ECM Records und „Résumé – eine deutsche Jazz Geschichte, sagas.edition
Seit er 2007 einen Schlaganfall erlitt, kann Eberhard Weber nicht mehr Bass spielen. Was um so bedauerlicher ist, da er auf seinem speziell für ihn entworfenen elektro-akustischen Instrument einen singenden Sound kreierte, der bis heute einzigartig ist. Doch nachdem sich Weber einmal mit seinem Handicap abgefunden hatte, ging er mit dem Saxofonisten Jan Garbarek und Schlagzeuger Michael DiPasqua 2012 wieder ins Studio, um unter dem Titel "Résumé" ein neues Album aufzunehmen. Das Besondere daran war, dass er dafür auf ausgedehnte Basssolo-Sequenzen zurückgegriffen hat, die bei früheren Auftritten mit der Jan Garbarek Group aufgezeichnet worden waren. Aus ihnen konstruierte Weber mit Hilfe von Garbarek und DiPasqua neue Kompositionen.
Technik macht das Spielen möglich
Für "Encore" bediente sich Weber nun derselben Arbeitsmethode, indem er weitere Solo-Sequenzen (aus den Jahren 1990 bis 2007) bearbeitete. Diesmal ist als Gast der niederländische Flügelhornist Ack van Rooyen mit von der Partie. Unbedingt zu empfehlen ist ein Blick ins Booklet, das ein ausführliches, sehr lesenswertes Interview Webers enthält. Wie in seiner Autobiografie „Résumé“, in der er ein Stück deutscher Jazzgeschichte nachzeichnet und auch sich selbst kritisch hinterfragt, geschieht das auch in dem vorliegenden Booklet. Dabei scheint Weber sein Licht ein wnig unter den Scheffel zu stellen. Seine Biografie schließt mit folgenden Worten: „Ich kann nicht Bass spielen. Aber ich weiß, wie's geht.“ im Booklet lesen wir: „... ích gehöre nicht wirklich zu dieser Phalanx aus Ray Brown, Scott LaFaro, Niels-Henning Ørsted-Pedersen ...“. An anderer Stelle lesen wir „Ja, der Bass schlägt auch mal zurück. Ich habe immer versucht, aus diesem Gerät etwas zu machen. Um möglicherweise dabei vergessen zu lassen, dass es sich um einen Bass handelt.“ Genau dieses Statement sollten wir besonders im Kopf haben, wenn wir Webers „Zugabe“ hören. Noch etwas mag man beim Hören der CD „Encore“ bedenken, nämlich: „Ich wage es, mich als den am wenigsten versierten Techniker von allen Bassisten zu bezeichnen, die es zu einer gewissen Achtung gebracht habe. Ich war perfekt – im Kaschieren meiner Hang-ups.“ So lesen wir es in Webers Autobiografie.
Die Zugabe als Schlussakkord
„Ob nach ‘Encore’ noch etwas von mir kommen wird, kann ich wirklich nicht sagen. Ich habe über Jahrzehnte immer viel mit neuen Leuten an wechselnden Konzepten gearbeitet. Jetzt bin ich nicht mehr so flexibel, spiele nicht mehr Bass und kann nicht so ohne weiteres eine neue Idee entwickeln." Das sind nachdenkliche Worte eines der einst innovativsten Bassisten, die Deutschland hervorgebracht hat. Es könnte durchaus sein, dass sich mit „Encore" für Eberhard Weber ein Kreis schließt. Denn er selbst sagt: „Van Rooyen war bei meiner ersten und ist bei meiner vielleicht letzten Produktion dabei."
Webers Zugabe
Dass Weber nie sehr kreativ war, wenn es um Titel für seine Kompositionen ging, hat er seinen Lesern in seiner Biografie unverblümt verraten. So war er sehr erleichtert, dass er beim aktuellen Album auf die Namen der Städte zurückgreifen konnte, in denen die am Computer bearbeiteten Aufnahmen seiner Basspassagen entstanden waren. Unsere musikalische Reise auf Webers Spuren führt uns von „Frankfurt“ über „Cambridge“ und „Langenhagen“ nach „Granada“, „Sevilla“ und schließlich über den Umweg „Edinburgh“ und „Hannover“ nach „Pamplona“. Beim Lesen kommt uns das sehr Spanisch vor, aber das dürfte wohl kaum in einem unmittelbaren Kontext mit der Musik stehen, die Weber uns als sein Vermächtnis hinterlässt.
Der samtene Sound des Flügelhorns paart sich in „Frankfurt“ mit dem beinahe als sphärisch zu bezeichnenden Klangteppich des Keyboards, das Weber mit seiner nicht gelähmten Rechten noch spielen kann. Als würde der Bass aus dem Off gespielt werden, so muten die akzentuierten Basspassagen an, die, teilweise gestrichen und mit Effekten unterlegt, auch an einen traurigen Walgesang erinnern. Überspringen wir mal „Konstanz“ und widmen uns gleich der englischen Universitätsstadt Cambridge, in der Weber einst auch konzertierte. Flott ist das Bassgezupfe, das wir vernehmen, wenn „Cambridge“ angespielt wird. Tieftöniges breitet sich ungestüm im Raum aus. Dumdumdumdum … und dazu „orgelt“, sprich schnarrt und wimmert Webers Bass. Kurz und von Pausen durchzogen sind die Interventionen von Ack Van Rooyen. Lauscht man dem Spiel des Duos, so hat man den Eindruck des völligen Losgelöstseins im Hier und Jetzt.
Schauen wir außerdem mal, wie „Langenhagen“ klingt: Geballte Bassgewalt schwappt über uns. Flott scheint die Griffhand geführt worden zu sein. Hochtöniges wie bei Niels-Henning Ørsted-Pedersen ist nicht zu erwarten. Gefällig ist die Unterfütterung des Stücks durch die Passagen, die Weber auf dem Keyboard anstimmt. Irgendwie hat die Basslinie etwas Tänzerisches. Schließt man seine Augen, so scheint eine Bewegung mal hierher und mal dorthin denkbar. Beinahe zum Ende des Stücks mischt sich dann das Flügelhorn ein und verbreitet den sogenannten „Fjord-Sound“. Doch „Langenhagen“ ist nicht Fjordnorwegen. Nein, Carmen und Bizet treten bei Webers „Sevilla“ nicht auf. Feurige Flamencoweisen sind auch nicht Webers Vorliebe. Der aus dem Ländle stammende und nun nahe der Pont du Gare lebende Bassist bleibt seinen Leisten treu. Auch Ack Van Rooyen interpretiert nicht irgendwelche Passagen aus „Concerto de Aranjuez“. Die Musik bleibt gänzlich dem mitteleuropäischen Kontext verhaftet. Bisweilen muss man beim Zuhören auch an Smooth Jazz und an Chill-out denken, auch wenn zum Ende des Stücks eine gewisse energiegeladene Dramatik nicht zu überhören ist.
Ob man nun „Bradford“ oder auch „Pamplona“ anspielt, das Schema scheint ähnlich. Weber bewegt sich dabei im Rahmen seiner Möglichkeiten. Insoweit ist es schon erstaunlich, was aus dem Sezieren von Basspassagen noch entstanden ist. Dennoch wirkt das Ergebnis aus meiner Sicht ein wenig steril, wenn auch hier und da wie bei „Bradford“ hörenswerte kammermusikalische Momente aufblitzen. Irgendwie fehlen m. E. noch andere Hörfarben jenseits des Flügelhorns. Ob es nun ein Vibrafon oder eine Gitarre als Harmonieinstrumente sein müsste, mag mal dahingestellt sein.
Text: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Musiker
Eberhard Weber
https://en.wikipedia.org/wiki/Eberhard_Weber
http://www.deutschlandradiokultur.de/bassist-eberhard-weber-eine-deutsche-jazzlegende.2177.de.html?dram:article_id=314601
http://www.telegraph.co.uk/culture/music/worldfolkandjazz/11368211/Eberhard-Weber-Jubilee-Concert-Stuttgart-review-magical.html
E. Weber: „Résumé“ - Eine deutsche Jazz Geschichte, sagas.edition, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-944660-04-2