East West Sextett Dima Telmanov - YES OR NO
E
Cello Colors
2005 begann zum ersten Take 5 Jazz am Hellweg Festival die Geschichte des heutigen East West Sextetts, damals noch als Quartett. Neben dem ukrainischen Pianisten Vadim Neselovskyi gehörten der Schlagzeuger Benny Mokross und Uli Bär am Kontrabass sowie der Trompeter Dimitrij Telmanov zu diesem Ensemble. Es ist nunmehr um Patrick Porsch am Tenor-Saxofon und Paul Lüpfert, einen jungen Posaunisten, erweitert worden.
Von den acht eingespielten Tracks stammen bis auf zwei alle von dem im Ural geborenen und nunmehr in Unna beheimateten Trompeter Telmanov. Uli Bär steuert „Don’t Go“ und „Bass goes on“ zu dem aktuellen Album bei. Auf der vorliegenden Veröffentlichung finden wir zudem Titel wie unter anderem „Avenue del Ocean“, „Night on Hellweg“ und „My Secret“.
Musikalisch ergeben sich Anknüpfungen an Bop und Modern Jazz, an die Tradition des orchestralen Jazz dies- und jenseits des Broadway. Hier und da meint man gar, in die Tonwelten der Adderley Brothers, von Freddy Hubbard und Ben Webster einzutauchen. Doch das sind nur Bruchteile von Momenten, in denen das passiert. Beeindruckend ist das klangvolle Gebläse, das zu erleben ist. Dabei dominieren jedoch die drei Bläser das musikalische Geschehen nicht gänzlich, aber prägend und klanggewaltig sind sie schon.
Mit leichter Latino-Note wird das Album eröffnet, werden wir an den französischen Atlantik entführt, wie man dem Plattentext entnehmen kann. „Avenue del Ocean“ lässt vom Titel her darauf nicht schließen. Man könnte genauso an die Wellen und das azurblaue Wasser in der Karibik denken oder an das Meer am Zuckerhut? Folgt man den musikalischen Linien, so drängen sich Bilder von Wellenreitern, sanft im Wind kreuzenden Seglern und feiernden Menschen auf mondänen Jachten auf, oder? Auf alle Fälle dringen musikalisch stete Wellen mit und ohne Gischt ans Ohr des Zuhörers. Ein wahrer Ohrenschmaus ist das eingeblendete Solo des Trompeters Telmanov. Er scheint insbesondere wie auch die nachfolgenden Bläser in ihren Solos das Licht des Südens einzufangen. Zugleich hat man Strandgänger vor Augen und Fahrten im offenen Coupe, dabei sich den Fahrtwind durch die Haare wehen lassend.
In seine neue Heimat am Hellweg entführt uns Telmanov mit „Night on Hellweg“. Hören wir da stete Regentropfen, die der Pianist Vadim Neselovskyi niederprasseln lässt? Und was evozieren Telmanov und Paul Lüpfert mit ihren Klangwellen? Die Lichtreklamen in den Städten am Hellweg, die vorbeirauschen Autos mit aufgeblendetem Fernlicht, die nächtlichen Flaneure, die spät unterwegs zu einem Clubevent sind? Oder ist auch ein Abgesang an die Vergangenheit herauszuhören, als das industrielle Herz auch am Hellweg schlug? Auf alle Fälle muss auch in diesem Stück das brillante Solospiel von Telmanov hervorgehoben werden. Neben diesem stehen die übrigen Musiker in ihren Beiträgen etwas nach, auch wenn wir einem Solo von Neselovskyi lauschen können, das wohl eher das Fortschreiten der Nacht und die allmählich einsetzende Stille heraufbeschwört. Nach dem Stück „Yes or No“, das für das Album titelgebend ist und sich durch starke Pianosetzungen neben geballter Bläsermacht auszeichnet, steht dann Uli Bärs „Don’t Go“ auf dem Programm.
Aufgemacht wird das Stück durch das solistische Spiel des Pianisten, ehe dann Telmanov mit lyrisch anmutenden Trompetenklängen dazukommt. Es hat den Eindruck, dass diese Klänge Unbegrenztheit und Weite signalisieren, so als wären wir mit den Musikern auf einer Hochalm und liessen den Blick schweifen, weit schweifen. Doch der Titel sagt etwas anderes. Es geht dabei ums Bleiben und nicht ums Gehen. Drückt sich das im getragenen Solo des Bassisten Uli Bär vielleicht aus? Wer „Russian Standard“ als Titel eines Stücks liest, wird nicht unbedingt auf Wodka kommen. Dazu bedarf es schon des Lesens im Album-Text. Beim Hören kamen dem Rezensenten ganz andere Assoziationen, dachte er an die berühmten russischen Komponisten, darunter Mussorgsky und an seine Komposition „Bilder einer Ausstellung“. Expressiv und zugleich auch expressionistisch mutet an, was wir hören, denken wir als Zuhörer unter Umständen an musikalisch umgesetzten Luminismus. Zugleich drängen sich aber außerdem Bilder von urbaner Hast auf, von Unruhe, Aufruhr und Unstetigkeit. Das mag auch an dem nervösen Getrommel von Benny Mokross liegen, oder?
Was verbirgt sich wohl hinter „My Secret“? Ja, ein Geheimnis, das nicht gelüftet wird, aber im musikalischen Duktus sich in die übrigen Kompositionen von Telmanov einfügt. Allerdings fällt eine gewisse epische Erzählweise auf, die die Bläser orchestral zum Ausdruck bringen. Eher lyrisch eingefärbt ist das Klaviersolo, das wir hören. Und zum Schluss hören wir dann „Bass goes on“: Kurz ist das Anspiel des Bassisten, ehe die Bläser das Wort führen bzw. die Zwiesprache mit dem Bassisten aufnehmen. Gerade dieses Stück scheint eine besondere Nähe zum Orchesterjazz der 40er Jahre auszustrahlen, zu den Musicals des Broadway und zu der Form des Jazz, der nach 1950 in der jungen Bundesrepublik populär war. Zugleich sei an dieser Stelle angefügt, dass auch das Tanzbare in den Arrangements von Telmanov durchaus vorhanden ist. Und das gilt nicht allein für das obige Schluss-Stück.
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