Delay 45 - big ears
D
Static Records
Delay 45 – der Name der Band rührt daher, dass irgendwann in der Bandgeschichte eine Probe mit einer Verzögerung von 45 Minuten begann – ist eine junge australische Band, die in Sydney residiert. Das vorliegende Album besteht aus einer achtteiligen Suite, unter anderem aus Loops und Songhaftem verschiedener Klangfärbungen bestehend. Bisweilen gibt es in der musikalischen Inszenierung Momente von sakraler Anmutung. Getragenheit und Tragik drängen sich ab und an auf. Grieg und Sibelius scheinen dann als geistige Väter präsent, oder?
Bandleader des Quartetts ist der Trompeter Tom Avgenicos, der auch die Klangstrukturen nachhaltig bestimmt. Dabei changiert er zwischen melodramatischen und melancholischen Spielnuancen. Dem Trompeter fällt es gleichsam zu, nicht nur die Rahmenhandlung zu verantworten, sondern auch größtenteils die „Erzählstruktur“ und den Kurs der Improvisationen. Soli eingebettet in den Verlauf eines Stücks oder Satzes einer Suite sind durchaus geläufig, eher selten zu hören sind solistische Auftritte eines Trompeters so wie der in „Rage Quit“. Beim Zuhören meint man, Tom Avgenicos sei in einem Selbstgespräch verstrickt, würde wechselvolle Improvisationen, gleichsam „Vor- und Nachgesang“, gekonnt miteinander verweben..
Neben dem Trompeter gehören der Pianist Roshan Kumarage, der Bassist Dave Quinn und der Drummer Ashley Stoneham zum Ensemble, das fester Bestandteil der avantgardistischen Szene in Sydney ist.
„Imitation“ mitsamt einer Einführung steht am Beginn der Suite, zu der auch ein Satz über einen „Therapiehund“ gehört – der ist auch auf dem Cover des Albums zu sehen. Weitere Sätze tragen Titel wie „Room 14“ und „Road to Wernigerode“. Letzteres scheint wohl auf einer Deutschlandtour der Band entstanden zu sein, als der Harz auf dem Spielplan stand. Mit „Strobe“ klingt das aktuelle Album aus.
Die Einleitung zu „Imitation I“ - ein Solo des Pianisten zu Beginn und ein nahtloser Übergang zu einem sich als dominant erweisenden Trompeter – lässt erahnen, dass die Klangfärbung durch den Trompeter bestimmt wird. Dabei zeigt es sich, dass eine Trompete nicht allein zornig, aufgewühlt, aufgebracht und eckig klingen, sondern durchaus auch Klangelemente einer Posaune im Ansatz aufgreifen kann. Im Hintergrund ergießen sich derweil dunkle Klangwalzen, die dem Pianisten zu verdanken sind. Ohne Übergang schließt sich „Imitation 1“ an.
Im Diskant bewegt sich der Pianist. Perlend ist das Spiel, das wir verfolgen. Begleitet wird der Pianist Roshan Kumarage durch den verhalten agierenden Drummer, der gleichsam rhythmisch Zäsuren in den Klangfluss setzt. Klangfluss ist der richtige Begriff, um das Säuseln, Röhren und Jubilieren des Trompeters Tom Avgenicos zu umschreiben. Er ist gut für kleine Klangtümpel, sprudelnde Quellen und emporschießende Klangfontänen. Zyklisches ist ebenso zu vernehmen. Flächiges Spiel ist auszumachen, wenn der Pianist in die schwarzen und weißen Tasten greift und der Trompeter von ausschweifenden Formen ablässt und mit flachen Amplituden seine Linien verfolgt.
Das wechselhafte Spiel zwischen Trompeter und Pianist wird von der Band auch in „Therapy Dog“ durchgehalten. Dabei bemüht sich der Trompeter um klangliche Weichzeichnungen, die jedoch durch scharfe Impulssetzungen immer wieder durchbrochen werden. Gestrichen ist der Bass als Beiwerk zu vernehmen. Eine gewisse Melancholie strahlt im Übrigen dieser Teil der Suite aus.
Eher in Sonnengelb und Morgenrot getaucht erscheint hingegen „Room 14“. Farbmeere, wie sie Emil Nolde gemalt hat, oder aber Lichtermeere eines William Turner mögen dem einen oder anderen Zuhörer als Bilder in den Sinn kommen. Über einander liegen die die gewebten Klangmatten von Piano und Trompete. Außerdem kommt dem Bassist in diesem Stück ungeteilte Aufmerksamkeit zu. Dave Quinn sucht bei seinem Auftritt klangliche Wege, die in den Farbsetzungen an tonige Erden und sandige Flächen erinnern. Nicht zu überhören ist außerdem eine Anmutung von Jazz der 1960er Jahren, wie er in den Bars und Clubs in New York City damals in Mode war. Cool Jazz trifft Modern Jazz, oder?
Machen wir uns abschließend noch auf den „Weg nach Wernigerode“ - ein für eine australische Jazzband ungewöhnlicher Titel für eine Komposition: Kurzes Trommeln und dazu eine aufgeregte, gereizte Trompete. Von Zwiesprache kann man reden. Die stolpernde Rhythmik, die der Drummer zu Gehör bringt, trifft auf die Sprache des Trompeters, der sein Horn auch zum Schnurren bringt. Die Trompete schreit, kreischt, gurrt, überschlägt sich beinahe im Ton und verfängt sich in langen Klangschlieren. Bleche schwingen behutsam und begleiten den Dialog zwischen dem Pianisten und dem Trompeter. In diesen bricht der Bassist mit erdigen Setzungen ein. Ungehindert allerdings verfolgt der Trompeter seinen Weg. Er allein scheint vorzugeben, in welche Richtung die (Klang)reise geht.
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
https://staticrecords1.bandcamp.com/album/big-ears
https://www.facebook.com/Delay45/