Das Eismeer - Live im Sowieso Neukölln
D
Slowing Records
Die Musik scheint im Moment geboren, folgt man dem Trio Das Eismeer. Alles ist im steten Fluss, scheint eine intime Verwobenheit von kristallin anmutendem Pianoklang sowie Schlagzeug-Grundierungen und Gitarren-Flirren. Entschleunigung ist angesagt, hört man dem Trio zu. Dieses besteht aus dem Gitarristen Paul Peuker, dem Pianisten Marius Moritz und dem Drummer Leon Griese. Nicht die Solos sind angesagt, sondern der Gruppenklang ist das Credo des Trios. Gleichberechtigt wird musiziert. Klänge mit Tiefenschärfe entstehen. Doch was hat das mit einem Eismeer mit schroffen Eisschollen zu tun, bedenkt man den Bandnamen?
„Das Eismeer“ begreift sich dezidiert als eine Live-Band, deswegen präsentiert ihr zweites Album „Live im Sowieso Neukölln“ einen Konzertmitschnitt, der im Februar 2020 aufgenommen wurde. Über die Musik lesen wir in einem begleitenden Pressetext zum Album: „Nie gibt sich Paul Peuker „mit simplen Lösungen zufrieden. Ihm geht es um das Finden seiner Mitte zwischen schön und schräg, um das Schaffen einer tragfähigen Umgebung, in der spontane Ideen zum Leuchten gebracht werden können.“
Eisgänge mit knirschenden, aufgeschichteten Eisschollen fängt das Trio nicht ein, auch wenn man dies bei dem Bandnamen vielleicht erwartet hätte. Wenn man schon ein Bild bemüht, dann sind es in der Thermik dahingleitende Ballone, die immer wieder befeuert werden. Vielleicht muss man auch an Polarlichter mit grünen Schlieren denken, wenn man beispielsweise „Horizont“ hört. Das perlende Tastenspiel des Pianisten vereint sich mit starkem Blechschwirren. Dabei hat agiert der Pianist im Diskant, lässt zerbrechliche Klangsequenzen hören. Weich gezeichnet ist das, was der Gitarrist zum musikalischen Ganzen beisteuert. Sein Saitenspiel dringt durch die dichten Quellwolken, die der Drummer erzeugt. Da scheinen dann Turbulenzen wie kurz vor Wolkenbrüchen Pate gestanden zu haben. Die Musik greift stets ineinander. Es ist ein steter Fluss, der mal an- und mal abschwillt. Da gibt es keine musikalischen Orkane, sondern eher ein Streben danach, Weite und weite Blicke musikalisch umzusetzen. Zu hören ist außerdem „Kargmarsch“. Das klingt wie eine Referenz an das flache Norddeutschland, dessen Landschaft einem grünen Kuchenblech gleicht. Zu Beginn bewegt sich der Gitarrist mit feinst austaxierten Klangarabesken. Geschabe über Felle dringt an unser Ohr. Im weiteren Verlauf verstetigt sich das, was der Gitarrist musikalisch aussagt. In stufigen Kaskaden ist der Pianist zu hören. Dabei muss man an terrassierte Wasserspiele denken, an rinnendes Wasser, das sich von Stufe zu Stufe ergießt und in Bassins staut. Von der Musik geht eine gewisse Ruhe aus. Alle drei Musiker sind dabei darum bemüht, Balancen zu sichern, die Mitte auszuloten und nicht in Extreme zu verfallen. Wie gesagt, denkt man bei der Musik in Bildern, dann vielleicht an Wetterleuchten, an abendliche Cirruswolken, die ins rote Licht der Sonne eingetaucht werden. Zugleich muss man an das Licht des Südens denken, das die Postimpressionisten Punkt für Punkt auf die Leinwand gebannt haben.
Repetitiv kann man die Musik durchaus auch nennen. Sie scheint in einer Art Endlosschleife zu münden. Das ist nicht negativ gemeint, sondern bedeutet, dass wir von der Wiederkehr der Sequenzen eingenommen werden, uns auch in die Musik fallen lassen können, weil es eben keine spitzen Ausschläge und keine überaus dramatischen Kurven gibt, auch wenn man durchaus den Eindruck gewinnt, man folge Klangwelle auf Klangwelle, die sich hoch auftürme und dann in sich zusammenfalle. Abwegig wäre es, die Musik als meditativ zu charakterisieren. Und von New Age kann schon gar nicht die Rede sein. Im Übrigen ist „Kargmarsch“ das längste Stück auf der Einspielung. Obgleich es sich um Live-Aufnahmen handelt, hat man Zwischenapplaus aus dem Mitschnitt ausgeklammert.
„Eisgestüm“ wird vom Gitarristen eröffnet. Kurzwelliges vereint sich dabei mit Langwellen. Zugleich meint man, man höre zerspringende Eiszapfen und höre das Schmelzen von Eis. Fragiles lässt der Pianist uns vernehmen. Doch ein Eisgeschiebe wie es von Caspar David Friedrich bei seinem Gemälde „Eismeer“ in Szene gesetzt wurde, können wir beim Hören nicht erleben. Eher hat man das Bild der Eisschmelze im frühen Frühjahr vor Augen. Dieses Bild prägt nachhaltig das gemeinsame Spiel von Pianisten und Gitarristen. Verfremdet dieser auf dem Album nicht stellenweise Volkslieder von Matthias Claudius? Lassen wir das mal als offene Frage stehen. Ohne Frage paart ich jedoch in diesem Stück das Fragile mit dem Kristallinen, bis zum letzten Takt.
Am Ende befasst sich das Trio musikalisch mit einem „Monolith“. Auch in diesem Stück bestimmt der Gitarrist über weite Strecken die Klangfarben, ohne allerdings aufdringlich zu wirken, ist er doch in das musikalische Dreigespann eingebunden und nur eine von drei Stimmen. Beinahe wie hochtöniges Glockengeläut klingt das, was an unsere Ohren dringt. Dazu vernimmt man repetitiven Tastenklang, der sich auf Eintönigkeit versteift. Der Klang erinnert an den Hammerschlag auf einem Amboss, oder? Neben dem Repetitiven vernimmt man noch eine rollende Klangbewegung, durchbrochen von Umspielungen im Diskant. Und der Gitarrist bewegt sich im weiteren Verlauf des Vortrags durchaus in Richtung auf Rockmusik, wie sie von Alvin Lee und Jimi Hendrix gepflegt wurde. Das driftet dann auch hier und da ins Sphärische ab. Und dann setzt der Schlussapplaus ein. Mit Recht!!!!
© ferdinand dupuis-panther
Infos
http://www.paulpeuker.de/projects.html
Tracks
1. Horizont 07:42
2. Kargmarsch 11:41
3. Licht in Sicht 10:38
4. Eisgetüm 06:46
5. Schwarzweite 05:08
6. Monolith 09:13