ChuffDRONE - actio / re:actio
C
Self produced
Die Band hat sich für die aktuelle Veröffentlichung neu formiert und besteht nun aus Lisa Hofmaninger (Sopransaxophon/Bassklarinette), Robert Schröck (Altsaxophon/Tenorsaxophon/Klarinette), Jul Dillier (Klavier), Judith Ferstl (Kontrabass) und Judith Schwarz (Schlagzeug). Der Titel des Albums bezieht sich auf das Prinzip der physikalischen Wechselwirkung „Actio=Reactio“ nach Isaac Newton, welches besagt, dass auf jede Kraft (actio) eine gleich große Gegenkraft (reactio) erfolgt, die auf den Verursacher zurückwirkt. In diesem Sinne verstehen sich die handelnden Bandmitglieder als jeweilige Kraft und Gegenkraft. Sie agieren kompositorisch und instrumental, reagieren zur gleichen Zeit auf die musikalischen Impulse der Anderen. Das dazugehörige Doppelalbum erscheint als Vinyl unter dem Titel “actio” und als CD unter dem Titel “re:actio”.
„Calling For Strength“ ist der Ausgangspunkt der „Newtonschen Spurensuche“. Gleichsam wie eine Doppelhelix sind Sopransaxofon und Tenorsaxofon miteinander verschlungen, so scheint es. Melodische Linien erfahren einen Schattenwurf, so könnte man es formulieren. Entfesselungen werden versucht, um dann doch wieder eingefangen zu werden. Solistisch zeigt sich das Sopransaxofon und malt streifige Klangstrukturen, die sich ins Endlose entwickeln. Doch auch die übrigen Musiker entwickeln Kraft und Stärke, folgen dem Sopransaxofon. Der Bass vibriert nervös, während er immer schweigsamer wird und dem Piano den Klangraum einräumt. Dabei erzeugt der Pianist an seinem Instrument kleine Klangstrudel, die rotieren. Stets präsent sind die Holzbläser, wenn auch zeitweilig als Besetzer des Marginalen. Für viel Blechwirbel sorgt die Schlagzeugerin Judith Schwarz. Doch im Ohr bleibt nachhaltig der Widerstreit der Saxofonisten!
Bassrollen und Rhythmuswellen vereinen sich in „Nonololo“. Beim Zuhören könnte man meinen, man verfolge ein Hörspiel mit einem fahrenden, ratternden, rollenden Zug, der außer Rand und Band geraten ist. Hier und da mal ein pfeifendes Warnsignal; die Fahrt geht über altersschwache Schweller und Schienen weiter, schneller und schneller. Das verdeutlichen nicht allein die Holzbläser. Gelegentlich drängt sich die Vorstellung von Filmmusik für einen Actionfilm auf.
Solistisch ist ein Holzbläser der Handelnde am Anfang der Komposition „Asue“. Er ist allein auf weiter Flur, füllt den Raum mit tonalen Schlieren und Schraffuren. Beinahe lyrisch ist der weitere Verlauf. Dazu gibt es ein wenig Paukenschlag als Beigabe, und auch die Bleche schwirren gewaltig. Wenn man dann schon das Stichwort Filmmusik aufgreifen möchte, so wäre die Musik gewiss tauglich für filmische Szenen mit einem schwarzen Citroën und Lino Ventura oder Jean Gabin in halbseidenen Rollen.
Ist da bei „Fresh Start“ anfänglich nicht eine Bassklarinette im Dialog mit dem Tenorsaxofon zu vernehmen? Da gibt es ein Ja-Ja und ein Nein-Nein zu hören. Bisweilen denkt man an Happening und Dada, vielleicht. Beide Holzbläser befeuern sich wechselseitig, verschränken sich in ihren musikalischen Äußerungen. Man glaubt, sie würden einen Pogo tanzen. Stete Beats sind vorhanden, auch wenn die Bläser leisere Töne anstimmen. Das ist nur von kurzer Dauer, dann sind sie erneut entfesselt, genauso wie der Tastenspieler, der in tonale Springfluten taucht. Wellenschlag folgt auf Wellenschlag. Und am Ende mündet das in Ekstase!
Mit „Friday“ und „He plays blue for her“ beginnt dann die Reaktion (re:actio) auf die zuvor gespielten musikalischen Aktionen. Mit „Sein&Haben“ enden dann die Reaktionen oder der Pendelschlag in die Gegenrichtung, wenn man so will. „Friday“ scheint aufzugreifen, was in „Fresh Start“ angelegt ist, allerdings feiner ziseliert und mit einem strengen Bassschlag. Es groovt ab und an. Und auch ein wenig Funkwürze scheint die Band Teelöffel für Teelöffel zu reichen.
Schreibfehler in „He play blue for her“? Fehlt in blue ein S? Nein, hier wird nicht das Blaue vom Himmel versprochen, sondern das Blaue gespielt: Schlagwerk trifft auf den gequält klingenden Bass und sanft gestimmte Bläser. Synkopenfolgen und Saitenarpeggio sind auszumachen, oder? Verhalten ist der Klang der Saxofone, teilweise im Unisono. Eher frühlingshaft grün ist das, was an unser Ohr dringt, songhaft im Sinne von Singer/Songwriter ein wenig. Gurren und Schnarren nehmen wir wahr, ein Entgleiten in tonale Höhen, eine Erregtheit – so jedenfalls lassen sich die Bläserpassagen interpretieren. Das atmet für Momente schon freien Improgeist. „Sein&Haben“ heißt es im Schlussakkord. Warum heißt es nicht „Soll&Haben“, wenn man mit Kontrasten arbeitet?
Text © ferdinand dupuis-panther
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