Chromb! - Le Livre des Merveilles
C
Dur et Doux
Diese aus Lyon stammende Band namens CHROMB! bezieht sich bei der vorliegenden Platte auf Gervais de Tilbury, der im 13. Jh. „Livre des Merveilles“, eine Art Reiseliteratur, niedergeschrieben hat. Dabei changiert die Band in der musikalischen Umsetzung des Werks zwischen Mittelalter und Futurismus, wenn man die einzelnen, vielleicht als Fragmente zu bezeichnenden Stücke an sich vorbeiziehen lässt. Symphonisches verbindet sich mit verschlungenen Stimmen, die an mittelalterlichen Minnegesang erinnern. Dabei sträubt sich die Band gegen Etikettierungen und Festlegungen. Man kann bei dieser Band von einer distinkten musikalischen Offenheit sprechen, die sich auch in den bisherigen Alben der Band wiederfinden lässt, ob bei „I“ (2012), „II“ (2014) oder „1000“ (2016).
Chromb – in der Übertragung ins Deutsche gleichzusetzen mit gebogen – besteht aus Léo Dumont (drums, percussion, objects), Camille Durieux (keyboards, synthesizers, vocals, composition („La souvenance d'Achille“), Lucas Hercberg (bass, synthesizer, vocals, composition (Le livre des merveilles, „Le fleuve Brison“, „Les chevaliers qui apparaissent“) und Antoine Mermet (Alto saxophone, delay, synthesizers, vocals).
Auf dem vorliegenden Album finden sich vier Tracks: Bereits beim ersten Stück namens „Le livre des merveilles“ erleben wir eine Melange aus Progressive Rock, elektronischen Effektturbulenzen und lyrischem Gesang, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Anmutungen von Vogelgezwitscher sind ebenso beigemischt wie infernalischer Industrieklangrausch. Sphärenklänge dringen bei „Le fleuve Brison“ ans Ohr des Zuhörers, der zudem dumpfe Trommelschläge wahrnimmt, ehe der mehrstimmige Gesang einsetzt. Dieser lässt an höfische Musik des elisabethanischen Zeitalters denken, zugleich an die französische Popmusik der 70er Jahre. Doch das besonders Irritierende bei der Musik von Chromb sind die wechselhaften Collagen aus Stilen und Fragmenten. Da scheint Pink Floyd in Versatzstücken ebenso präsent wie Mike Oldfield und Walter von der Vogelweide. Elektropop scheint sich obendrein mit Punk und Nu Jazz zu vermischen. Sphärische Synthesizer-Schleifen überlappen sich, sodass wir meinen, eine Fahrt im All liegt an, fern ab der Erdanziehung. Das wirkt dann durchaus in der Nähe von Teilen von New Wave und Neuer Deutscher Welle befindlich, auch wenn in Französisch und nicht Deutsch gesungen wird. Stilistisch jedoch gibt es eine gewisse Verwandtschaft zu den genannten Genres.
Nachfolgend lauschen wir „Les chevaliers qui apparaissent“. „Glockenspiel“ erklingt und ein sonorer Klangteppich, der unter den diskanten Wellen des „Glockenspiels“ wahrzunehmen ist. Orgel oder Harmonium – das fragt man sich, wenn der weitere Klangteppich ausgerollt wird. Über diesem erschallt ein vollmundiges Altsaxofon, das ab und an aus dem Off hervortritt. Derweil sind aber auch diverse fremd anmutende Geräusche beigemischt, die der Industriewelt entspringen. Durchaus dramatisch ist die musikalische Zeichnung ausgeformt, ohne nun gleich als im Geiste von Richard Wagner zu erscheinen. Unwetter vermeint man, mit dem Gehörten in Verbindung zu bringen. Vulkanausbrüche, Tsunami und andere Naturkatastrophen drängen sich als Bilder beim Hören auf. Nu Jazz ist dann sehr präsent, verfolgt man die Collage der Klangfragmente. Flötenklang ist in der Ferne zu vernehmen, derweil Geräuschgetöse nachhaltig im Fokus steht. Dies erscheint wie eine vorwärtsziehende Windhose, die alles mitreißt.
Der Schlusspunkt wird mit „La souvenance d'Achille“ gesetzt. Um nun die Beziehungen zur Reiseliteratur eines Ritters aus dem Mittelalter herzustellen, müsste man zur Musik von Chromb! tiefer in die entsprechende Lektüre einsteigen. Vielleicht ist das aber auch gar nicht notwendig, weil es keine direkte lineare, sondern nur eine assoziative Verbindung zum Mittelalter gibt.
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Dur & Doux Records
https://duretdoux.bandcamp.com/
Band
Léo Dumont I Drums, percussion, objects
Camille Durieux I Keyboards, synthesizers, vocals, composition (4)
Lucas Hercberg I Bass, synthesizer, vocals, composition (1,2,3)
Antoine Mermet I Alto saxophone, delay, synthesizers, vocals, composition (3)