Christopher Hale - Ritual Diamonds
C
Earshift Music
Neben dem Bassisten Christopher Hale ist auf dem Album die koreanische Trommlerin Woo Minyoung zu hören, die rituelles Trommeln mit Gegenwartsjazz zu verbinden versteht. Darüber hinaus sind nachstehende australische Musiker an der musikalischen Ausformung des Albums beteiligt: Jamie Oehlers (saxophones), Andrea Keller (Rhodes und piano), Theo Carbo (guitars) und Simon Barker (drums); als spezielle Gäste sind Yaejee (Chloe) Kim (cymbals, percussion) and Nadje Noordhuis (trumpet) zu nennen.
Über die Zusammenarbeit zwischen Hale und Woo führt der Bassist Folgendes aus: „We connected immediately … Minyoung shared with me her deep knowledge of shaman ritual drumming styles and traditional rhythms. I shared with her the rhythms of my communities in Australia: the flamenco cycles of my background and the mathematical rhythm codes of [influential Australian percussionist] Greg Sheehan – our friendship grew, and in restaurants, bars, on buses, we had fun with rhythm.”
Doch auch wenn Hale Flamenco und afrokubanische Musik sowie die Rhythmen ritueller Performance von Schamanen schätzt, geht es ihm nicht um kulturelle Aneignung oder Übernahmen, sondern darum aus dem genannten musikalischen Schatz Neues und Eigenes zu schaffen. O-Ton Hale: “My goal was never to perform Korean music but to commit to learning how these amazing rhythm traditions worked, to better understand Minyoung and her community, and expand my musical world. Then, when Minyoung and I started playing together, it was more than just a ‘fusion’ of styles. We found musical common ground in the deep structures of each other’s rhythm, and from that place built something new together.”
Wenn auch mit „Flamenco“ eröffnet wird, so darf man nicht im Vorwege an den Film „Carmen“ (Regie Carlos Saura) oder an Manitas de Plata sowie Tomatito denken. Und wenn man an die Instrumentierung denkt, dann ist bei Hales Ensemble von klassischem Flamencosetting nichts zu hören: keine Flamencogitarre (guitarra flamenca), kein Cajón und keine Kastagnetten. Statt dessen hören wir den Schmelz eines Saxofons und eins ausladendes E-Gitarrensolo, das stilistisch an Peter Green denken lässt. Ist da nicht auch ein Hauch von Vibrafonklang aus dem Stück zu destillieren? Oder hört man ein Xylofon? Vielleicht ist aber auch Andrea Keller am Rhodes für diesen Klang verantwortlich. Gewiss, galoppierende Rhythmik ist Teil des Arrangements, aber der klassisch zum Flamenco gehörende Cante grande fehlt bei Hales sehr eigenwilliger Interpretation. Hale äußert sich im Übrigen wie folgt: „I feel as though I dreamed this long rhythm cycle: a hazy, flamenco-inspired compás, refracted as though through a prism. The tension and release of the rhythm rises and falls in waves, led by a melody that turns and folds on itself. ...“ Also, wo sind dann die Bezugspunkte zum Flamenco außer im Titel?
Der nachfolgende Track genannt „Ch’il ch’ae“ fokussiert eigentlich auf traditionellem koreanischen Drumming und Perkussion. Doch das wird stark von dem säuselnd-sonoren, beinahe hypnotischen Spiel des Saxofonisten Jamie Oehlers in den Hintergrund gedrängt. Zudem erleben wir einen psychedelischen Klangteppich, der unter den auf- und abschwingenden Saxofonsequenzen liegt. Dabei scheint auch ein Schellen- und Glöckchenspiel Teil des Arrangements. Erst gegen Ende schält sich dann das Schlagwerk solistisch aus dem Gesamtklangwerk heraus. Zu „Radio Mori“ lesen wir in den Track Notes: „This rhythm reassembles archetypal elements of drumming language from the Donghaean Pyŏlshing Kut ritual ceremony. Minyoung learned this complex style from the master drummer Kim Junghee, and here creates her own unique variations in a long and twisting rhythmic flow, alongside Bowie-esque jangling guitars and a deceptively simple melody that expands and contracts across the shifting rhythm.“ Doch der Höreindruck ist nicht so sehr auf das Drumming bezogen, sondern auf das Zusammenspiel des Gitarristen mit dem Saxofonisten, der uns eine Klanggouache präsentiert. Man muss beim Hören an Nebelschwaden denken, die sich langsam verflüchtigen und Raum für einen Frühlingstag mit blauem Himmel und lauen Luftzügen machen. Das Melodische umfängt den Zuhörer und nimmt diesen für sich ein. Und auch der Bassist Hale ist in diesen melodischen Fluss eingebunden. Müsste man Bilder von Sonnenauf- und untergängen im ariden Australien musikalisch untermalen, man könnte auf diesen Track zurückgreifen, der auch von den Trompetenpassagen Nadje Noordhuis lebt. Weite bis zum Horizont suggeriert deren Spiel. Ähnlichkeiten zu Jan Gabareks Fjord-Klang liegen auf der Hand.
Prägnante Rhodes-Sequenzen, dank an Andrea Keller, sind eine Klangnote, die wir bei „Minor Diamonds“ erleben. Dabei driftet Keller auch ein wenig in Orgelklänge ab. Man lausche dazu dem Solo. Übrigens, auch in diesem Stück erleben wir die Trompeterin Noordhuis. Ob man in dem Stück Kate Bush und Strawinsky wiederfindet, wie man in den Erläuterungen lesen kann, ist gewiss zu hinterfragen. Vom Duktus her unterscheidet sich die thematische Struktur jedenfalls nicht von den vorherigen Tracks. Teilweise vermittelt das Spiel der Band schon Orchestrales und beinahe Symphonisches im Sinne mehrstimmiger Instrumentalmusik. Die musikalische Exkursion endet dann mit dem Stück „ Ritual Diamonds“ nebst extensiven Trommeleinlagen. Wer das Kontemplative in der Musik sucht, der sollte zu diesem bisweilen „hypnotischen“ Album greifen.
© ferdinand dupuis-panther
Info
BANDCAMP
https://www.swr.de/swr2/musik-jazz-und-pop/ungemein-ambitioniert-ritual-diamonds-von-christopher-hale-100.html
Musicians
Christopher Hale - bass guitar, baritone guitar, acoustic & electric guitars, kkwaenggwari, ching, percussion
Woo Minyoung - changgo, kkwaenggwari, p’aram, percussion
Jamie Oehlers - tenor and soprano saxophones
Andrea Keller - Rhodes, piano
Simon Barker - drums, mujing
Kim (Chloe) Yaejee - cymbals, percussion (Track 2)
Nadje Noordhuis - trumpet (Track 3, 4).
Tracklist
1. Flamenco
2. Ch’il ch’ae (for Kim Juhong)
3. Radio Mori
4. Minor Diamonds
5. Topollim sketches
6. Ritual Diamonds (for Kim Junghee)