Christian Marien Solo - The Sun Has Set, The Drums Are Beating
C
MarMade Records
Eine Soloperformance als Schlagzeuger und die Veröffentlichung auf dem eigenen Label – das fällt bei dem vorliegenden Album zusammen, mit dem ein Jahrzehnte lang gehegter Wunsch in Erfüllung geht, so Christian Marien. Inspiriert wurde der aus dem Münsterland stammende und nun in Berlin beheimatete Schlagzeuger durch ein Solo-Konzert von Pierre Favre im Jahr 1990 und durch seinen Lehrer Ben Bönniger, der 1994 die CD „Raum – Musik für Solo Schlagzeug” veröffentlichte.
Über das Album schreibt Christian Marien: „2018 war die konzeptionelle Idee klar genug und die Zeit reif. Im Laufe eines halben Jahres von der ersten Skizze bis zur Aufnahme entstand eine Vielzahl von Titeln, von denen es vier auf diese CD geschafft haben. Sie sind in ihrem Wesen kondensierte Improvisationen, die im Proberaum immer wieder neu aufgenommen und weiterentwickelt wurden, bis sie sich zu Kompositionen konkretisiert haben, die in Form, Klangfarben und Instrumentarium feststehen, aber noch ausreichend Raum für Improvisation lassen.“
„Ex Machina“ wird mit Glöckchen- und Schellenklang eröffnet. Oder sind es kleine Klangschalen die flirren? Nein, wohl kaum, denn dazu fehlt es an Nachhall. Aber vielleicht sind es metallene Klangstäbe, die Christian Marien zum Schwingen bringt. Zwischendurch gibt es harte Blechschläge wahrzunehmen. Sind es Viertelstunden-, Halbstunden- oder Stundenschläge? Und dann beginnt eine Klangwandelung, bei dem stumpf klingende Bleche auf Tomwirbel treffen. Irgendwie hat man die Vorstellung, dass ein Glöckner völlig verstimmte Glocken schwingt. Zum anderen muss man an die Maschinenwelt von Webereien denken, in denen mit Druckluft die Schiffchen in Bewegung gehalten werden. Auch an ein Hammerwerk mag man sich beim Hören erinnert fühlen, auch wegen des gleichbleibenden Schlagrhythmus. Schließlich kann man auch eine Ziegenherde beim Almabtrieb vor Augen haben. Deren Schellen in unterschiedlichen Klanglagen erzeugen ähnliche Klangnuancen wie die, die Christian Marien an seinem Schlagwerk schafft.
Im Verlauf des ersten Stücks verstetigen sich die Rhythmusvarianzen, wird das Spiel nervöser, aufbrausend, steigert sich gar zu einem Rhythmusrausch. Wer sich in diesen vertieft, der mag auch für sich den Zustand von Trance erreichen, auch ohne ein Sufi oder Derwisch zu sein. Übrigens, gegen Ende hört man Klänge, die an die eines Tinitus erinnern, oder? Nachfolgend steht „Demon Of The Second Kind“ auf dem Programm: Mit einem Stick wird ein Blech gestrichen, von der Mitte gegen den Rand oder gar nur am Rand. Zugleich vernimmt man ein dunkles Rauschen, das Kontrapunkt zum schrillen Klang des gestrichenen Bleches ist. Man könnte auch an eine Schleifmaschine denken, die über rostige Blechstreifen fährt und sie „poliert“. In groben Wellenformen entwickelt sich der Schlagwerkklang. Wird dann nicht auch mit einem Stickende über die Felle der Trommel gefahren oder kreist da eine Blechschale über Snare oder Toms? Theaterdonner erleben wir und „Götterdämmerung“ jenseits von Wagner, so könnte man den akustischen Eindruck in ein Bild fassen. Die Frage stellt sich, ob Christian Marien nicht auch einen präparierten Kontrabass bedient. Der Bogen streicht dabei über die Saiten, zwischen denen Pappestreifen und Holzstücke gesteckt sind. Der Klang mag ähnlich sein, aber Christian Marien ist ja Schlagwerker, sodass man unterstellen muss, er bleibt seinen Trommeln und Blechen auch in der vorliegenden Performance treu.
Was können wir von „Stiller“ erwarten? Eine Steigerung des Adjektivs still kann es nicht sein, da es die eigentlich nicht gibt? Es ist still, mehr aber auch nicht. Oder hatte Christian Marien den Roman „Stiller“ von Max Frisch im Sinn? Ans Ohr dringen dunkel-dumpfe Klänge, pulsierende Klänge, die aus dem Off sich entwickeln. Es klingt wie das Glucksen von geothermischem Schlamm, der sich in großen Blasen entlädt, oder? Zugleich vernimmt man etwas „Sirenenhaftes“. Kann man nicht angesichts des Höreindrucks von Ambient Music reden? Möglich wäre es. Nachhaltig schwirren Bleche unterschiedlicher Größen. Insgesamt rollt Christian Marien für den Hörer einen dichten Klangteppich mit feinstem Gewebe aus. Dabei gibt es auch Klangätzungen zu erleben. Der Schlag einer Pendelstanduhr scheint Teil der Inszenierung. Quietschendes und Schabendes sind auszumachen. Und zum Schluss hat man gar den Eindruck, der Berliner Schlagzeuger würde mit Sticks über die Saiten des geöffneten Flügel streichen oder aber über die einer Harfe. Ausklingendes Kirchenglockenspiel wird, so der Höreindruck, inszeniert und imitiert. Mit „Careboo“ wird dieses sehr abwechslungsreich gestaltete Soloalbum abgeschlossen. Fazit: Ein Album, das nicht das klassische Jazzpiano-Trio oder ein Quartett in den Mittelpunkt rückt, sondern das Schlagzeug, das sich voll entfalten kann.
© fdp2022
Info
http://www.christianmarien.de
Tracklisting
1. Ex Machina 08:49
2. Demon Of The Second Kind 05:15
3. Stiller 11:56
4. Careboo 06:19