Christian Marien Quartett – how long is now
C
MarMade Records
Der aus dem Münsterland gebürtige und in Berlin heimisch gewordene Schlagzeuger Christian Marien hat nunmehr ein Quartett zusammengestellt und ein eigenes Label aus der Taufe gehoben. Zum Quartett gehören: Tobias Delius – Tenorsaxophon, Klarinette, Jasper Stadhouders – Gitarre, Antonio Borghini – Kontrabass und Christian Marien – Schlagzeug.
Zu dem Quartett lesen wir auf der Homepage von Marien nachstehend zitierte Zeilen: „Musik hat die Kraft, im Kleinen zu finden, wonach wir auch im Großen suchen: frei zu sein, den Moment so zu nehmen wie er ist und zu wissen, nur gemeinsam kommen wir an diesen ersehnten anderen Ort. Frei nach Ornette Coleman: Beauty is a rare thing.“
Zu den Stücken, die wir hören können, gehören als Opener “40 Love/Goldrausch“, gefolgt von „The Lobster“ und „Lilly/Doppelhertz“. Zudem wurden „The Landing“ und „28-4/Pattersson Blues“ eingespielt. Am Schluss hören wir dann „Deesse“. Hm, was verbirgt sich wohl hinter dem letzten Titel? Fantasiewort? Und auch bei den weiteren Titelgebungen bleiben Fragezeichen im Kopf, oder? Titel von Tracks schaffen Assoziationen. Ob dies immer die richtigen sind, das ist die Frage. Unter Umständen verstellen sie auch das unvoreingenommene Hören der Musik.
Bei “40 Love/Goldrausch“ hat man angesichts der Verwebung von Gitarrenlauf und kehliger Saxofon-Passage sowie dem treibenden Drumming den Eindruck, ein alter Dampfzug bewege sich über ausgefahrene Schienen durch die Landschaft. Teilweise nehmen wir Entäußerungen des Saxofonisten wahr, ehe dann kurz das Thema erneut erscheint. Saiten-Plink-Plink fügt der Gitarrist dem Stück bei. Hohes Pfeifen ist auszumachen und die beschwichtigenden Saitenschritte des Bassisten. Sonor ist der Saxofonklang im Weiteren, bisweilen auch gequält-röhrend und ins Eruptive abdriftend. Hier und da lotet der Saxofonist in seinem Spiel die dunklen Klänge aus, die eigentlich dem Baritonsaxofon eigen sind. Und gegen Ende blenden sich alle Musiker nach und nach aus. Perkussives, vor allem Beckenschwirren, nimmt die Eröffnung von „The Lobster“ ein. Hochtönig ist die Klarinette, die sich wie der Bass zum Schlagwerk dazu gesellt. Klangwolken, die dahin schweben, gleicht das, was der Klarinettist zur musikalischen Entwicklung des Stücks beiträgt. Teilweise meint man darin etwas Geheimnisvolles ausmachen zu können, vor allem wenn der Bassist sich an die Seite des Klarinettisten stellt. Zugleich drängt sich beim weiteren Hören auch das Bild von nahender Gewitterfront und von Nebelbänken auf, oder? Bilder von Brügge, die der symbolistische Maler Fernand Khnopff geschaffen hat, kamen dem Rezensenten beim Hören in den Sinn. Grau in Grau wurde da Brügge auf die Leinwand gebannt, in Nebel eingehüllt.
Geradezu lieblich-lyrisch mutet das Saxofongebläse in „Lilly/Doppelhertz“ an. Musikalisch gleicht das, was wir hören, einem Klangföhn, der da warm-lau an unsere Ohren streicht. Im Übrigen folgt der Gitarrist den Linien des Saxofonisten, derweil der Drummer gleichsam mit „synkopierenden“ Trommelschlägen beide begleitet. Im Verlauf des Stücks meint man, der Föhn weite sich zu einem starken Wind aus und man vernehme, lauscht man auf das Saxofon, das Nahen einer Windhose und eines in der Ferne vorbeiziehenden Donners und Blitzen. Mit exaltierten Saxofon- Passagen findet das Stück seinen Fortgang. Klangfragmente werden aneinander gefügt, so hat es den Anschein. Hört man da nicht eine „verstimmte Turmglocke“, ehe sich der Rhythmus und auch das Saxofonspiel verstetigen? Pogo des Klangs oder was? Klangüberschläge, schnurrend, quietschend und dazu ein flinkes, wenn auch dezentes Fingerspiel auf Bünden und Saiten, durchaus in einem melodiösen Kontext zu dem leicht dazu versetzten Tack-Tack des Drummers. Und dann ist da wieder der Tenorsaxofonist, der gurgelnde, gurrende, röhrende tieftönige Klangbilder schafft. An Ekstase muss man beim Hören ab und an denken und wartet auf die klangvolle Entladung. Statt dessen nimmt das Quartett gegen Ende alle Kraft aus dem Spiel.
Strukturiert oder frei improvisiert, das stellt sich als Frage bei „28-4/Pattersson Blues“. Klangadditionen nehmen wir wahr. Man meint beim Hören, dass sich die einzelnen Mitglieder des Quartetts auf jeweils eigenen Umlaufbahnen befinden. Dabei scheinen sie durchaus Blickkontakte zueinander zu haben. Das schält sich allerdings erst im Verlauf des Stücks heraus. Dialoge wie zwischen Saxofonisten und Gitarristen sind angedeutet, nachdem zuvor Monologe eher prägnant waren. Ein Blues-Schema konnte der Rezensent nicht ausmachen, dafür aber geschwinde Bassläufe, die so klingen, als hörte man davoneilende Schritte auf Treppenstufen oder Pflaster. Ein starkes „Insektenschwirren“ als Höreindruck hört man obendrein. Schließlich setzt die Band mit „Deesse“ einen Schlusspunkt des Klangewebes des Albums.
© ferdinand dupuis-panther
https://www.christianmarien.de
https://www.christianmarien.de/category/eigene-projekte/christian-marien-quartett/
https://artmusiclounge.wordpress.com/2024/01/29/christian-mariens-how-long-is-now/
Jazz'halo interview
Jazz'halo review "Christian Marien Solo - The Sun Has Set, The Drums Are Beating"